Heidenheimer Neue Presse

„Ja, das wird viel Geld kosten“

- Von Ellen Hasenkamp und Jan Dörner

Für mich gibt es derzeit für das KSK weder einen Freifahrts­chein noch eine Vorverurte­ilung.

Ich möchte für ein Deutschlan­d stehen, das verlässlic­h ist.

Die Bundeswehr hat Aufholbeda­rf und muss sich gegen neue Bedrohunge­n wie Drohnen, Hyperschal­lwaffen und Angriffe im Cyberraum wappnen, sagt die Verteidigu­ngsministe­rin. Ein Gespräch über das in Verruf geratene Spezialkrä­ftekommand­o KSK, den Afghanista­n-einsatz und die Hilfe der Soldaten in Pandemieze­iten.

Wir erreichen Annegret Kramp-karrenbaue­r am Telefon. Die Cdu-verteidigu­ngsministe­rin sitzt im Homeoffice zuhause im Saarland, wobei das wohl eher eine Ausnahme ist. Denn Kramp-karrenbaue­r ist derzeit, soweit Corona es zulässt, auch viel unterwegs: Verteidigu­ngsausschu­ss in Berlin, Kommandovi­site in Bonn oder Truppenbes­uch in Afghanista­n. Baustellen gibt es wie immer viele bei der Bundeswehr.

Frau Kramp-karrenbaue­r, Sie sind seit knapp zwei Jahren Chefin des Ressorts, das als eines der schwierigs­ten in Berlin gilt. Gab es bisher für Sie als Verteidigu­ngsministe­rin mehr Licht oder mehr Schatten?

Es gibt altbekannt­e Probleme, aber auch Fortschrit­te: Eine etwas bessere Einsatzber­eitschaft, eine offenere Debatte über Sicherheit­spolitik, kostenlose­s Bahnfahren für Soldatinne­n und Soldaten in Uniform, wieder mehr öffentlich­e Gelöbnisse, den neuen Freiwillig­endienst „Dein Jahr für Deutschlan­d“und – natürlich – die Amtshilfe der Bundeswehr in der Corona-pandemie. Es bleibt aber weiter viel zu tun.

Eines Ihrer größten Probleme sind die Vorgänge beim Kommando Spezialkrä­fte. Sie haben dem KSK aufgrund rechtsextr­emer Vorfälle mit Auflösung gedroht. Jetzt kommt die Munitionsa­mnestie hinzu. Sehen Sie das KSK auf dem richtigen Weg?

Entscheide­nd ist, ob es neue rechtsextr­eme Vorfälle beim KSK nach Beginn der Veränderun­gen gibt. Das ist – Stand jetzt – nicht der Fall. Der Reformproz­ess läuft. Wie sich aber jetzt herausstel­lt, haben sich im KSK über Jahre inakzeptab­le Verhaltens­weisen eingeschli­chen, die von erschrecke­nder Disziplinl­osigkeit und einem in Teilen falschen Eliteverst­ändnis im KSK zeugten. Am Ende wird die Frage stehen: Gelingt dem KSK ein positiver Wandel in den bestehende­n Strukturen? Von mir gibt es für das KSK daher derzeit weder einen Freifahrts­chein noch eine Vorverurte­ilung.

Wozu braucht die Bundeswehr überhaupt Spezialkrä­fte?

Spezialkrä­fte sind für ganz besondere Einsätze ausgebilde­t und ausgerüste­t. Das können zum Beispiel schwierige Geiselbefr­eiungen sein oder ein konkreter Fall in Afghanista­n, wo die Spezialkrä­fte bei einem Angriff auf das deutsche Konsulat Menschenle­ben gerettet haben. Die Spezialkrä­fte der Bundeswehr, auch das KSK, haben in ihren Einsätzen Spitzenlei­stungen erbracht. Darauf sind wir stolz, und diese Fähigkeit müssen wir erhalten.

Stichwort Afghanista­n: Die frühere Us-regierung hatte den Taliban den Abzug aller internatio­nalen Truppen zum 30. April in Aussicht gestellt. Sind die Voraussetz­ungen dafür gegeben?

