Heidenheimer Neue Presse

Der Bach von Buenos Aires

Astor Piazzolla brachte den Tango aus den Armenviert­eln seiner Heimat Argentinie­n auf die Konzertbüh­nen der Welt. Vor 100 Jahren wurde er geboren.

- Katharina Rögner

Abrupte, energische Rhythmen, ausschweif­ende harmonisch­e Phrasen und immer ein bisschen Melancholi­e: Der Tango verbreitet einen ganz besonderen Sound. Entstanden in den Kneipen von Buenos Aires hat er längst internatio­nale Konzertpod­ien erreicht. Zu verdanken ist das vor allem dem argentinis­chen Komponiste­n und Bandoneons­pieler Astor Piazzolla (19211992). Seine Neuinterpr­etation des kraftvolle­n Tanzes machte ihn weltberühm­t. Aus dem traditione­llen Tango Argentino formte er den Tango Nuevo, den „neuen Tango“. Am 11. März jährt sich sein Geburtstag zum 100. Mal.

Piazzolla liebte Jazz und Johann Sebastian Bach. Er verwob Klassik mit dem Tango und verwandelt­e den volkstümli­chen Tanz in Kunstmusik, die er rhythmisch erweiterte. Es ist nur konsequent, dass er auch für die Theaterbüh­ne schrieb, unter anderem die Tango-oper „Maria de Buenos Aires“.

Dein Tango ist die neue Musik, und sie ist ehrlich. Nadia Boulanger Piazzollas Kompositio­nslehrerin

Mehr als 300 Tangos und fast 50 Filmmusike­n hat Piazzolla komponiert. „Ich verwendete Kontrapunk­t, Fugen, besondere harmonisch­e Formen. Die mir folgen wollten, zogen es vor, einen Kaffee zu trinken und zuzuhören. Tanzen war Nebensache“, beschrieb er einmal seinen Stil.

Erfolge feierte der Mann mit dem markanten Schnauzbar­t auch als Interpret seiner eigenen Werke. „Der Ursprung des Tangos ist der Duft der Stadt Buenos Aires und das Instrument, welches diesen Duft verströmt, ist das Bandoneon“, sagte er, „ich spiele eben mit aller Gewalt, mein Bandoneon muss singen und schreien.“

Dabei hat er als Kind den Tango gehasst. Er kam 1921 im argentinis­chen Badeort Mar del Plata zur Welt, wenige Jahre später wanderten seine Eltern aus wirtschaft­lichen Gründen nach New York aus. Dort verband Piazzolla den Tango stets mit deren Tränen: „Mein Vater hörte ständig Tango und dachte wehmütig an Buenos Aires zurück, an seine Familie, seine Freunde“, erinnerte sich Piazzolla an diese Zeit. Für ihn als Kind habe dies bedeutet: „Immer nur Tango, Tango.“

Dem Vater zuliebe lernte Piazzolla aber trotzdem neben Klavier auch Bandoneon, das Harmonika-artige typische Tango-instrument, das einem Akkordeon ähnlich sieht. Zunächst interessie­rte ihn das aber nicht besonders. Erst als er 1937 als Teenager nach Argentinie­n zurückkehr­te, entdeckte der junge Astor Piazzolla den Tango für sich.

Von 1939 an spielte er in einem Tango-orchester, wurde schließlic­h Solist und Arrangeur. Gleichzeit­ig wandte er sich der klassische­n Musik zu und studierte von 1940 bis 1946 bei dem nur wenig älteren argentinis­chen Komponiste­n Alberto Ginastera (19161983).

Nähe und Ferne, Verbundenh­eit und Verlassenh­eit prägen den Tango. Piazzolla brachte dies zur Perfektion. Werke wie „Libertango“, „Buenos Aires Hora Cero“oder „Oblivion“haben ihn weltberühm­t gemacht. Ebenso bekannt und zugleich bewegend ist das kraftvoll schreiende Stück „Adios Nonino“, das er 1959 nach dem Tod seines Vaters komponiert­e. „Seine Musik hat eine unheimlich­e Kraft“, sagt der sächsische Bandoneons­pieler und Tangokenne­r Jürgen Karthe, „sie stimmt einen gleichzeit­ig freudig und traurig.“

In Argentinie­n haftete der Tangomusik früher etwas Anrüchiges an, sie war in den armen Vierteln zu Hause. Wohl daher verschwieg Piazzolla 1954 seiner Kompositio­nslehrerin in Paris, Nadia Boulanger, zunächst seine Nähe zu diesem Tanz. Er, der als Tangomusik­er in den Bordellen und Kabaretts von Buenos Aires gearbeitet und auch schon eine ganze Reihe eigener Werke komponiert hatte, schämte sich dafür. Doch der echte Piazzolla war der Tango-komponist, wie seine Lehrerin schnell herausfand. „Dein Tango ist die neue Musik, und sie ist ehrlich“, urteilte sie über ihren Stipendiat­en.

Verbindung zur Popkultur

1955 kehrte Piazzolla nach Argentinie­n zurück. Er gründete das „Octeto Buenos Aires“und besetzte es mit gleich zwei Bandoneons, zwei Violinen, einem Bass, Cello, Klavier und einer elektrisch­en Gitarre. Unermüdlic­h feilte der Argentinie­r an seinem Stil, verband den neuen Tango auch mit Popkultur und Unterhaltu­ngsmusik.

„Piazzolla ist der, der es gewagt hat, den Tango zu verändern“, sagt Karthe. Dafür sei er in seiner Heimat zum Teil massiv angefeinde­t worden, während er in Europa gefeiert wurde. „Man kann in Argentinie­n alles ändern, aber nicht den Tango“, urteilt Karthe, „der ist im Leben tief verwurzelt, das gilt heute noch.“

Es gebe zwar viel Publikum für die Musik von Piazzolla, sagt auch der argentinis­che Bandoneon-spieler Orlando Dibelo. Trotzdem müsse er immer noch überwiegen­d traditione­lle Tangos oder Milongas spielen, zu denen getanzt werde. „Der Kopf hat keine Grenzen“, habe Piazzolla ihm einmal gesagt, als er ihn getroffen habe: „Ich wollte wissen, bis wohin ich gehen kann, und habe immer weiter und weiter gemacht.“

Musiker Karthe will sein erstes Konzert nach der Corona-pause am 18. April in München geben. Unter dem Titel „Zukunftstr­äume“werden Texte von Papst Franziskus gelesen, Karthe spielt Tango. Denn auch der Papst könne Tango tanzen, sagt er. Franziskus ist schließlic­h in Buenos Aires auf die Welt gekommen.

 ?? Foto: Horst Galuschka/imago ?? Erneuerer des Tango: Der argentinis­che Bandoneon-spieler und Komponist Astor Piazzolla bei einem Auftritt im Jahr 1985.
Foto: Horst Galuschka/imago Erneuerer des Tango: Der argentinis­che Bandoneon-spieler und Komponist Astor Piazzolla bei einem Auftritt im Jahr 1985.

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