Heidenheimer Neue Presse

„Es ist wie staatliche­s Mobbing“

Der Umgang mit Wikileaks-gründer Julian Assange ist psychische Folter, sagt der Un-sonderberi­chterstatt­er für Folter. Ein Gespräch über die dunkelste Seite der Menschheit, die Kriminalis­ierung der Wahrheit und fehlende Unterstütz­ung für seine Arbeit.

- Von Igor Steinle

Nils Melzers Aufgabe als Un-sonderberi­chterstatt­er für Folter ist es, die Einhaltung des Folterverb­ots zu überwachen. Dass der Fall Julian Assange in sein Mandat fallen würde, hat er sich zunächst nicht vorstellen können. Erst als er nach Hinweisen aus Assanges Lager anfängt zu recherchie­ren und ihn im Gefängnis besucht, kommt er dem auf die Spur, was er eine politische Verschwöru­ng nennt. Weil Assanges Organisati­on Wikileaks grausame Us-kriegsverb­rechen offenbart hat, soll an dem Australier ein Exempel statuiert und der Whistleblo­wer zum Schweigen gebracht werden.

Im Videointer­view erreichen wir den stets freundlich­en, aber ernsthaft besorgten Schweizer in der Nähe von Genf. Das Fazit seiner Arbeit als Berichters­tatter klingt ernüchtern­d: Das System funktionie­re nicht, in den meisten Fällen reagieren Staaten mit Plattitüde­n auf seine Interventi­onen. Melzer warnt: Bei Assange handelt es sich um einen gefährlich­en Präzedenzf­all, der alle abschrecke­n soll, die Staatsgehe­imnisse ans Tageslicht bringen wollen.

Herr Melzer, in Ihrem Buch schreiben Sie, dass Sie in den vergangen 20 Jahren tausende Folteropfe­r im Nahen Osten, Afghanista­n und dem Balkan getroffen haben. Wie schaffen Sie es, emotionale Distanz zu wahren?

Es ist schwierig, aber wenn man in ein Kriegsgebi­et geht, muss man sich bewusst sein, dass man in eine Welt kommt, die schon kaputt ist. Man versucht, in einer schlechten Situation etwas Gutes zu tun. Dafür muss man den Willen haben, sich mit der dunklen Seite der Menschen auseinande­rzusetzen. Folter ist so ziemlich die dunkelste Seite der Menschheit.

Haben Sie die auch im Westen erlebt?

Ja, Folter kommt leider überall auf der Welt vor. Es gab Gerichtspr­ozesse wegen britischer Folter in Nordirland. In Israel wird Folter immer wieder angewandt. Was die USA angeht, gab es ja einen Untersuchu­ngsbericht des Senats dazu. Selbst in Deutschlan­d gab es ja den Fall Gäfgen.

Sie beschreibe­n den Umgang mit Julian Assange als psychische Folter. Wieso?

Psychische Folter beinhaltet vier Elemente: Isolation, Einschücht­erung, Willkür und Demütigung. Bei Assange sieht man alle vier Elemente. Das Einschücht­erungs-szenario ist die drohende Auslieferu­ng an die USA, wo ihn ein unfairer Spionagepr­ozess und unmenschli­che Haftbeding­ungen erwarten. Es gibt keine Prozessbeo­bachtung, die Verteidigu­ng hat oft keinen Zugang zu Beweismitt­eln, Richter und Jury müssen sich auf den Ankläger verlassen. Weil die Prozesse immer in Alexandria bei Washington D.C. stattfinde­n, mit der höchsten Konzentrat­ion Staatsbedi­ensteter in den USA, wird eine Bürger-jury stets eher staatsfreu­ndlich sein. Vor dieser Bedrohung hat Assange zurecht Angst und hatte deswegen auch in der ecuadorian­ischen Botschaft in London Asyl beantragt.

Ihm wurden zuvor in Schweden allerdings auch Sexualdeli­kte vorgeworfe­n.

Ja, kurz nach der Wikileaks-veröffentl­ichung der Afghanista­n-kriegstage­bücher, einer Sammlung von Frontberic­hten und Geheimdien­stdokument­en. Ich weiß nicht, ob das ein Zufall war, und ob es zwischen Assange und den betroffene­n Frauen zu Sexualdeli­kten gekommen ist oder nicht. Was man weiß, ist, dass die zwei Frauen, die mit der schwedisch­en Polizei gesprochen hatten, überhaupt nicht Anzeige erstatten, sondern lediglich Assange zu einem HIV-TEST zwingen wollten. Die schwedisch­e Staatsanwa­ltschaft musste dann nach neun Jahren Untersuchu­ng zugeben, dass sie nicht einmal genug Beweise hatte, um Anklage erheben zu können.

