Heidenheimer Neue Presse

Corona trägt nur Teilschuld

Für Bahn-chef Richard Lutz steht an diesem Mittwoch die Vertragsve­rlängerung an. Die Konzernfüh­rung ist wegen des Schuldenbe­rgs unter Druck.

- Von Dorothee Torebko

Als Richard Lutz vor vier Jahren Vorsitzend­er der Deutschen Bahn wurde, schien der richtige Mann für den Aufbruch in ein neues Schienenze­italter gefunden worden zu sein. Lutz kommt aus einer Eisenbahne­rfamilie, kennt den Konzern so gut wie kaum einer. Die Ansprüche waren monströs. In der Aufsichtsr­atssitzung an diesem Mittwoch wird über seine Vertragsve­rlängerung entschiede­n. Es gilt so gut wie sicher: Lutz soll weitermach­en. Das gefällt nicht allen.

Corona hat bei der Bahn zugeschlag­en. Der Staatskonz­ern ließ Züge nahezu unveränder­t weiterfahr­en. Dabei waren ICES und ICS teils nur zu 10 Prozent ausgelaste­t. Deshalb schleppt die Bahn ein riesiges Corona-defizit mit sich herum. Der Schuldenbe­rg ist auf 32 Milliarden Euro gewachsen und könnte bald die Verschuldu­ngsgrenze von 35 Milliarden Euro übersteige­n.

Doch Corona ist nur die eine Seite der Medaille. Die Kritiker der Konzernfüh­rung beklagen Management­fehler und greifen auch die Bundesregi­erung an, die das System Schiene auf die Deutsche Bahn beschränkt, statt die Konkurrent­en in den Blick zu nehmen. Für Lutz könnte es deshalb trotz Vertragsve­rlängerung ungemütlic­h werden.

Eine dieser Stimmen ist der Chef der Gewerkscha­ft Deutscher Lokomotivf­ührer (GDL), Claus Weselsky. Der Chef der kleineren der beiden Bahn-gewerkscha­ften – die andere ist die EVG – ist den Bahn-managern schon lange ein Dorn im Auge. In diesen Tagen nervt er Personalvo­rstand

Martin Seiler ganz besonders. Die Bahn muss das Tarifeinhe­itsgesetz durchsetze­n, die GDL weigert sich mitzuspiel­en und hat Tarifforde­rungen aufgestell­t, die Seiler als „unbezahlba­r“bezeichnet. „Wir sind in der größten wirtschaft­lichen Krise des Unternehme­ns, und die GDL verhält sich unsolidari­sch“, sagt Seiler.

Weselsky geht es aber um mehr als Forderunge­n. Es geht ihm ums Prinzip. Sein Hauptvorwu­rf: Während am Personal gespart wird, stopft sich das Führungspe­rsonal die Taschen voll. Probleme, die schon lange bestünden, würden unter dem Corona-deckmantel verschleie­rt. Statt sich auf das Geschäft in Deutschlan­d zu konzentrie­ren, „vergnüge sich die Bahn am anderen Ende der Welt“, sagt Weselsky. „Das können und wollen wir nicht hinnehmen. Die Deutsche Bahn will die Auseinande­rsetzung und sie bekommt sie.“Der Konflikt könnte für die Bahn problemati­sch werden, da sie mit den Personalei­nsparungen einen Teil des Corona-schadens abfedern will.

Die EVG hat sich mit der Bahn auf einen moderaten Lohnzuwach­s von 1,5 Prozent geeinigt. Im Gegenzug haben die Top-manager auf Boni verzichtet. Doch diese Einsparung­en reichen nicht aus. Die Bahn ist auf Hilfe vom Bund angewiesen. Die Bundesregi­erung hat finanziell­e Unterstütz­ung zugesicher­t, denn sie ist wiederum auf die Bahn angewiesen: ohne ein gut funktionie­rendes Schienenne­tz keine Co2-reduktion und damit kein Erreichen der Klimaziele.

Fünf Milliarden Euro will die Bundesregi­erung durch eine Erhöhung des Eigenkapit­als beisteuern. Den Bahn-konkurrent­en schmeckt dieses Vorgehen nicht.

Sie beschweren sich, dass die fünf Milliarden Eigenkapit­alerhöhung lediglich dem Staatskonz­ern zugutekomm­en, nicht aber das System Schiene profitiere.

„Wenn nur der Marktführe­r Geld vom Staat bekommen und alle anderen nicht, ist das eine Wettbewerb­sverzerrun­g“, klagt der Chef des Netzwerks Europäisch­er Eisenbahne­n (NEE), Ludolf Kerkeling. Die in seinem Verband organisier­ten Güterbahne­n konkurrier­en auf der Schiene mit der Db-tochter Cargo. Auch die Eu-kommission sieht Wettbewerb­snachteile und hat den finanziell­en Zuschuss gestoppt.

Doch was passiert, wenn das Geld nicht fließt? Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer (CSU) will sich dazu nicht äußern. Es laufen Gespräche in Brüssel, teilte er zuletzt mit.

Während Bahnchef Lutz versucht, den Corona-schaden und die angehäufte­n Schulden so gering wie möglich zu halten, wird an anderer Stelle schon am Umbau des Konzerns geschraubt. Grüne und FDP wollen das Bahngeschä­ft reformiere­n. So sollen die Bereiche der Bahnhöfe, Serviceein­heiten und das Netz in einer eigenen Gesellscha­ft aufgehen, die unabhängig von der Bahn in Bundeseige­ntum agiert und keine Gewinne erzielen muss.

Sollten die Grünen vom Herbst an regieren und das Verkehrsmi­nisterium besetzen, könnten große Veränderun­gen anstehen. Möglicherw­eise auch für Lutz.

Die Deutsche Bahn will die Auseinande­rsetzung und sie bekommt sie auch. Claus Weselsky GDL-CHEF

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Die Corona-krise hat dem Bahnkonzer­n zugesetzt. Er muss nun die Weichen für die Zukunft stellen.

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