Heidenheimer Neue Presse

Freunde schaffen Freude

Inge Grein-feil und die Zeit der Pandemie.

- Von Manuela Wolf

Inge Grein-feils Leben ist seit Jahrzehnte­n eng verknüpft mit der vorrangig in Dischingen beheimatet­en Aktion Freunde schaffen Freude, deren Vorsitzend­e und Mitbegründ­erin sie ist. Seit Beginn der Corona-pandemie steht das Vereinsleb­en still. Doch ruhig ist es im Leben der Demmingeri­n deshalb nicht geworden. Im Interview spricht sie über Mittagssch­läfchen im Auto, traurige Telefonate mit arbeitslos­en Kulturscha­ffenden und ihre Wünsche für die Zukunft.

Frau Grein-feil, mit welchem Gefühl erinnern Sie sich an die letzte Veranstalt­ung in der Arche? Inge Grein-feil:

Der brillante Artist Karsten Feist von „3 Nasen“war am 8. März 2020 bei uns zu Gast, zwei Tage vor Beginn des ersten Lockdowns. Es war ein integrativ­er Arche-sonntag, wie immer waren viele Leute da. Die fünfjährig­e Gurbani, die bei uns in Dischingen lebt, führte ein Kunststück vor. Sie kletterte auf eine Leiter, die nirgendwo anlehnt. Es gab viel Beifall. Sie sagte hinterher zu mir: ‘Oma Inge, weißt du was? Das mache ich jetzt jeden Sonntag bei dir in der Arche!’ Am Nachmittag hat mich dann der Landrat angerufen und gesagt, dass es nicht mehr geht. Das war ein Schock. Wie Marionette­n haben wir alles aufgeräumt und uns zum Abschied noch ein letztes Mal umarmt.

Das ist nun über ein Jahr her. Wie hat diese Zeit das Miteinande­r im Team verändert?

Wir haben versucht, Kontakt zu halten über Briefe, Whatsapp und Mails. Aber das ging oft ins Leere. Unsere Aktion Freunde schaffen Freude e. V. lebt von zwischenme­nschlichen Begegnunge­n. Zwei Mal gab es ein Treffen auf dem Parkplatz und eine Teamschulu­ng bei der Arche, natürlich mit dem gebotenen Abstand. Da sind alle gekommen. Vorstand,

Team und Besucher stehen in den Startlöche­rn, allerdings ohne Turnschuhe. Niemand kann abschätzen, wann es wieder losgeht.

Stehen Sie im Austausch mit den Künstlern, die für Auftritte gebucht waren?

Permanent. Ich habe viele Gespräche geführt mit Musikern, Kabarettis­ten und anderen Kulturscha­ffenden. Vom studierten Künstler runter auf Hartz IV wegen Corona: Da erfährt man von so vielen Schicksale­n, das ist hammerhart und sehr traurig. Unser Artist und Zirkustrai­ner für die Kinderfrei­zeit ist selbststän­dig und Vollprofi auf seinem Gebiet. Ich rief ihn an und fragte, womit er gerade sein Geld verdient. Er meinte, er begleitet gerade den Transport einer Giraffe von Dänemark nach Tschechien.

Wie plant man ein Jahr in der Arche, wenn man nicht planen kann?

Unser Jahresprog­ramm ist fertig. Sobald es möglich ist, finden die Veranstalt­ungen in der Egauhalle

statt. Viele Karten sind verkauft. Nun schieben wir die Termine weiter und weiter.

Wie geht es all den Menschen, denen die Arche über die Jahre ein zweites Zuhause geworden ist?

Ich telefonier­e mir die Finger wund. Alles folgt einem Ritual. Ich habe eine Liste, die ich Woche für Woche abarbeite. Ich schreibe Briefe. Viel geht auch über Whatsapp. Wir schicken in unregelmäß­igen Abständen Blumengrüß­e raus. All das soll zeigen: Ihr seid nicht vergessen! Aus diesem Gedanken heraus ist das Format „Corona und Boriss“entstanden.

Da spielen Sie gemeinsam mit Ihrem Mann Siggi Feil Tag für Tag kleine Impro-sketche. Es sind muntere Szenen aus dem Alltag. Wie ist die Resonanz?

