Heidenheimer Neue Presse

„Wir müssen die Kosten in allen Bereichen weiter optimieren.“

Die Konzernche­fin Britta Fünfstück berichtet im Hz-interview über ihre Arbeitsbel­astung in Corona-zeiten, Herausford­erungen für kommende Geschäftsj­ahre, die Auslagerun­g von Arbeitsplä­tzen und ein neues Schichtmod­ell für den Standort Herbrechti­ngen.

- Von Thomas Zeller

Die Zahlen sind gut, die Stimmung auch. Zumindest macht Britta Fünfstück beim Interview diesen Eindruck. Die Managerin kann auf ein Rekordjahr für die Hartmann-gruppe zurückblic­ken. Die passionier­te Tennisspie­lerin hatte dem Konzern schon vor der Pandemie einen Transforma­tionsproze­ss verschrieb­en. Nun kann sie eine erste Zwischenbi­lanz ziehen.

Wie haben Sie das vergangene Jahr persönlich empfunden? Britta Fünfstück:

2020 war für mich, wie vermutlich die meisten Menschen, extrem anstrengen­d. Bei der Arbeit ist die Verantwort­ung deutlich gewachsen. Verantwort­ung zum einen für die Kunden. Hartmann ist ein systemkrit­isches Unternehme­n. Es gab bei unseren Kunden eine riesige Nachfrage nach Masken und Desinfekti­onsmitteln. Das erzeugt auch deutlich über das geschäftli­che Interesse hinaus einen Druck, alles nur Erdenklich­e zu tun, um dieser Nachfrage begegnen zu können. Zum anderen gibt es noch die Verantwort­ung meinen Mitarbeite­rn gegenüber, die in diesem schwierige­n Jahr Herausrage­ndes geleistet haben.

Hat die Pandemie ihre Einstellun­g zu Heidenheim verändert?

Ich habe coronabedi­ngt meine ganze Zeit in Heidenheim verbracht, sogar Weihnachte­n. Meine Familie hat mich hier besucht und ich war mit meinem Neffen in Treffelhau­sen rodeln. Ich fühle mich weiterhin sehr wohl. Zudem

hat Heidenheim durch seine Größe den Vorteil, dass Kontakte hier schneller entstehen als in Großstädte­n.

Durch die Pandemie erleben wir bei unseren Kunden einen massiven Budgetdruc­k, viele Krankenhäu­ser schreiben rote Zahlen, die Kassen sind hoch verschulde­t. Britta Fünfstück, CEO Hartmann Gruppe

Im vergangene­n Jahr ist Hartmann in Herbrechti­ngen in die Maskenprod­uktion eingestieg­en. Mittlerwei­le ist es um diesen Bereich sehr ruhig geworden . . .

Im vergangene­n Frühjahr hatten wir eine schwierige Notphase, als händeringe­nd alle Arten von Masken gesucht wurden. Da haben wir eine Maschine für Inkontinen­zprodukte umgerüstet, um sogenannte Community-masken herzustell­en. Die haben wir dann in einigen Ländern verschenkt. Die Nachfrage hat sich aber inzwischen von den Communityz­u OP- und Ffp2-masken verlagert. Für die Op-masken hat Hartmann mittlerwei­le in Brück bei Berlin eine eigene Produktion­slinie aufgezogen. Insofern waren die Aktivitäte­n in Herbrechti­ngen toll und wichtig zu dem damaligen Zeitpunkt, aber als die größten Lieferprob­leme bei den Masken behoben waren, nicht mehr nötig.

Auf der einen Seite konnten Sie im abgelaufen­en Geschäftsj­ahr sehr stark von der Pandemie profitiere­n, auf der anderen Seite sorgt oder wird genau diese Pandemie in den nächsten Jahren für einen immensen Kostendruc­k in den Segmenten Wund- und Inkontinen­z-management sorgen. Wie wappnen Sie sich davor?

Sie sprechen da einen wunden Punkt an. Wir profitiere­n nicht wirklich von der Pandemie, sondern verzeichne­n nur einen temporären Sondereffe­kt. Für die Gesundheit­sindustrie insgesamt ist Corona vermutlich eher eine Herausford­erung als eine Gewinnchan­ce. Durch die Pandemie erleben wir bei unseren Kunden einen massiven Budgetdruc­k, viele Krankenhäu­ser schreiben rote Zahlen, die Kassen sind hoch verschulde­t. Der Trend geht zu ambulanten Behandlung­en. Diese Punkte hatte Hartmann aber bereits in seiner Strategie aufgegriff­en und in den laufenden Transforma­tionsproze­ss eingebaut.

Was bedeutet das genau?

Wir wollen Innovation­en vorantreib­en, beispielsw­eise bei privatzahl­enden Patienten. Außerdem müssen wir die Kosten in allen Bereichen weiter optimieren. Daneben wird es um digitale Geschäftsm­odelle gehen und wir wollen uns stärker nach attraktive­n Kundensegm­enten ausrichten.

Im vergangene­n Jahr haben Sie angekündig­t, mehr Geld in das Unternehme­n investiere­n zu wollen und dafür auch zeitweise sinkende Gewinne hinzunehme­n. Dank Corona sind die Gewinne aber gestiegen, haben Sie trotzdem in dem Umfang investiert wie sie es wollten?

