Heidenheimer Neue Presse

Keine Einnahmen aus dem Reitunterr­icht

Kein Einkommen aus Reit- und Voltigieru­nterricht, doch die Kosten für die Versorgung der Tiere laufen weiter. Reitschule­n wie der Reit- und Fahrverein Giengen kämpfen ums Überleben.

- Von Melanie Schiele

Der Reit- und Fahrverein konnte in der Pandemie bisher alle Pferde behalten. Das ist nicht selbstvers­tändlich.

Der Reit- und Fahrverein Giengen kann sich vergleichs­weise glücklich schätzen: Alle 14 Schulpferd­e auf der Reitanlage Brunnenfel­d sind noch da. In Zeiten von Corona ist dies nicht selbstvers­tändlich. „Die Situation ist für alle Reitschule­n prekär“, so Vorsitzend­er Joachim Roske. Er ist zugleich Vorsitzend­er des Pferdespor­tkreises, der als Bindeglied zwischen dem Pferdespor­tverband und den Pferdespor­tvereinen im Landkreis wirkt. Vom Verband weiß Roske, dass einige Vereine in Baden-württember­g Pferde verkaufen mussten, um die Kosten für Futter und Pflege zu senken – und dies zum Teil für wenig Geld. Der Grund: Es fehlen Einnahmen. Beim Reit- und Fahrverein Giengen sind es rund 50 Prozent. Seit einem Jahr kann kein Reitunterr­icht angeboten werden. Viele Veranstalt­ungen wie Ferienreit­kurse, Reitabzeic­henlehrgän­ge, Kindergebu­rtstage oder Kooperatio­nen mit Schulen und Einrichtun­gen mussten abgesagt werden oder fanden zwischen den Lockdowns nur in sehr kleinem Rahmen statt.

Bewegung für Pferde elementar

Der Verein befindet sich in der glückliche­n Lage, dass sowohl Schulpferd­e als auch die Reitanlage im Privatbesi­tz sind und nach Bedarf genutzt werden. Damit dies so bleiben kann, hat man nach einer Lösung gesucht, wie die Versorgung der Tiere trotz Pandemie sichergest­ellt werden kann, ohne die finanziell­e Belastung noch weiter zu steigern. Um kein zusätzlich­es Personal einstellen zu müssen, das die Schulpferd­e in Bewegung und damit gesund hält, hat man ein Reitbeteil­igungssyst­em eingeführt. Einige fortgeschr­ittene Reiter haben Besitzrech­te erworben und kümmern sich selbststän­dig um die Pferde. „So ist für das Wohl der Tiere gesorgt, das an vorderster Stelle steht, und die Reiter können zu den Pferden. Denn genauso wie das Pferd den Menschen braucht, ist es umgekehrt“, erläutert Vera Roske. Die Frau des Vorsitzend­en ist Reitlehrer­in und ebenfalls sehr aktiv im Verein.

Um die Kontakte unter den Reitern zu reduzieren, hat man Zeitfenste­r eingericht­et. Durch die sehr große Reithalle und die lange Stallgasse können mehrere Personen gleichzeit­ig kommen und trotzdem genug Abstand halten. Da sich neben den Schulpferd­en auch Freizeitpf­erde – insgesamt etwa 50 – auf der Reitanlage befinden, sind die Tage im Brunnenfel­d lang. Um allen die Möglichkei­t zu geben, ihre Pferde zu bewegen, beginnt das Team Roske morgens um 5 Uhr mit der Arbeit. Die ersten Reiter kommen um 7 Uhr, die letzten gehen um 22 Uhr. Dann muss der Hallenbode­n für den nächsten Tag vorbereite­t werden. „Das geht seit einem Jahr so und ist ein enormer Stress für den Körper“, so Joachim Roske. Eine Erleichter­ung ist im April in Sicht, wenn die Pferde auf der Koppel Auslauf bekommen.

Kein Unterricht trotz Erlaubnis

Die Vereinsmit­glieder achten nicht nur aus Eigenschut­z penibel auf die Corona-regeln. „Wenn sich ein Reiter mit dem Virus infiziert und in Quarantäne muss, kann er zwei Wochen nicht zu seinem Pferd.“Der Verein ist sogar noch eine Spur vorsichtig­er als die Corona-verordnung­en. Obwohl in Baden-württember­g Reitunterr­icht seit 8. März unter Einhaltung der Kontaktbes­chränkunge­n gestattet ist, verzichtet er bislang darauf. Angesichts insgesamt steigender Infektions­zahlen und der sich verbreiten­den Virusmutat­ionen wäre es noch zu früh dafür, meint Vera Roske. Ihr tun vor allem die Kinder und Jugendlich­en leid, die nicht im Reitbeteil­igungssyst­em sind und die Interaktio­n mit den Pferden vermissen.

Weniger Mitglieder

Das Ehepaar befürchtet, dass der Reitsport langfristi­g Schaden nehmen könnte. „Jedes verkaufte Schulpferd ist ein Verlust für unsere Sportart, da weniger Kindern das Reiten beigebrach­t werden kann.“Brave, zuverlässi­ge Pferde, die die Arbeit mit den Kindern jeden Tag mitmachen, seien schwer zu finden und kostspieli­g. Beim Giengener Reit- und Fahrverein schlage sich der Corona-effekt bereits in den Mitglieder­zahlen nieder. Diese sind in einem Jahr um 44 Mitglieder auf 132 gesunken. Der Vorsitzend­e führt das auf unterschie­dliche Faktoren zurück, wie den gestiegene­n finanziell­en Druck durch Kurzarbeit oder die Umorientie­rung zu erlaubtem Individual­sport im Freien.

Im Sommer hat der Verein zwar 30 Interessen­ten werben, wegen des zweiten Lockdowns jedoch nicht halten können. „Über die Jahrhunder­te wurde nicht nur unser Wohlstand auf den Rücken der Pferde begründet, sondern es ist auch eine Freundscha­ft zwischen Mensch und Pferd entstanden. Pferde sind mittlerwei­le Kulturgut. Das ist erhaltensw­ert.“

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Foto: Rudi Penk Wegen Corona fehlt dem Reit- und Fahrverein rund die Hälfte der Einnahmen. Dennoch kann sich der Verein glücklich schätzen: keines der Schulpferd­e musste verkauft werden.

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