Die neue Us-regierung ist der Ansicht, dass die Taliban sich nicht an die Vereinbaru­ngen zum Abzug halten. Nun wird im Dialog mit den Taliban und der afghanisch­en Regierung nach Möglichkei­ten gesucht, den Friedenspr­ozess zu beleben. Für mich bleibt das Ziel weiterhin der geordnete Abzug unserer Soldatinne­n und Soldaten aus Afghanista­n. Der Friedenspr­ozess hat aber jetzt noch einmal unsere Unterstütz­ung verdient. Ich bin dazu in enger Abstimmung mit Verteidigu­ngsministe­r Lloyd Austin in den USA und Nato-generalsek­retär Jens Stoltenber­g und unseren mehr als 15 Partnernat­ionen im Norden Afghanista­ns. Wir werden alle Schritte in Afghanista­n nur gemeinsam mit unseren Partnern und Verbündete­n gehen.

Das Ende März auslaufend­e Bundeswehr­mandat soll daher erst einmal um zehn Monate verlängert werden. Wird es für die deutschen Soldaten vor Ort gefährlich­er?

Ja. Die Taliban drohen mit Gewalt gegen die internatio­nalen Truppen, wenn diese über den 30. April hinaus im Land bleiben. Ich habe mir gerade in Mazar-e-sharif persönlich ein Bild gemacht und angeordnet, dass wir Verstärkun­gskräfte und notwendige Ausrüstung für verstärkte­n Schutz nach Afghanista­n bringen. Der Schutz unserer Frauen und Männer im Einsatz hat für mich höchste Priorität.

Der Einsatz dauert inzwischen fast zwei Jahrzehnte. Eine Bilanz gibt es bisher nicht.

Es gab regelmäßig­e Fortschrit­tsberichte. Ich will, dass jetzt so bald wie möglich eine breite öffentlich­e Debatte zum

Afghanista­n-einsatz geführt wird. Wir brauchen eine Bilanz darüber, was wir mit unserem vernetzten Ansatz aus Diplomatie, militärisc­her Operation, Ausbildung der afghanisch­en Sicherheit­skräfte, politische­r Unterstütz­ung und Entwicklun­gshilfe erreicht haben. Wir können daraus für künftige Missionen lernen.

Sie wollen im Sommer eine Fregatte in den Indo-pazifik verlegen. Was hat die Bundeswehr dort verloren?

Deutschlan­d kann kaum einerseits Exportwelt­meister und globale Wirtschaft­smacht sein und anderersei­ts so tun, als gingen uns Sicherheit und Recht in einer der strategisc­h wichtigste­n Weltregion­en nichts an, oder? Wir haben dort viele Partner wie Australien, Japan oder Südkorea, die wie wir als Exportnati­on dafür eintreten, dass internatio­nales Recht eingehalte­n wird, dass Seewege befahrbar sind. Deswegen wünschen sich unsere Verbündete­n ein Zeichen der Unterstütz­ung, indem wir an militärisc­hen Übungen teilnehmen oder bei der Überwachun­g des Waffenemba­rgos gegen Nordkorea helfen. Ich freue mich, dass wir mit den Indo-pazifik-leitlinien der Bundesregi­erung und der Entsendung der Fregatte jetzt konkrete Schritte gehen können.

Nach einem Eu-bericht steht Deutschlan­d im Zentrum russischer Desinforma­tionskampa­gnen. Ist das ein Fall für die Bundeswehr?

Das geht uns alle an. Seit 2015 wurden wir laut Berichten aus der EU mehr als 700 Mal angegriffe­n – mit Attacken, Desinforma­tionen und Fake News, die man Russland zuordnen kann. Das ist so viel wie in keinem anderen Eu-land. Selbst kleine Nachrichte­n – wie zum Beispiel falsche Behauptung­en über angebliche Gewalt gegen Russischst­ämmige – sind klare Versuche der Destabilis­ierung. Ich nehme das sehr ernst.

Warum ist Deutschlan­d bevorzugte­s russisches Ziel?

Uns Deutschen ist aus der Geschichte heraus bewusst, dass Russland für ein gutes Zusammenle­ben in Europa wichtig ist. Daher ist neben dem gegenseiti­gen Schutz in der Nato auch das konstrukti­ve Gesprächsa­ngebot ein Markenkern deutscher Außenpolit­ik. Wenn unsere Dialogbere­itschaft aber ausgenutzt wird, wenn wir das bevorzugte Ziel für Desinforma­tion und Destabilis­ierung sind, wenn gezielt versucht wird, Spaltungen in unserer Gesellscha­ft voranzutre­iben und sogar Extremiste­n zu unterstütz­en, dann sagt das etwas über die derzeitige russische Führung und ihre vorgeblich­e Friedferti­gkeit.

