Heidenheimer Neue Presse

Kretschman­n will „Geist der Notbremse“im Land

Ministerpr­äsident pocht auf harten Lockdown zu Ostern. Wie die Bund-länder-beschlüsse im Detail umgesetzt werden, ist noch offen.

- Rol/dpa

Die Menschen in Badenwürtt­emberg müssen sich wegen stark steigender Corona-infektions­zahlen auf härtere Auflagen über Ostern bis Mitte April einstellen. Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) kündigte an, die vom Bund und den Ländern verschärft­e Notbremse bei einer 7-Tage-inzidenz von über 100 Neuinfekti­onen pro 100 000 Einwohner in einer Woche konsequent umzusetzen. In Baden-württember­g betrug die Inzidenz am Dienstag 101,9.

Für Kitas und Schulen werde sich bis zu den Osterferie­n nichts ändern; wie es danach weitergehe­n soll, deutete Kretschman­n nur an. Den „Geist der Notbremse“wolle man auch bei Schulen und Kitas in Hotspot-regionen anwenden. Zuletzt war im Gespräch, bei einer Inzidenz von 200 Schulen und Kitas zu schließen.

Wie von der Bund-länderkonf­erenz beschlosse­n, soll von Gründonner­stag bis Ostermonta­g auch in Baden-württember­g das öffentlich­e Leben „scharf herunterge­fahren werden“. Der

Bund müsse aber erst durch eine Mustervero­rdnung zeigen, was rechtlich möglich sei, etwa mit Blick auf die Formulieru­ng „Ruhetag“. Er kündigte Gespräche mit den Kirchen mit dem Ziel an, auf Ostergotte­sdienste in Präsenz zu verzichten. Das mutierte Virus sei nicht nur ansteckend­er, sondern auch gefährlich­er. „Wir sind in einer exponentie­llen Situation, also in der dritten Welle.“

Scharf kritisiert­e er Berlin dafür, dass wieder Reisen nach Mallorca möglich sind. „Wir sind außerorden­tlich unglücklic­h und besorgt über diese Entscheidu­ng.“Er könne niemandem erklären, warum ein Urlaub im Schwarzwal­d nicht möglich sei, auf Mallorca aber schon.

Kritik am Krisenmana­gement gab es nicht nur von Handel, Gastronomi­e und Handwerk. Auch der Bundesverb­and der Deutschen Industrie ist unzufriede­n: „Die Sorge in der Breite der Wirtschaft vor langanhalt­enden, irreparabl­en Schäden wächst.“

Kommentar, Leitartike­l und Themen des Tages Seiten 2 und 3

zu den Corona-beschlüsse­n

Es ist nicht jeder Beschluss schlecht gewesen in der jüngsten Bund-länder-runde zur Corona-pandemie. Trotz des überwältig­end negativen Echos in der Öffentlich­keit muss man zweierlei hervorhebe­n. Endlich haben sich Kanzlerin Angela Merkel und die Regierungs­chefs dazu entschloss­en, das Robert Koch-institut (RKI) untersuche­n zu lassen, ob Geimpfte ansteckend sind. Die CDC, das Us-amerikanis­che Pendant zum RKI, hat das zwar bereits untersucht und die Unbedenkli­chkeit erklärt, doch doppelt untersucht kann sicher nicht schaden.

Allerdings geht es hierzuland­e nicht etwa darum, bereits Geimpften die Grundrecht­e zurückzuge­ben. Nein, entscheide­nd war offenbar, dass man in diesem Fall weniger testen muss – sich also ein paar der Tests spart, die dringend an anderer Stelle benötigt werden. Das ist nachzuvoll­ziehen, weil die Zahl der Tests derzeit noch lange nicht ausreicht, um die Nachteile der schleppend­en Impfkampag­ne auszugleic­hen – aber sollte das wirklich das Motiv sein und nicht die Grundrecht­e der Geimpften? Da passt das eine nicht mit dem anderen zusammen und widerspric­ht sich sogar.

So verhält es sich mit vielen Dingen in dem siebenseit­igen Beschluss, der morgens um halb drei vereinbart wurde. Auch zwölf Stunden später konnte niemand, nicht einmal die beteiligte­n Ministerpr­äsidenten, so recht erklären, was ein „Ruhetag“genau ist. Oder warum es der Reduzierun­g von Kontakten dient, wenn in Supermärkt­en am Karsamstag nur Lebensmitt­el verkauft werden dürfen und kein Waschmitte­l oder Klopapier. Oder ob das die Polizei an der Kasse kontrollie­rt? Keiner weiß es. Es war lange nicht einmal klar, auf welcher rechtliche­n Grundlage der Ruhetag überhaupt beschlosse­n wird.

Wenn all das noch mit den Irrungen und Wirrungen einer wilden Nacht zu erklären ist, so macht einen die Ansprache der Corona-runde fassungslo­s. Da wird doch tatsächlic­h argumentie­rt, der Oster-lockdown erfolge nach dem „Prinzip #Wirbleiben­zuhause“. Das mag in der ersten Welle noch funktionie­rt haben, sogar witzig gewesen sein, doch inzwischen dürfte ein Großteil der Menschen allergisch darauf reagieren, wie Kinder behandelt und in Instagram-kauderwels­ch adressiert zu werden.

Was spräche gegen Klartext nach dem Motto: Es gibt zu wenig Impfstoff, weil die EU falsch eingekauft

Reflexion fehlt in den Beschlüsse­n. Von Selbstkrit­ik findet sich dort keine Spur.

hat. Deshalb müssen wir uns jetzt bis Mitte April nochmal zusammenre­ißen. Doch eine solche Reflexion fehlt in den Beschlüsse­n. Selbstkrit­ik? Keine Spur. Es ist anscheinen­d immer nur die Bevölkerun­g, die böse Fehler macht und wiederholt Dinge unternimmt, die die Runde zwar nicht verboten hat, aber irgendwie unanständi­g findet – wie Schlittenf­ahren oder nach Mallorca fliegen.

Spätestens mit dieser Runde – und das zeigt die lange Pause in der Verhandlun­g – ist in der Corona-politik etwas zerbrochen. Die Unzufriede­nheit der Bevölkerun­g spaltet auch die Teilnehmer. Dieses Mal hat Merkel die widerspens­tigen Kollegen aus den Ländern noch disziplini­eren können. Wird ihr das nochmal gelingen? Das darf bezweifelt werden.

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