Digitalisierung von Anfang an
Viele Unternehmen setzen Industrie 4.0 in der Lehre noch nicht ein. Dabei könnten sie von ungeahnten Fähigkeiten ihrer jungen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter profitieren.
Digitalisierung ist in aller Munde“, sagt Achim Miller. „Man hat das Gefühl, jeder macht etwas in diesem Bereich.“Beim Baumaschinenhersteller Kleemann in Göppingen, wo Miller Leiter der technischen Ausbildung ist, sei lange aber nicht viel in diesem Bereich passiert. „Da hatte man ein schlechtes Gewissen.“Damit ist das Unternehmen jedoch nicht allein. Vier von fünf Unternehmen in Deutschland rechnen zwar damit, dass die fortschreitende Digitalisierung die Arbeit in den Betrieben spürbar verändert. Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft zählt knapp ein Viertel der Betriebe im Bereich der Ausbildung zu den digitalen Nachzüglern. Nur vier von zehn Unternehmen verfolgen demnach die Digitalisierung der Ausbildung strategisch.
Erklärvideos selbst gedreht
Miller rief bei Kleemann schließlich die Digital Youngsters ins Leben. Fünf der insgesamt 68 Auszubildenden am Standort hatten Lust auf das Projekt. Zunächst digitalisierten die fünf jungen Männer sämtliche Klassenarbeiten, um künftigen Jahrgängen Lernmaterial für die Berufsschule bereit zu stellen. Es folgten mit dem Smartphone gefilmte Unterweisungsvideos
für die Maschinen in der Produktion, die über einen Qr-code mit dem Handy abgerufen und angeschaut werden können, sowie ein System zur Ausgabe und Kontrolle einzelner Werzeuge. „Dieses Projekt haben wir entwickelt, nachdem die Allianz Industrie 4.0 Baden-württemberg 2019 den Wettbewerb Industrie 4.0-Talente ausgeschrieben hat“, blickt Miller zurück.
Für die Projektphase, die sich etwa über ein dreiviertel Jahr hinzog, warb Miller auch im eigenen Betrieb für Unterstützung. Nach anfänglicher Skepsis etwa im It-bereich haben die Verantwortlichen gemerkt, dass sich etwas im Werk bewegt. „Wir haben überzeugt“, sagt Miller. „Die heutigen Auszubildenden gehören zu den ,Digital Natives‘, die von klein auf mit digitalen Technologien aufgewachsen sind“, sagt Katrin Schütz. Von deren Fähigkeiten und dem selbstverständlichen Umgang mit digitalen Technologien können die Unternehmen profitieren, ist die Staatssekretärin im Landeswirtschaftsministerium überzeugt. Das kann auch
Miller bestätigen. „Viele Jugendliche haben in diesen Bereichen Fähigkeiten, die sonst im Verborgenen blieben.“Etwa im Umgang mit Drohnen oder Smartphones. „Da schlummern Talente, die man sonst nicht bemerken würde.“
Weniger digital, vielmehr handfest war das Ergebnis des
Ausbildungsprojekts bei der Optima-gruppe in Schwäbisch Hall. Vier Auszubildende und ein Werkstudent entwickelten innerhalb eines halben Jahres eine Abfüllund Verpackungsmaschine im Miniaturformat. „Unsere Azubis haben bei dem Projekt Einblicke in Bereiche bekommen, die sie ansonsten während ihrer Ausbildung nicht kennengelernt hätten“, sagt Verena Konz, zuständig für die Personalentwicklung bei Optima. Mithilfe programmierbarer Lego-steine und eines agilen Projektmanagementprogramms entwickelten die Azubis einen Pfefferminzpastillen-spender.
Die Digitalisierung müsse den Azubis im Betrieb vorgelebt werden, ist Konz überzeugt. In den Lehrplänen an den Berufsschulen sei Industrie 4.0 noch nicht so stark im Lehrplan verankert. Der Pastillen-spender soll Optima auch in Zukunft unterstützen: „Sobald Ausbildungsmessen wieder möglich sind, wollen wir mit der Maschine dort möglichen neuen Azubis etwas besonders bieten.“
Bei Kleemann arbeitet Miller inzwischen mit einer neuen Gruppe an weiteren Projekten. Ihm ist dabei wichtig, die Digitalisierung nicht nur um ihrer Selbstwillen umzusetzen. „Digitalisierung muss etwas bringen, sonst lassen wir es.“So sei etwa eine Virtualreality-brille für Kunden geeignet, damit sich Servicemitarbeiter zuschalten und bei Problemen schneller helfen können. „Steht unsere Maschine aber in einem Steinbruch ohne Internetempfang, bringt die ganze Technik nichts.“