Liebes Fernweh,
vor nicht allzu langer Zeit schrieben wir an dieser Stelle schon einmal über Dich. Damals haben wir geraten, Orten in unserer Gegend ausländische Namen zu geben, weil eine Reise nach „Casa della Saxiona“mehr nach Urlaub klingt als eine Fahrt nach Sachsenhausen.
Wieder und wieder hat man uns seither gedrängt, die Menschheit mit weiteren Tipps dieser Art zu versorgen, doch die Luft wurde sozusagen immer dünner. Wenn man nicht reisen darf, ist es eben schon sehr schwer, an exotische Ziele zu gelangen . . .
Es sei denn, die exotischen Ziele kommen zu uns. Tatsächlich sorgte eine mediterrane Großwetterlage in der vorigen Woche dafür, dass sich eine erhebliche Menge Sahara auf den Weg in den Norden machte. Souverän ignorierte der feine Staub alle Reisewarnungen, überquerte ungetestet und ohne Quarantäne die Eu-außengrenzen und färbte unseren Himmel derart, dass man sich teils auf dem Mars wähnte. Dann ließ sich der Staub nieder, und zwar, wie man deutlich sehen konnte, bevorzugt auf unseren Autos.
Ja, im Frühjahr würde uns das ärgern, denn gelber Blütenstaub nervt auf der Karosse. Nun aber sollten wir begeistert sein: Es ist echter Saharastaub. Auf unseren Autos! Ein Dreck, den sonst nur Expeditionen durch Nordafrika auf ihren Autos haben! Man betrachtet, man staunt, man erlebt ein Hochgefühl: So viel Geld haben all die Großkopferten ausgegeben für ihre Sahara-touren, und jetzt habe ich genau den gleichen Dreck wie sie! Heißa!
So scheint es nun weiterzugehen: Die Flachlanddeutschen erlebten zuletzt auch ohne Reisen etwas Schneefall wie in den Alpen (worauf bei Piet und Dörte sofort die Welt unterging), und die kommenden Phänomene sind bestimmt nur eine Frage der Zeit: Kokosnusshagel im Heidenheimer Stadtwald, Quallenpest im Baggersee, aufdringliche Strandverkäufer im Freibad. Wenn wir nicht in den Urlaub kommen, dann kommt der Urlaub zu uns. Du wirst Dein blaues Wunder erleben, liebes Fernweh! Aber Du liest das ja eh wieder nicht.