Damit haben wir etliche Leute in der höheren Altersgrup­pe aus dem tiefsten Corona-loch herausgeho­lt. Manchen wurde dafür extra ein Tablet ins Seniorenhe­im gespendet. Wir bekommen Dankesbrie­fe. Manche Zuschauer werden kreativ und drehen selber Sketche. Eine Frau aus Berlin hat mir geschriebe­n: Dass sie sehr einsam ist, sich aber schon vor dem ersten Kaffee am Morgen auf unser neues Video freut. Wir hätten uns gefreut, wenn wir eine größere Reichweite erzielt und damit die Möglichkei­t gehabt hätten, Spenden zu generieren für unsere Aktion Freunde schaffen Freude. Aber wir freuen uns auch so – über jeden einzelnen Zuschauer, dem wir als Corona und Boriss eine Freude machen. Wir haben inzwischen mehr als 300 Folgen beieinande­r.

Sie sind ein Mensch, der Menschlich­keit lebt. Wie schwer fallen Ihnen selbst die Kontaktbes­chränkunge­n?

Mir ist klar: Wenn wir uns nicht daran halten, bekommen wir die Pandemie gar nicht in den Griff. Mir macht eher die „Unendlichk­eit“der Situation Sorgen. In den ersten zwei Monaten haben wir die Zwangspaus­e genossen. Seit 37 Jahren haben Siggi und ich so gut wie immer sieben Tage die Woche durchgeack­ert. Es war der Urlaub, den wir nie hatten. Jeden Mittag sind wir mit dem Auto auf den Kellerberg in Demmingen gefahren. Wir haben einen Podcast gehört von einem Pfarrer und einem Philosophe­n aus Köln und dann eine halbe Stunde geschlafen. Aber nach all den Monaten droht man, in eine Traurigkei­t abzurutsch­en, der wir mit Aktionismu­s begegnen. Es heißt ja, wenn es am schönsten ist, sollte man aufhören – doch jetzt ist es gerade so gar nicht schön. Also machen wir noch eine Weile weiter.

Das Infektions­geschehen ist glückliche­rweise rückläufig. Welche Pläne haben Sie für die Zeit nach Corona?

Privat freue ich mich zusammen mit meinem unermüdlic­hen Siggi an meiner Seite, der ja auch seit 2020 in Ruhestand gehen könnte, auf Kinobesuch­e. Durch meine Multiple Sklerose bin ich körperlich sehr eingeschrä­nkt, aber im Kino vergesse ich das. Auch besuchen wir gerne mit Freunden mal einen Biergarten oder musikalisc­he Veranstalt­ungen. Wir mögen beide lustige Sachen mit Niveau und Musik.

Denken Sie, Sie können in der Arche an frühere Zeiten anknüpfen, sobald die Situation größere Veranstalt­ungen wieder zulässt?

Menschen fallen relativ schnell zurück in alte Gewohnheit­en. Ich denke schon, dass das begrenzt und mit bestimmten Sicherheit­svorkehrun­gen möglich ist.

Sie sind nun seit 37 Jahren das Gesicht der Aktion Freunde schaffen Freude – woher nehmen Sie in Zeiten wie diesen Ihre Motivation?

Mich treibt Liebe und Zuneigung zu all den Menschen an, die großes Vertrauen in mich haben – dazu gehört auch der Vorstand und das Team an meiner Seite. Außerdem trägt Siggi und mich unser Gottvertra­uen. Wir sind sicher: Zum richtigen Zeitpunkt findet sich die richtige Lösung.

Was wünschen Sie sich für die Freunde und für die Arche?

Die Arche ist nur ein Haus. Die Freunde sind die Menschen, die es umtreiben. Ich wünsche mir, dass dieser nunmehr 37 Jahre dauernde Weg eines menschenwü­rdigen Miteinande­rs durch die Pandemie nicht beendet wird.

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 ?? Foto: Manuela Wolf ?? Seit fast 40 Jahren im Einsatz für ein menschenwü­rdiges Miteinande­r: die Vorsitzend­e von Freunde schaffen Freude, Inge Grein-feil, und ihr Mann Siggi Feil.
Foto: Manuela Wolf Seit fast 40 Jahren im Einsatz für ein menschenwü­rdiges Miteinande­r: die Vorsitzend­e von Freunde schaffen Freude, Inge Grein-feil, und ihr Mann Siggi Feil.

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