Heidenheimer Neue Presse

Roman Joachim B. Schmidt: Kalmann (Folge 41)

- Fortsetzun­g folgt

Ich musste grinsen. Manchmal muss ich grinsen, auch wenn ich gar nicht grinsen will. Der Reporter wusste genau, wer ich war, und hatte mich auch gleich erkannt. So was passiert eigentlich nur berühmten Leuten, und darum grinste ich, denn ich war verwirrt und zugleich stolz und wäre am liebsten davongelau­fen, blieb aber stehen.

Der Reporter stellte sich mir vor, sagte, dass er von der Tagesschau sei, nannte mir auch seinen Namen, den ich dann gleich wieder vergaß, aber immer, wenn ich seine Brille und seine rote Fliege im Fernsehen sehe, rufe ich:

„Der hat ein Interview mit mir gemacht!“

Und genau das wollte er von mir; ein Interview, denn er hatte gehört, dass ich die Blutlache gefunden hatte, und er wollte mir dazu ein paar Fragen stellen. Ich sagte ihm auch gleich, wo ich die Blutlache gefunden hatte, nämlich oben beim Arctic Henge, denn schließlic­h war das jetzt eine staatliche Angelegenh­eit, und da will man behilflich sein, das ist einfach so. Aber der Reporter unterbrach mich und sagte, ich müsse ihm noch nicht gleich alles erzählen, der Kameramann sei noch nicht bereit. Und dann besprach er mit ihm Filmtechni­sches, das ist normal, das ist immer so bei Fernsehint­erviews. Sie baten mich, in der Nähe der alten Ausschmelz-halle Aufstellun­g zu nehmen, die ganz schön verlottert war – rostige Türen, eingeschla­gene Scheiben, ein schiefes Förderband, das mit letzter Kraft am rostigen Gerüst hing –, was ich komisch fand, denn das Mckenzie-gefrierhau­s nebenan war vor zwei Jahren frisch gestrichen worden und gehörte schließlic­h dem Vermissten, hätte also besser in den Hintergrun­d gepasst, aber man sagt ja einem Reporter vom Staatsfern­sehen nicht, wie er die Arbeit zu machen hat.

Der Kameramann klappte ein Stativ auseinande­r, befestigte daran eine Lampe, steckte ihr Akkus an und knipste sie an. Das weiße Licht blendete mich, doch solange ich nicht direkt in die Lampe guckte, war es nicht so schlimm. Der Reporter schob mich auf Geheiß des Kameramann­s noch etwas nach links und noch ein Stück, ja, genau hier, perfekt, und dann fragte der Reporter noch, ob er schon aufnehme, und der Kameramann, der sich übrigens nicht vorgestell­t hatte, sagte von oben herab, er nehme schon lange auf, worauf mich der Reporter eine Weile anguckte, als überlegte er sich eine Frage. Und dann fragte er unverhofft:

„Róbert Mckenzie wird seit vorgestern vermisst. Du hast eine Blutlache im Schnee gefunden. Glaubst du, es besteht ein Zusammenha­ng?“

„Ja“, sagte ich.

Der Reporter schaute mich abwartend an. Ich wich seinem Blick aus, guckte ins gleißende Licht der Lampe und sah für ein paar Sekunden nichts mehr.

„Glaubst du, dass Róbert Mckenzie da oben ermordet wurde?“

„Nein“, sagte ich.

Der Reporter senkte das Mikrophon und sagte, ich dürfe gerne mehr sagen, nicht bloß ja oder nein, ich dürfe sagen, was mir gerade in den Sinn komme, ich brauche nicht nervös zu sein und ich solle auch mal atmen.

Sobald er das gesagt hatte, bekam ich Atemnot. Ich hatte bis dahin noch gar nicht die Zeit gehabt, nervös zu sein, obwohl ich tatsächlic­h vergessen hatte zu atmen. Ich war irgendwie damit beschäftig­t gewesen, die zwei Fernsehleu­te bei der Arbeit zu beobachten. Ich fragte mich etwa, wie viel die Kamera wog, denn ich vermutete, dass sie ziemlich schwer war, und ich fragte mich, ob ich nach dem Interview ebendiese Kamera würde auf die Schulter nehmen dürfen, einfach, um es mal auszuprobi­eren, und ich hätte gerne gesehen, wie ich eigentlich auf dem Bild aussah. Würde ich den Tagesschau-ausschnitt zugeschick­t bekommen? Solche Sachen gingen mir durch den Kopf. Aber sobald mir der Reporter gesagt hatte, dass ich nicht nervös zu sein brauchte, wurde ich richtig nervös. Mein Puls ging durch die Wolkendeck­e! Und ich dachte an das Verhör mit Birna und daran, dass sie immer sehr zufrieden mit meinen Antworten gewesen war, ob es nun ja oder nein war, solange ich nicht bloß nickte oder den Kopf schüttelte. Aber der Reporter hatte völlig andere Wünsche, und darum musste ich mich jetzt komplett umstellen, und das machte mich dann doch nervös.

© Diogenes Verlag

Zürich

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany