Der exotische Traum
Wie Bilder das Fernweh der Niederländer linderten: Mit „Rembrandts Orient“präsentiert das Potsdamer Museum Barberini seine erste große Ausstellung nach dem Lockdown.
Heute würde man von kultureller Aneignung sprechen. Die bürgerlichen Auftraggeber in den Niederlanden des 17. Jahrhunderts, die sich in Turban und Goldbrokat, in schimmernder Seide, mit Kaftan, Pluderhosen oder Krummsäbel porträtieren ließen, hatten zumeist nie einen Fuß in den Orient gesetzt. Aber sie hatten womöglich so einen persischen Teppich zu Hause, einen japanischen Morgenmantel, eine chinesische Teetasse oder zumindest Gewürze wie Nelken, Pfeffer, Muskat oder Zimt. Und sie nutzten den Prunk der Gewänder zur Selbstdarstellung: Das „Eigene im Fremden entdecken“, nennt es das Museum Barberini.
Die Pracht des Orients, den man lange vor dem im 19. Jahrhundert verbreiteten Orientalismus zwischen Levante und Asien ansiedelte, wirkte auch deswegen so verführerisch, weil die Kirchen in den calvinistischen Niederlanden weiß, hell, schmucklos, karg erschienen. Da war der Prunk, den die Künstler der Zeit oft mit alttestamentarischen Szenen verknüpften, das verlockende, mystische Gegenbild. Insbesondere Rembrandts oft dunkle, nur von einer Lichtquelle erhellte Räume, in der Gold und Edelstein verführerisch schimmern, bedienten die Sehnsucht nach Reichtum und Tausendundeiner Nacht, ohne die Grundierung in der Religion zu verleugnen.
Die Niederlande nie verlassen
Die Ausstellung „Rembrandts Orient“, die nach einer ersten Station in Basel nun im Potsdamer Museum Barberini zu sehen ist, zelebriert auf edel dunkelgrünem Fond die Pracht der Kunst, ohne die Schattenseiten zu verschweigen. Was in den Bildern nicht oder nur ins Allegorische gewendet gezeigt wird, nämlich dass der Erwerb der Reichtümer oft einherging mit Krieg und Gewalt, oft auch mit Ausbeutung, Unterdrückung und Sklaverei, versucht eine Gesprächsreihe „Rembrandt aktuell“zu thematisieren. Kurator Michael Philipp spricht etwa mit Tahir Della von der Initiative
Schwarzer Menschen in Deutschland, Anna von Rath vom Verein Postcolonial Potsdam und Kadir Sancı von der Uni Potsdam.
Als „erste Globalisierung“bezeichnet Museumschefin Ortrud Westheider das 17. Jahrhundert in den Niederlanden: „Auch in der Kunst war zu spüren, dass Europa nur noch eine der vielen Regionen auf der Welt ist.“Der globale Handel brachte exotische Objekte wie Porzellan und Nautilusmuscheln in die Niederlande – und auch den einen oder anderen Turbanträger, den Berrit Adriaensz Berckheyde vor dem neuen Rathaus von Amsterdam abbildet. Hier könnte auch Rembrandt, der die Niederlande nie verließ, solche „Exoten“gesehen haben – eine Federzeichnung zeugt davon.
Doch die meisten der rund 110 Gemälde, die in Potsdam gezeigt werden, schildern keine Realität, sondern Phantasie. Tronies, Porträtstudien
markanter Charakterköpfe, verwenden Stoffe und Staffage aus dem Fundus, und so mancher Bürger lässt sich mit seiner Frau auf seinem Hochzeitsbild in der Rolle von Esther und Ahasverus porträtieren. Klischees, Stereotypen, aber auch schlichte Mode-accessoires prägen die Szenerien, und selbst wer vor Ort war wie der Maler Andries Beeckman, der den Markt von Batavia, dem heutigen Jakarta, wiedergibt, nutzt eher Staffagefiguren als reale Straßenszenen.
Und doch glaubten die Zeitgenossen, genau Bescheid zu wissen. So attestiert der Maler Philips Angel seinem großen Vorbild Rembrandt bei dessen Darstellung von Simsons Hochzeit besondere Authentizität, weil die dargestellten Herren bei Tisch lägen, „wie es noch in diesen Ländern bei den Türken gebräuchlich ist“. Das Bild aus den Staatlichen
Kunstsammlungen Dresden ist das Highlight der Ausstellung. Doch selbst so mancher zeitgenössische Wissenschaftler wie Jacob van Meurs mit seinem Kupferstich-konvolut „Asia“hatte das gelobte Land nie gesehen.
Wie gut, dass das Thema Reisen für die allermeisten der aus
Budapest, Kopenhagen, London, Madrid, Los Angeles oder Israel nach Potsdam gelangten Werke in Corona-zeiten nicht mehr zum Problem werden konnte, da sie schon im vergangenen Jahr nach Basel gekommen waren. Dass diese Ausstellung just jetzt eröffnet wird, eine Woche, nachdem Museen wieder ihre Tore auftun dürfen, ist weniger gutes Timing als schieres Glück.
Vor einem Jahr machte der erste Lockdown der bis dahin hervorragend laufenden Ausstellung „Monet.orte“im Barberini einen Strich durch die Rechnung – 200 000 vorbestellte Tickets habe man rückabwickeln müssen, erklärt Pressesprecher Achim Klapp. Damit das der Rembrandt-ausstellung nicht ebenso ergeht, entschied man im Sommer 2020, sie zu verschieben – und legte damals als Eröffnungsdatum den 13. März 2021 fest.