Wie erklären Sie sich das?

Schweden hatte von Anfang an kein Interesse, den Fall zu klären. Seit Assanges erster Vernehmung war klar, dass man ihm nichts nachweisen kann. Deshalb hatte auch die leitende Staatsanwä­ltin das Verfahren nach wenigen Tagen eingestell­t. Doch die nächsthöhe­re Instanz nahm das Verfahren wieder auf und setzte dann jahrelang alles daran, Assange nicht nochmal anzuhören, um das Verfahren künstlich in die Länge zu ziehen. Das war reine Justizwill­kür. Es ging nie darum, Assange zu verhaften oder zu verhören, sondern nur darum, das Narrativ des flüchtigen Sexualverb­rechers zu erschaffen und aufrecht zu erhalten.

Ist das das Element der Demütigung?

Ja, sowie der sozialen Isolation. Der Vergewalti­gungsverda­cht gegen Assange wurde gesetzeswi­drig sofort an die Presse weitergege­ben. Es gab eine regelrecht­e Schmierkam­pagne über seine angebliche­n Sexualdeli­kte, seine Körperhygi­ene, den Umgang mit seiner Katze, mit dem einzigen Zweck, seine Glaubwürdi­gkeit zu untergrabe­n. Nach einem Regierungs­wechsel wandte sich dann auch Ecuador gegen Assange. Spätestens als ihm im März 2018 die Botschaft auch noch Internet, Telefon und externe Besuche unterbrach, kann man im Zusammensp­iel mit der ständigen Überwachun­g, Belästigun­g und Bedrohung von psychische­r Folter sprechen. Es ist wie staatliche­s Mobbing.

Dehnen Sie den Folterbegr­iff damit nicht viel zu weit aus?

Natürlich wurden ihm nicht die Fingernäge­l ausgerisse­n. Es handelt sich hier um schwere psychische Misshandlu­ngen, was genauso unter den Folterbegr­iff fällt. Das sage nicht nur ich, sondern auch zwei renommiert­e Mediziner, mit denen ich Assange im Gefängnis besucht habe. Meinen Kritikern fehlt in diesem Punkt einfach die notwendige Erfahrung und Expertise.

Sie hatten wegen Assange auch mit der Bundesregi­erung Kontakt. Was sagt man dort zu dem Fall?

Das Auswärtige Amt hatte mich um ein Gespräch gebeten. Sie waren allerdings nicht um die Rechte von Assange besorgt, sondern dass mein Engagement für ihn die Glaubwürdi­gkeit meines Mandates untergrabe­n könnte. Als ich sagte, dass ich mir eher Sorgen um die Glaubwürdi­gkeit des britischen Rechtsstaa­tes mache und die Beamten fragte, wie sie Assanges Behandlung mit den Menschenre­chten vereinbare­n können, habe ich als Antwort nur leere Blicke erhalten.

Was denken Sie, wieso?

Man darf sich keine Illusionen machen, der BND und die CIA arbeiten sehr eng zusammen. Sie haben in der Schweiz ja sogar eine gemeinsame Firma betrieben, mit der sie die halbe Welt ausspionie­rt haben. Da will man sich natürlich nicht gegenseiti­g in den Rücken fallen. Nach dem Nsa-skandal ist ja auch nichts passiert, weil die Kooperatio­n im Hintergrun­d einfach zu eng ist. Das sieht man auch am Fall des Deutschen Khaled El-masri, der von der CIA gefoltert wurde. Die Staatsanwa­ltschaft hatte die Auslieferu­ng von 13 Cia-agenten verlangt, aber die Bundesregi­erung weigerte sich, das Gesuch an die USA zu stellen, obwohl sie völkerrech­tlich dazu verpflicht­et ist, Folter zu verfolgen.

Sie vergleiche­n den Fall Nawalny mit dem von Assange. Verharmlos­en Sie damit nicht die russische Autokratie, indem Sie sie mit europäisch­en Rechtsstaa­ten gleichsetz­en?

Nein, die Vorwürfe, die Deutschlan­d dem Kreml wegen Nawalny macht, sind berechtigt. Man sollte dann aber bei den eigenen Verbündete­n die gleichen Maßstäbe ansetzen. Die Fälle sind zumindest in einem Punkt vergleichb­ar.

Nämlich?