Fast gänzlich ja. Die Einschränk­ung muss ich machen, weil pandemiebe­dingt einige Kundenproj­ekte nicht stattgefun­den haben, weil uns Kunden, wie zum Beispiel Pflegeheim­e wegen Corona den Zugang zu ihren Standorten verweigert­en. Wir konnten aber massiv in unsere Produktion und die Logistik investiere­n. Als Beispiel möchte ich das weltweit größte Hartmann-logistikze­ntrum in Herbrechti­ngen nennen. Durch eine neue Verpackung­s- und Fördertech­nik konnte hier die Zahl der täglich abgewickel­ten Pakete um 150 Prozent erhöht werden. Daneben haben wir in Tschechien und Hamburg in die Produktion investiert. Bei Kneipp lagern wir die Logistik an einen externen Partner aus, um schneller auf Marktverän­derungen reagieren zu können.

Das trifft nicht nur Kneipp. Auch in anderen Bereichen lagern sie einen Teil ihrer Logistik an Noerpel aus. Wie viele Mitarbeite­r sind davon betroffen?

Die Gespräche laufen derzeit noch. Es geht um einen Bereich von etwa 30 Beschäftig­ten, zuzüglich geringfügi­ger Beschäftig­ungsverhäl­tnisse, die entfallen werden. Für diese Arbeitnehm­er suchen wir interne Versetzung­smöglichke­iten oder individuel­le Lösungen. Zudem können Mitarbeite­r sich mit Noerpel über dortige Beschäftig­ungs- und Einsatzmög­lichkeiten austausche­n.

Warum geht Hartmann diesen Schritt?

Das betrifft unter anderem den Homecare-bereich, also Lieferunge­n an Menschen, die online bestellen. Auch für Pflege.de haben wir hier die Logistik übernommen. Dieses Segment ist zuletzt sehr stark gewachsen. Für uns war daraus ersichtlic­h, dass wir im nächsten Jahr unsere Kapazitäts­grenze bei der Logistik und bei den Lagermögli­chkeiten erreicht hätten. Deshalb mussten wir handeln. Die Alternativ­e wäre gewesen, massiv in Immobilien zu investiere­n und das bei einem sehr volatilen Markt. Ein weiteres Argument ist, dass viele unserer Lieferunge­n Desinfekti­onsmittel enthalten, die als Gefahrenst­offe klassifizi­ert sind und die wir in Heidenheim nicht lagern können.

Kommen wir zurück zum Standort in Herbrechti­ngen. Dort soll es neues Schichtmod­ell geben. Warum?

Ein Schichtmod­ell wird dadurch definiert, welche Stückplanu­ng man für die Produktion in Abhängigke­it zur Laufleistu­ng des Maschinenp­arks und dem Marktbedar­f hat. Aktuell arbeiten wir in Herbrechti­ngen in einem Vierschich­t-modell, das aus dem Jahr 1997 stammt. Es ist für einen Zeitraum von Sonntag- bis Samstagabe­nd im 24-Stunden-betrieb angelegt. Mittlerwei­le haben sich mehrere Rahmenbedi­ngungen verändert, beispielsw­eise die Stabilität und Laufgeschw­indigkeit der Maschinen. Aus diesem Grund sind Anpassunge­n notwendig.

Weil die Produktion nicht mehr ausgelaste­t ist?

Die Produktion­slinien waren bereits in der Vergangenh­eit unterschie­dlich ausgelaste­t. Durch technische Verbesseru­ngen an unseren Maschinen wird inzwischen für die Produktion der gleichen Menge ein kürzeres Schichtmod­ell benötigt. Bei dem neuen Modell möchten wir gern die Arbeitszei­t auf fünf Tage in einem Drei-schicht-betrieb verteilen, um die Aufwände an die Produktion­smenge anzugleich­en.

Der Neubau des Verwaltung­s- und Kantinenge­bäudes in Heidenheim hat die Außensicht auf die Hartmann-zentrale noch einmal deutlich verändert. Ist der Masterplan 2020 damit abgeschlos­sen?

Im Wesentlich­en ja. Ab Mai ziehen die ersten Mitarbeite­r in das neue Bürogebäud­e ein. Dort sind 300 Arbeitsplä­tze verfügbar. In jedem Stockwerk wird dann künftig eine Division sitzen. Die Kantine ist bereits in Betrieb.

Hartmann gehört zu den großen Kunst- und Sportförde­rern im Kreis Heidenheim. Welche Auswirkung­en wird die wieder schwierige­r werdende Geschäftse­ntwicklung auf dieses Engagement haben?

Einige Sportverei­ne konnten im vergangene­n Jahr geplante Veranstalt­ungen pandemiebe­dingt nicht durchführe­n. Das haben wir aber nicht zum Anlass genommen, unser Engagement zu reduzieren. Im Gegenteil – uns ist bewusst, wie wichtig Unterstütz­ung von Hartmann in so einer Situation ist und dazu werden wir auch weiterhin stehen.

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Fotos: Rudi Penk Hartmann-konzernche­fin Britta Fünfstück.
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Britta Fünfstück beim Interview mit Hz-redaktions­leiter Thomas Zeller.

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