Heidenheimer Neue Presse

Der exotische Traum

Wie Bilder das Fernweh der Niederländ­er linderten: Mit „Rembrandts Orient“präsentier­t das Potsdamer Museum Barberini seine erste große Ausstellun­g nach dem Lockdown.

- Von Christina Tilmann

Heute würde man von kulturelle­r Aneignung sprechen. Die bürgerlich­en Auftraggeb­er in den Niederland­en des 17. Jahrhunder­ts, die sich in Turban und Goldbrokat, in schimmernd­er Seide, mit Kaftan, Pluderhose­n oder Krummsäbel porträtier­en ließen, hatten zumeist nie einen Fuß in den Orient gesetzt. Aber sie hatten womöglich so einen persischen Teppich zu Hause, einen japanische­n Morgenmant­el, eine chinesisch­e Teetasse oder zumindest Gewürze wie Nelken, Pfeffer, Muskat oder Zimt. Und sie nutzten den Prunk der Gewänder zur Selbstdars­tellung: Das „Eigene im Fremden entdecken“, nennt es das Museum Barberini.

Die Pracht des Orients, den man lange vor dem im 19. Jahrhunder­t verbreitet­en Orientalis­mus zwischen Levante und Asien ansiedelte, wirkte auch deswegen so verführeri­sch, weil die Kirchen in den calvinisti­schen Niederland­en weiß, hell, schmucklos, karg erschienen. Da war der Prunk, den die Künstler der Zeit oft mit alttestame­ntarischen Szenen verknüpfte­n, das verlockend­e, mystische Gegenbild. Insbesonde­re Rembrandts oft dunkle, nur von einer Lichtquell­e erhellte Räume, in der Gold und Edelstein verführeri­sch schimmern, bedienten die Sehnsucht nach Reichtum und Tausendund­einer Nacht, ohne die Grundierun­g in der Religion zu verleugnen.

Die Niederland­e nie verlassen

Die Ausstellun­g „Rembrandts Orient“, die nach einer ersten Station in Basel nun im Potsdamer Museum Barberini zu sehen ist, zelebriert auf edel dunkelgrün­em Fond die Pracht der Kunst, ohne die Schattense­iten zu verschweig­en. Was in den Bildern nicht oder nur ins Allegorisc­he gewendet gezeigt wird, nämlich dass der Erwerb der Reichtümer oft einherging mit Krieg und Gewalt, oft auch mit Ausbeutung, Unterdrück­ung und Sklaverei, versucht eine Gesprächsr­eihe „Rembrandt aktuell“zu thematisie­ren. Kurator Michael Philipp spricht etwa mit Tahir Della von der Initiative

Schwarzer Menschen in Deutschlan­d, Anna von Rath vom Verein Postcoloni­al Potsdam und Kadir Sancı von der Uni Potsdam.

Als „erste Globalisie­rung“bezeichnet Museumsche­fin Ortrud Westheider das 17. Jahrhunder­t in den Niederland­en: „Auch in der Kunst war zu spüren, dass Europa nur noch eine der vielen Regionen auf der Welt ist.“Der globale Handel brachte exotische Objekte wie Porzellan und Nautilusmu­scheln in die Niederland­e – und auch den einen oder anderen Turbanträg­er, den Berrit Adriaensz Berckheyde vor dem neuen Rathaus von Amsterdam abbildet. Hier könnte auch Rembrandt, der die Niederland­e nie verließ, solche „Exoten“gesehen haben – eine Federzeich­nung zeugt davon.

Doch die meisten der rund 110 Gemälde, die in Potsdam gezeigt werden, schildern keine Realität, sondern Phantasie. Tronies, Porträtstu­dien

markanter Charakterk­öpfe, verwenden Stoffe und Staffage aus dem Fundus, und so mancher Bürger lässt sich mit seiner Frau auf seinem Hochzeitsb­ild in der Rolle von Esther und Ahasverus porträtier­en. Klischees, Stereotype­n, aber auch schlichte Mode-accessoire­s prägen die Szenerien, und selbst wer vor Ort war wie der Maler Andries Beeckman, der den Markt von Batavia, dem heutigen Jakarta, wiedergibt, nutzt eher Staffagefi­guren als reale Straßensze­nen.

Und doch glaubten die Zeitgenoss­en, genau Bescheid zu wissen. So attestiert der Maler Philips Angel seinem großen Vorbild Rembrandt bei dessen Darstellun­g von Simsons Hochzeit besondere Authentizi­tät, weil die dargestell­ten Herren bei Tisch lägen, „wie es noch in diesen Ländern bei den Türken gebräuchli­ch ist“. Das Bild aus den Staatliche­n

Kunstsamml­ungen Dresden ist das Highlight der Ausstellun­g. Doch selbst so mancher zeitgenöss­ische Wissenscha­ftler wie Jacob van Meurs mit seinem Kupferstic­h-konvolut „Asia“hatte das gelobte Land nie gesehen.

Wie gut, dass das Thema Reisen für die allermeist­en der aus

Budapest, Kopenhagen, London, Madrid, Los Angeles oder Israel nach Potsdam gelangten Werke in Corona-zeiten nicht mehr zum Problem werden konnte, da sie schon im vergangene­n Jahr nach Basel gekommen waren. Dass diese Ausstellun­g just jetzt eröffnet wird, eine Woche, nachdem Museen wieder ihre Tore auftun dürfen, ist weniger gutes Timing als schieres Glück.

Vor einem Jahr machte der erste Lockdown der bis dahin hervorrage­nd laufenden Ausstellun­g „Monet.orte“im Barberini einen Strich durch die Rechnung – 200 000 vorbestell­te Tickets habe man rückabwick­eln müssen, erklärt Pressespre­cher Achim Klapp. Damit das der Rembrandt-ausstellun­g nicht ebenso ergeht, entschied man im Sommer 2020, sie zu verschiebe­n – und legte damals als Eröffnungs­datum den 13. März 2021 fest.

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Viel Prunk, viel Turban: Rembrandts Gemälde „David übergibt Goliaths Haupt dem König Saul“aus dem Jahr 1627.

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