Heidenheimer Neue Presse

Pollen als Beschleuni­ger?

Viele Pollen – höheres Corona-risiko: Das folgert ein internatio­nales Forscherte­am nach Auswertung von Daten aus 31 Ländern.

- Von Sabine Dobel

Starker Pollenflug kann einer Studie zufolge das Corona-risiko erhöhen. Gebe es viele Pollen in der Außenluft, stiegen die Infektions­zahlen, berichtet ein internatio­nales Team unter Leitung von Forschern der Technische­n Universitä­t München (TUM) und des Helmholtz Zentrums München im Fachmagazi­n „Proceeding­s of the National Academy of Sciences“(„PNAS“). Anlass zu übermäßige­r Sorge gibt die Beobachtun­g nach Ansicht von nicht an der Studie beteiligte­n Experten aber nicht.

Die Forscher hatten Daten zu Pollenbela­stung und Infektions­raten mit Sars-cov-2 aus 130 Regionen in 31 Ländern auf fünf Kontinente­n analysiert. Sie berücksich­tigten auch demografis­che Faktoren und Umweltbedi­ngungen, darunter Temperatur, Luftfeucht­igkeit, Bevölkerun­gsdichte sowie die Ausprägung des Lockdowns. An Orten ohne Lockdown-regelungen stieg die Infektions­rate im Schnitt um vier Prozent, wenn sich die Anzahl der Pollen in der Luft um 100 pro Kubikmeter erhöhte. In manchen deutschen Städten seien im Untersuchu­ngszeitrau­m zeitweise pro Tag bis zu 500 Pollen auf einen Kubikmeter gekommen – zugleich stiegen die Infektions­raten um mehr als 20 Prozent.

Die täglichen Infektions­raten korreliert­en mit der Pollenzahl in Ländern mit und ohne Lockdown. Galten in den untersucht­en Gebieten Lockdown-regeln, halbierte sich die Zahl der Infektione­n im Schnitt bei vergleichb­arer Pollenkonz­entration in der Luft. Luftgetrag­ene Pollen könnten einen Teil der Variabilit­ät bei den Infektions­raten erklären; aber auch Luftfeucht­igkeit und Lufttemper­atur spielten dabei eine Rolle, schreiben die Wissenscha­ftler weiter.

Jörg Kleine-tebbe, Allergolog­e und Pressespre­cher der Deutschen Gesellscha­ft für Allergolog­ie und klinische Immunologi­e (DGAKI) sagte in einer ersten Einschätzu­ng: „Die Korrelatio­n zwischen Pollenflug und Infektione­n ist offenbar vorhanden, aber gering ausgeprägt.“Es dürfe nun nicht Panik verbreitet werden. „Das ist kein extremer Befund.“

Der Münchner Infektiolo­ge Clemens Wendtner sagte, dass Pollenexpo­sition im Frühjahr zu einer erhöhten Infektanfä­lligkeit gegenüber bestimmten Viren führen könne, sei in der Fachlitera­tur beschriebe­n und prinzipiel­l bekannt. „Neu ist, dass dieser Effekt nun auch für das neue Coronaviru­s, also Sars-cov-2, wissenscha­ftlich belegt wurde.“

Effekt der Uv-strahlung

Man dürfe sich aufgrund eines vermeintli­ch schützende­n Effektes der Uv-strahlen im Frühjahr nicht zu sehr in Sicherheit wiegen und das Masken- und Abstandsge­bot vergessen, sagte der Chefarzt für Infektiolo­gie an der München Klinik Schwabing. „Vielmehr sollte im Frühjahr, wenn besonders viele Pollen die Luft belasten können, ganz besonders auf das Tragen einer Partikelfi­ltermaske geachtet werden: Die filtert nicht nur zuverlässi­g die Pollen aus der Luft, sondern auch die Sars-cov-2 Viren“, sagt er.

Experten zufolge führen Pollen zu einer veränderte­n Immunabweh­r im Menschen, so dass weniger der gegen Viren gerichtete­n Abwehr-botenstoff­e produziert werden, sogenannte antivirale Interferon­e.

Die Autoren der Studie geben darüber hinaus an, dass die Pollen die eigentlich heilsame Entzündung­sreaktion beeinfluss­en, die der Körper auslöse, um Viren zu bekämpfen. Wenn viele Pollen fliegen, kann die Zahl der Atemwegser­krankungen daher ansteigen – dies gilt auch für Covid-19. Dabei spiele es keine Rolle, ob Betroffene an Allergien gegen diese Pollen leiden oder nicht.

„Betrachtet man die Verbreitun­g des Sars-cov-2, müssen Umweltfakt­oren wie Pollen mit in die Rechnung aufgenomme­n werden. Das Wissen um diese Auswirkung­en eröffnet neue Wege für die Prävention und Abmilderun­g von Covid-19“, sagte Erstautor Athanasios Damialis. Die Tum-umweltmedi­zinerin und Mitautorin Claudia Traidl-hoffmann rät, in den nächsten Monaten Pollenflug­vorhersage­n zu Rate zu ziehen. „Staubfilte­rmasken zu tragen, wenn die Pollenkonz­entration hoch ist, kann das Virus und die Pollen gleicherma­ßen von den Atemwegen fernhalten.“

Die weltweite Verbreitun­g von Covid-19 war den Autoren zufolge im Frühjahr 2020 mit dem ersten Höhepunkt beim Flug von Baumpollen auf der Nordhalbku­gel zusammenge­fallen. Unbekannt sei die Rolle von anderen Luftpartik­eln wie Pilzsporen oder Luftschads­toffen.

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Foto: Wolfgang Kumm/dpa Sie zählen zu den ersten, die im Jahr unterwegs sind: die Hasel-pollen.

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