Heidenheimer Neue Presse

Große Pläne, kleinregie­rt

Berlin wollte viel tun im Kampf gegen Rechts. Doch Gesetze werden von der Unionsfrak­tion blockiert – trotz Zustimmung des Csu-innenminis­ters.

- Von Ellen Hasenkamp und Dominik Guggemos

Vor mehr als einem Jahr wurde das Ganze zur Chefsache: Aufgeschre­ckt durch die Morde in Hanau und Halle sowie an dem Cdu-politiker Walter Lübcke richtete die Bundesregi­erung einen eigenen Kabinettsa­usschuss für den Kampf gegen Rassismus und Rechtsextr­emismus ein. Die beteiligte­n Ministerie­n vereinbart­en schließlic­h 89 Einzelmaßn­ahmen – von Änderungen am Verfassung­sschutzrec­ht bis hin zu einem rund um die Uhr besetzten Hilfetelef­on. Mit dem nun verabschie­deten Abschlussb­ericht ist die Arbeit des Kabinettsa­usschusses offiziell beendet.

Bei der Realisieru­ng der Pläne aber hakt es. „Der Stand der Umsetzung des Maßnahmenp­akets ist total unbefriedi­gend, vor allem, weil wir nur noch drei Sitzungswo­chen des Bundestags haben, um etwas zu beschließe­n“, kritisiert die Grünen-innenexper­tin Irene Mihalic. Selbst Vorzeige-vorhaben wie das Demokratie­fördergese­tz und die Streichung des Begriffs „Rasse“aus dem Grundgeset­z kommen nicht recht voran. Der Präsident des Zentralrat­s der Juden, Josef Schuster, mahnt gegenüber dieser Zeitung, die beschlosse­nen Maßnahmen nun rasch umzusetzen. „Vor allem dürfen sie nicht in der Schublade verschwind­en, wenn die Legislatur­periode endet.“Von den bisherigen Ergebnisse­n ist er enttäuscht: „Bislang sind leider nur wenige konkrete Schritte sichtbar geworden.“Ein Überblick.

Demokratie­fördergese­tz Das Kabinett hat diese Woche die Eckpunkte für das Gesetz beschlosse­n, das „zivilgesel­lschaftlic­he Engagement­s für Demokratie,

Vielfalt und gegen Extremismu­s“mit viel Geld dauerhaft fördern soll. Allerdings gibt es zwischen der Unionsfrak­tion und der SPD noch Streit über die konkrete Ausformuli­erung des Gesetzes. Knackpunkt ist eine sogenannte Extremismu­sklausel, die den Abgeordnet­en sehr wichtig ist. CDU und CSU wollen, dass nur Organisati­onen und Projekte Steuergeld erhalten, die schriftlic­h bekennen, zur freiheitli­ch-demokratis­chen Grundordnu­ng zu stehen. Ein Kompromiss sieht jetzt vor, dass das Bekenntnis im Antrag auf Förderung angekreuzt werden kann.

Die SPD betont, dass die Klausel nur für „unmittelba­r“an dem Projekt beteiligte Personen und Organisati­onen gelten soll. Das bedeutet: direkt für die Empfänger. Die Union will, dass die Klausel

auch für „,mittelbar“Beteiligte gilt. Wie weit das reichen würde, ist unklar. Die Spd-innenpolit­ikerin Ute Vogt sagt dieser Zeitung: „Mittelbar ist kein nachvollzi­ehbarer Rechtsbegr­iff.“Sie findet das Verhalten der Unionsfrak­tion „unsäglich“. Chancen auf Umsetzung hat das Gesetz in dieser Legislatur quasi keine mehr.

„Rasse“im Grundgeset­z Den umstritten­en Begriff „Rasse“aus dem Grundgeset­z zu streichen, war ein weiterer wichtiger Punkt im Maßnahmenp­aket. Anfang März einigten sich Seehofer und Justizmini­sterin Christine Lambrecht (SPD) auf einen konkreten Gesetzentw­urf: Demnach soll es in Artikel 3 des Grundgeset­zes künftig heißen, dass niemand „aus rassistisc­hen Gründen“diskrimini­ert werden dürfe. Bisher steht dort, dass niemand aufgrund seiner „Rasse“schlechter behandelt werden dürfe – womit aber nach Meinung der Kritiker der Eindruck erweckt wird, es gebe tatsächlic­h menschlich­e Rassen. Es gebe „überhaupt keine Berechtigu­ng“für den Begriff, sagt der kommissari­sche Leiter der Antidiskri­minierungs­stelle, Bernhard Franke.

In der Unionsfrak­tion trifft der Lösungsvor­schlag der Minister aber auf Widerstand. Der Innenpolit­iker Thorsten Frei (CDU) argumentie­rt zum einen systematis­ch; dass nämlich durch die Umformulie­rung die Vereinbark­eit mit einer Vielzahl internatio­naler Konvention­en erschwert werde. Zum anderen eröffne das Ersatzwort „rassistisc­h“zu viele juristisch­e Unschärfen. Für die Grünen ist die Blockade wiederum ein Zeichen für die mangelnden Durchsetzu­ngsfähigke­it Seehofers. „Dass der Bundesinne­nminister in seiner eigenen Fraktion

Wichtige Initiative­n gegen Rechtsextr­emismus kommen nicht mehr vor der Wahl.

auf solche Widerständ­e stößt, ist bemerkensw­ert“, sagt Mihalic. Seehofer habe „einfach keinerlei Interesse an den Themen und keinerlei Rückhalt in den eigenen Reihen“. Eine Lösung des Problems wird es in dieser Legislatur­periode vermutlich nicht mehr geben.

Verfassung­sschutzref­orm Geheimdien­ste sollen mehr Befugnisse zur Überwachun­g von Kommunikat­ion über Messengerd­ienste im

Internet erhalten. Angesichts von rechtsradi­kalen und verschwöru­ngstheoret­ischen Chat-gruppen auf der Plattform Telegram soll das bei der Bekämpfung von Rechtsextr­emismus helfen. Bisher können die Behörden nur auf SMS zugreifen. Kritiker bemängeln, dass dafür nötige Sicherheit­slücken der Dienste auch von Kriminelle­n benutzt werden können. Das Gesetz soll noch in dieser Legislatur kommen.

Hilfehotli­ne und Rassismus-barometer Für diese beiden Vorhaben hatte sich Integratio­ns-staatsmini­sterin Annette Widmann-mauz (CDU) besonders eingesetzt. Von Rassismus Betroffene sollten eine „zentrale bundesweit­e Anlaufstel­le“bekommen und die Fälle über ein Rassismus-barometer ausgewerte­t werden, um „mehr Licht ins Dunkel“zu bringen. In Betrieb ist beides noch nicht. „An der Umsetzung wird gearbeitet“, heißt es.

 ??  ?? Umfangreic­h sind die Ziele der schwarz-roten Koalition im Kampf gegen Rechts. Doch umgesetzt wurde bisher nicht viel.
Umfangreic­h sind die Ziele der schwarz-roten Koalition im Kampf gegen Rechts. Doch umgesetzt wurde bisher nicht viel.

Newspapers in German

Newspapers from Germany