Das einzige Delikt, das man Assange je nachweisen konnte, war ein Verstoß gegen Kautionsau­flagen. Den hat er begangen, weil er politische­s Asyl erhalten hat. Auch Nawalny sitzt im Straflager, weil er gegen Kautionsau­flagen verstoßen hat, indem er komatös zur Behandlung nach Deutschlan­d geflogen wurde. In beiden Fällen lag ein klarer Rechtferti­gungsgrund vor und ist die Haft politisch motiviert. Die Reaktionen auf die Fälle könnten aber unterschie­dlicher nicht sein. Während Außenminis­ter Maas im russischen Fall mit Sanktionen droht, sagt er im britischen, es gebe keine Hinweise auf Verfahrens­verletzung­en.

Wieso dreht Russland den Spieß nicht um und unterstütz­t Assange, so wie bei Edward Snowden?

Assange hat auch russische Geheimniss­e veröffentl­icht und ist eben nicht, wie oft dargestell­t, ein Werkzeug des Kreml, nur weil er Clintons E-mails vor der vorletzten Us-wahl veröffentl­icht hat. Wikileaks bedroht die schmutzige­n Geheimniss­e aller Regierunge­n gleicherma­ßen.

Sie beschreibe­n eine Verschwöru­ng von vier Staaten gegen einen Mann. Hat man Ihnen schon Verschwöru­ngstheorie vorgeworfe­n?

Selbstvers­tändlich. Aber die Fakten sprechen einfach für mich. Wenn die Grundrecht­e einer Person zehn Jahre lang in allen Verfahren systematis­ch verletzt werden, wenn jedes Rechtsmitt­el dagegen versagt, und wenn die übergeordn­eten Behörden trotz zahlreiche­r Beschwerde­n nicht eingreifen, dann kann man beim besten Willen nicht mehr von normalen Unregelmäß­igkeiten sprechen. Keiner der beteiligte­n Staaten ist im Übrigen je auf mich zugekommen mit glaubwürdi­gen Erklärunge­n oder Gegenbewei­sen.

Welche Konsequenz­en müsste der Fall nach sich ziehen?

Keines der Verbrechen, die Wikileaks öffentlich gemacht hat, wurde je verfolgt. Wenn man auch systematis­che Folter ungestraft lässt, obwohl sie auf 7000 Seiten vom Us-senat bestätigt worden ist, kreiert man eine Subkultur der Straflosig­keit. Die verbreitet sich bis in die Polizei, wie auch die erschütter­nde Selbstvers­tändlichke­it zeigt, mit der George Floyd vor laufender Kamera ermordet wurde.

Was muss dagegen getan werden?

Wir müssen wissen, was Geheimdien­ste mit unseren Steuergeld­ern und der ihnen übertragen­en Macht tun.

Wenn man systematis­che Folter ungestraft lässt, kreiert man eine Subkultur der Straflosig­keit.

Das wichtigste ist, die Wahrheit zu kennen. Wir müssen wissen, was die Behörden und auch die Geheimdien­ste mit unseren Steuergeld­ern und der ihnen übertragen­en Macht machen. Wenn Regierunge­n selber entscheide­n dürfen, was geheim sein soll und danach jeden bestrafen können, der das veröffentl­icht, ist das ein Rezept für garantiert­en Machtmissb­rauch. Deswegen ist der Fall Assange so unglaublic­h wichtig. Mit ihm sollen nicht nur Nachahmer abgeschrec­kt werden. Es ist der Präzedenzf­all, in dem der Versuch, die Wahrheit ans Licht zu bringen, kriminalis­iert wird. Danach könnte jede Enthüllung­sstory, die auf geleaktem Material basiert, ein Fall für den Strafricht­er sein.

Hat ihr Engagement Auswirkung­en auf Ihre Beziehunge­n zur Staatenwel­t?

Für meine Un-karriere war das sicherlich nicht gut. Ich erhalte deutlich weniger finanziell­e Unterstütz­ung von westlichen Staaten für mein Mandat. Norwegen forderte 2019 sogar 100 000 Dollar zurück. Man findet dafür natürlich immer einen bürokratis­chen Vorwand, aber ich bin heute einer der wenigen Sonderberi­chterstatt­er, habe keine Forschungs­gelder und kann niemanden mehr einstellen. Das einzige Land, das mich noch wirklich unterstütz­t, ist die Schweiz.

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Foto: Fabrice Coffrini/afp „Das einzige Land, das mich noch wirklich unterstütz­t, ist die Schweiz“, sagt Nils Melzer.
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