Bis zum letzten Abend leben
Martin Walser wird 94 und schreibt mit „Sprachlaub“weiter an seinem eigenen Requiem.
„Ich möchte lernen, von mir nichts/ mehr zu erwarten“, schreibt Martin Walser. „Weil ich von mir/ nichts mehr zu erwarten habe – / ich weiß das. Aber glaube es nicht.“An diesem 24. März feiert der Schriftsteller seinen 94. Geburtstag. Dazu erscheint sein neues Buch „Sprachlaub“(Rowohlt, 144 Seiten, 28 Euro), zu dem Tochter Alissa die zeitlosen Aquarelle beigesteuert hat. Und es ist schon beeindruckend, mit welcher Beharrlichkeit Martin Walser gegen den Tod anschreibt. „Das Leben schleppt sich feierlich von Wort zu Wort“, heißt es da in einem dieser zarten, schwebenden Texte, die irgendwo zwischen Gedicht und Meditation einzustufen sind. Und in einem anderen: „Mir vergeht vor Weiterem die Welt./ Die Illusion zu leben füllt mich aus/ bis zur Unbegreiflichkeit.“
Schon in dem 2018 erschienenen Band „Spätdienst“blickte Martin Walser vom Alter zum Stillsitzen verdammt von seinem Haus in Überlingen auf den Bodensee und auf die Berge am anderen Ufer. Schaute den Blättern im Wind zu, die nicht wissen, dass sie im Fallen sind. Das neue Buch schließt, wie schon der Titel ahnen lässt, nahtlos daran an. Martin Walser komponiert damit weiter an seinem eigenen Requiem. Die Worte sind lichter geworden. Und obwohl es nur um das Alter und den Tod geht, kann man sich diesen versprengten Zeilen kaum entziehen. „Wer’s jetzt noch eilig hat, ist ein Narr“, schreibt der Mann, bei dem Schreiben und Leben fast von Anfang an zusammenfielen. Und: „Wahr ist nur, was schön ist.“Jetzt im Alter schaut er beschämt in den glänzenden Tag, staunt, wie „Himmel und Seeseide“ineinander übergehen und ist in seinen späten Jahren noch tatsächlich „ein Landschafter geworden“.
Martin Walser, der mit wortgewaltigen Romanen wie „Ehen in Philippsburg“(1957), „Halbzeit“(1960) und „Ein fliehendes Pferd“(1978) der wurde, der er ist – der „Großschriftsteller vom Bodensee“–, hat sich in den schwerelosen Büchern seines Spätwerks noch einmal völlig neu erfunden. Mit dem gleichen Narzissmus, der ihn durch sein langes Leben getragen hat, inszeniert Walser sich und seinen Kampf gegen die „Ermüdungsschwere“, von der er in „Spätdienst“bereits schrieb. Die Außenwelt dringt nur noch selten zu ihm hindurch. Politik und Zeitgeschehen kümmern ihn nicht mehr. Er ist sich selbst genug.