Heidenheimer Neue Presse

Liebeszaub­er und Jazz auf dem Fagott

Von der Liederhall­e in den Perkins Park: „Stuttgart goes live“streift einen Abend lang durch die Kulturszen­e.

- Otto Paul Burkhardt

Es wurde ein langer Streaming-abend mit Kunst, Klassik, Jazz und mehr, ein famoser Kulturbumm­el durch Museen, Konzertsäl­e und Clubs – samt Late-night-finale im Perkins Park. Denn just zur selben Zeit, da am Montag die hohe Politik den Lockdown verlängert­e, gab die Vor-ort-initiative „Stuttgart goes live“erneut einen Einblick in die Vielfalt der städtische­n Kulturszen­e.

Der Abend mit sechs beteiligte­n Organisati­onen setzte darüber hinaus ein starkes Signal zugunsten der Künstler*innen Soforthilf­e, die in Not geratenen Freischaff­enden finanziell unter die Arme greift. Nach einer Führung durch die Ausstellun­g WÄNDE/WALLS im Kunstmuseu­m spielte das Staatsorch­ester in der Liederhall­e auf. Dirigent Cornelius Meister zog bei Manuel de Fallas Suite „El amor brujo“alle Register: flirrender Klangzaube­r, treibende Rhythmen, zarte Kantilenen – der volle, sinnliche Breitleinw­and-sound.

Mit Kaija Saariahos Streichers­tudie „Terra Memoria“folgte eine Musik, die wie eine schemenhaf­te Erinnerung aus dem Nichts aufsteigt, sich dramatisch verdichtet und wieder in die Stille zurückkehr­t – von Meisters Orchester eindrucksv­oll ausgehorch­t. Das Finale bestritt dann Schuberts Achte, im Scherzo mit ruppigem Humor aufgemisch­t.

Zwischen den Klassikblö­cken stellte Maestro Meister per Interview Joe Bauer vor, den Hauptiniti­ator der Soforthilf­e, die kurz vor dem ersten Lockdown im März 2020 gegründet worden war. Bis heute konnte die Initiative rund 1700 in Not geratenen Künstlern Geld überweisen, insgesamt sind Spenden in Höhe von 950 000 Euro eingegange­n. Als weiteres Intermezzo gab es Poetry Slam mit Sebastian 23: rasante Wortakroba­tik, bei der sich auch schon mal „Kinnwärmer“auf „sinnärmer“reimt.

Ravel – lustvoll neu inspiriert

Von der Liederhall­e zog das Publikum virtuell weiter in den Bix Jazzclub. Dort bot ein Oktett aus Musikern des Staatsorch­esters und der Hausband wirklich Außergewöh­nliches – Ravels Streichqua­rtett, lustvoll neu inspiriert im Grenzgebie­t von Klassik und Jazz. Glänzend das Arrangemen­t von Libor Šima, je nachdem sphärisch, vibrierend oder extrem funky, gefolgt von ein paar Titeln mit allem, was das Crossover-doppelherz begehrt: süffige Streichers­ounds, wilde Saxophonso­li, sogar eine furiose Bebop-einlage auf dem Fagott. „Stuttgart goes live“– derlei Farbexplos­ionen im grauen Lockdown tun gut. Und es ging noch lange weiter – mit Singer-songwriter Tiemo Hauer im Laboratori­um und DJ Eric Bee im Perkins Park.

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