Glücklich an der Pfeife
In der Region kennt ihn eigentlich jeder Fußballer, denn Andrea Ravida ist Unparteiischer. Nach dieser Saison soll für ihn bei den Aktiven Schluss sein. seit 45 Jahren
Andrea Ravida ist auch mit 73 Jahren noch begeisterter Schiedsrichter.
Im Jahr 1976 kam Andrea Ravida, damals noch Flügelflitzer beim AC Milan Heidenheim, sprichwörtlich wie die Jungfrau zum Kind zum Schiedsrichteramt. Er hatte sich breitschlagen lassen, um dem Klub zu helfen und diesem eine Strafe zu ersparen. Ein Glücksfall für den AC Milan, wie sich später herausstellen sollte: Bis heute füllt der gebürtige Süditaliener seine Rolle mit unveränderter Begeisterung aus. Eine Passion für den 73-Jährigen, wie im ersten Teil der neuen Hz-serie über Schiedsrichter deutlich wird.
Herr Ravida, wie geht es Ihnen?
Andrea Ravida: Mir geht es gut, auch mit Corona komme ich klar. Nur meine Knie machen mir etwas Sorgen.
Macht Ihnen das Pfeifen noch Spaß?
Ja,
sehr
viel
Spaß.
Was macht Ihnen denn so viel Spaß daran?
Vor allem sind es die Leute: Viele kennen mich und freuen sich, mich zu sehen, ich bin ja schon so lange dabei. Die Leute haben mich immer freundlich empfangen, da gab es nie Probleme.
Gab es auch mit Spielern oder Trainern nie Probleme?
Klar, Spieler sind auch mal unzufrieden oder undiszipliniert. Aber deshalb habe ich ja auch meine Karten dabei.
Was ist für Sie ein gelungenes Fußballspiel?
Ein Spiel, das gut über die Bühne gegangen ist. Meistens bin ich zufrieden. Natürlich passieren mir auch mal Fehler, die macht jeder.
Haben Sie früher selbst Fußball gespielt?
Ja, mit großer Freude. Ich war sehr schnell und konnte gut flanken. Ich habe viele Jahre für den AC Milan Heidenheim gespielt, aber auch für den VFL Heidenheim. Mit 38 habe ich aufgehört, zu dem Zeitpunkt war ich aber schon einige Jahre Schiedsrichter für den AC Milan.
Warum wurden Sie denn überhaupt Schiedsrichter?
Na, weil niemand sonst wollte
(lacht). Mitte der 1970er-jahre hat der AC Milan Heidenheim jemanden gesucht, der bereit war, sich für den Klub als Schiedsrichter ausbilden zu lassen. Der Verein hätte eine Strafe zahlen müssen, wenn sich keiner gemeldet hätte. Da habe ich mich bereit erklärt zu helfen. Heute denke ich mir manchmal, dass ich sogar noch früher hätte anfangen sollen.
Wie halten Sie sich denn fit?
Früher habe ich noch regelmäßig mit der Mannschaft trainiert. Später habe ich dann mit Waldläufen weitergemacht. Heute gehe ich viel spazieren und fahre etwa zehn Kilometer am Tag mit dem Fahrrad.
Was muss ein guter Schiedsrichter können?
Als erstes braucht ein Schiedsrichter ein gutes Auftreten, das ist das Wichtigste. Dass man die richtigen Worte findet und einen respektvollen Umgang pflegt. Erst kommt immer der Mensch, dann der Spieler oder Schiedsrichter. Dann muss er fit sein und die Regeln ganz genau kennen.
Haben Sie sich in Ihrer Arbeit oder in Ihrem Verhalten auf dem Platz über die Jahre verändert?
Das kann ich gar nicht sagen. Ich war stets freundlich und konnte mit den Spielern und Trainern eigentlich schon immer gut umgehen.
Sind Sie manchmal noch nervös vor einem Spiel?
Nein, schon ganz lange nicht mehr. Ich fühle mich vor den Spielen gut, da gibt es keine Ausnahme.
Was war Ihr schlimmstes Erlebnis als Schiedsrichter?
Ehrlich, ich hatte eigentlich nie große Probleme. Nur ein einziges Mal gab es einen Spielabbruch.
Sind Derbys die schwierigsten Spiele?
Nein, im Gegenteil, das sind die besten Spiele. Da weiß man, um was es geht, und muss besonders konzentriert sein – also nicht nur die Spieler, sondern auch ich als Schiedsrichter.
Was war denn die höchste Spielklasse, in der Sie gepfiffen haben?
Das war die Bezirksliga, bis letztes Jahr habe ich auch noch Bezirksligaspiele geleitet. Jetzt gibt es aber die Regel, dass man ab 70 nicht mehr in der Bezirksliga pfeifen darf.
Werden Sie ab und an beleidigt?
Ja, das passiert schon. Das ist nicht schön, ein Schiedsrichter ist auch ein Mensch, an dem nicht alles spurlos vorbeigeht. So etwas hat leider in den vergangenen Jahren zugenommen.
Ist es überhaupt möglich, dass Sie es allen recht machen?
Nein, das glaube ich nicht. Es gibt immer jemanden, der unzufrieden ist. Probleme hatte ich damit aber nie. Was war das beste Spiel, das Sie gepfiffen haben? Da gibt es natürlich sehr viele
(überlegt länger). Ein Spiel ragt da vielleicht heraus, es ging um den Aufstieg in die Landesliga – der TSV Deizisau und der TSV Köngen waren am letzten Spieltag punktgleich. Es war zudem ein Derby, beide Orte liegen nur wenige Kilometer voneinander entfernt. Das Spiel war packend und ich musste nicht eine einzige gelbe Karte verteilen, so fair haben beide Teams gespielt. Die Spieler haben mich auf dem Platz voll akzeptiert. Weil es so schön war, bin ich abends nach dem Spiel auch besonders lange noch dort geblieben.
Sie sind 73 Jahre alt und noch immer aktiv – wie lange wollen Sie noch weitermachen?
Diese Runde will ich bei den Aktiven noch weitermachen, dann höre ich auf. In der Jugend möchte ich dann noch so 15 Spiele in der Saison pfeifen. Mir ist sehr wichtig, dass die Leute nicht anfangen zu schimpfen. Ich bin es gewohnt, mit allen gut klarzukommen, und mit diesem Gefühl möchte ich auch aufhören.
Was war das größte Kompliment, das Sie bekommen haben?
Das schönste Kompliment habe ich bekommen, als ich zum ersten Mal Linienrichter war, im Spiel Ditzingen gegen Reutlingen, damals hatte Fredi Bobic noch für Ditzingen gespielt. Nach dem Spiel kam der Spielbeobachter zum verantwortlichen ersten Schiedsrichter und meinte: „Da hast du einen Linienrichter gefunden, der hat keinen einzigen Fehler gemacht.“
Was war die fairste Aktion eines Spielers?
Das war in einem Spiel in der Kreisliga A: Es ging um Abstieg oder Aufstieg und es fiel ein Tor, das ich dann auch geben wollte, doch der Torschütze kam plötzlich auf mich zu und meinte: „Herr Schiedsrichter, Sie dürfen das Tor nicht geben, ich habe den Ball mit der Hand gespielt.“Das war super, das muss ich ehrlich sagen, in so einem wichtigen Spiel so viel Ehrlichkeit zu erleben.