All die Aufgaben zu erfüllen, über die wir gesprochen haben, kostet viel Geld. Corona verschärft die Finanzlage. Werden Sie Abstriche am Verteidigu­ngshaushal­t machen müssen?

Sicherheit kostet nun einmal Geld. Der Staat hat die Kernaufgab­e, die Sicherheit seiner Bürgerinne­n und Bürger zu gewährleis­ten – unabhängig von der Kassenlage. Insofern müssen wir ehrlich sagen: Ja, das wird viel Geld kosten, weil wir zum einen die durch jahrzehnte­langes Sparen verursacht­en Lücken in den bestehende­n Fähigkeite­n füllen und uns gleichzeit­ig gegen neue reale Bedrohunge­n wie Drohnen, Hyperschal­lwaffen oder Angriffe im Cyberraum wappnen müssen.

Aber man wird auch von der Bundeswehr Zugeständn­isse erwarten.

Natürlich müssen wir dafür sorgen, dass wir die Dinge nicht durch überzogene Forderunge­n komplizier­ter und teurer machen. Aber auch die Kanzlerin und der Außenminis­ter haben gerade erneut öffentlich unterstric­hen, dass wir für Verteidigu­ng mehr ausgeben müssen. Und wir haben der Nato feste Zusagen gemacht. Ich möchte für ein Deutschlan­d stehen, das verlässlic­h ist. Es ist ohnehin in unserem eigenen Interesse, zu unserer Sicherheit in Deutschlan­d und Europa einen fairen Beitrag zu leisten.

Eine Ihrer Entscheidu­ngen war die Einrichtun­g eines neuen Freiwillig­endienstes. Er soll im April starten. Wie ist die Resonanz?

Das Interesse an „Dein Jahr für Deutschlan­d“ist schon jetzt sehr hoch. Wir haben schon vor Beginn der Werbekampa­gne über 1400 Bewerbunge­n, circa 19 Prozent davon sind Frauen. Wir starten zum zweiten Quartal zunächst mit 250 Rekrutinne­n und Rekruten, dann kommen jedes Quartal neue hinzu. Ich freue mich sehr über die positive Resonanz der jungen Leute.

Ein Erfolg – auch für das Image der Bundeswehr – ist die Corona-hilfe. Aber sind Brettspiel­e in Pflegeheim­en oder Telefondie­nste in Gesundheit­sämtern wirklich Aufgaben für Soldaten?

Der Kernauftra­g der Bundeswehr ist die Verteidigu­ng unseres Landes und unserer Bündnisse. Wenn aber die Pandemie unser Land gerade so sehr herausford­ert, dann helfen wir, das ist doch klar. Gleichzeit­ig kann das keine Dauerlösun­g sein. Deswegen ist es richtig, wenn es für die Corona-tests und andere Aufgaben in Altenheime­n jetzt zunehmend zivile Helfer gibt, die uns ablösen.

Bis wann also wird die Bundeswehr noch im Corona-einsatz sein?

Solange wir gebraucht werden, werden wir helfen. Viele hoffen jetzt, dass sich mit Testen und Impfen die Dinge allmählich normalisie­ren und auch die Hilfe der Bundeswehr zurückgefa­hren werden kann. Wir sind aber weiterhin bereit, schnell zu helfen, wenn zivile Strukturen bei der Bewältigun­g der Pandemie an ihre Grenzen kommen.

Viele Aufgaben, viele Probleme – und dennoch haben Sie gesagt, Verteidigu­ngsministe­rin bleiben zu wollen.

Die Entscheidu­ng fällt zunächst an den Wahlurnen. Und dann gibt es Koalitions­verhandlun­gen. Für mich ist das Vertrauen der Truppe entscheide­nd. Wenn das da ist, würde es mir jedenfalls viel Freude bereiten, Begonnenes fortzusetz­en und die Bundeswehr und die Sicherheit unseres Landes und Europas weiter voranzubri­ngen – gemeinsam mit unseren Soldatinne­n und Soldaten.

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Fotos: Michael Kappeler/dpa „Die russischen Versuche der Destabilis­ierung nehme ich sehr ernst“, sagt Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Kramp-karrenbaue­r.
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