Voll auf Risiko
Die Freien Demokraten stehen nach einem verkorksten Vorjahr wieder gut da. Befanden sie sich 2020 nach dem Debakel um den Thüringer FDPMANN Thomas Kemmerich, der sich mit Stimmen der AFD zum Ministerpräsidenten wählen ließ, nahe am Fünf-prozent-abgrund, sind die Umfragewerte nun wieder zweistellig. Momentan würden sogar mehr Menschen die Freien Demokraten wählen als vor vier Jahren, was die Liberalen davon träumen lässt, die SPD zu überholen und drittstärkste Kraft zu werden.
Der Höhenflug ist vor allem damit zu erklären, dass sich die FDP in der Pandemie in einer Rolle profilieren konnte, in der sie viele Wähler lange nicht mehr gesehen hatten: als Bürgerrechtspartei, die auch in der Krise auf die Prinzipien des Rechtsstaats pocht. Das bisweilen chaotische Regierungshandeln und teils überzogene sowie schlecht begründete Freiheitsbeschränkungen spielten der FDP in die Hände. Dass in der Pandemie zudem dem Letzten klargeworden ist, in welch besorgniserregenden Zustand sich die Verwaltung befindet, machte die Partei, die 2017 mit dem Modernisierungsversprechen „Digital first, Bedenken second“antrat, endgültig zur Krisengewinnerin.
Da die Digitalisierung neben dem freien Markt zum liberalen Markenkern geworden ist – ähnlich wie der Klimaschutz bei den Grünen –, kann man davon ausgehen, dass die FDP dieses Versprechen erneut ins Zentrum ihrer Wahlkampfstrategie rücken wird. Mit Werben für Marktwirtschaft allein wird sie den Höhenflug aber wohl nicht fortsetzen können. Angesichts einer Wiedergeburt des Staatsinterventionismus in den USA und galoppierender Preise auf den Wohnungsmärkten klingt die reine Lehre des freien Marktes in vielen Ohren weder sexy noch zeitgemäß.
Parteichef Lindner lässt dennoch keinen Zweifel daran, dass man im Herbst auf der Regierungsbank Platz nehmen möchte. Ein zweites Mal „besser nicht zu regieren, als schlecht zu regieren“würden die Wähler ihm wohl auch nicht verzeihen. Lindner hingegen versucht seine Absage an eine Jamaika-koalition vor vier Jahren umzudeuten und wirbt damit, dass es den Liberalen nicht um Dienstwagen, sondern um Inhalte gehe. Wie um das zu bekräftigen, zeichnet er jetzt schon rote Linien für mögliche Koalitionsverhandlungen: Die FDP werde in keine
Parteichef Lindner zieht mit Blick auf mögliche Steuererhöhungen schon jetzt die rote Linie.
Regierung eintreten, die Steuererhöhungen plant.
Was wie eine Absage an eine Ampelkoalition klingt – Grüne und SPD haben beide höhere Abgaben für Wohlhabende im Programm –, könnte allerdings auch Gespräche mit der Union erschweren. Bei der gab Friedrich Merz kürzlich zu verstehen, dass man angesichts des hohen Schuldenstands womöglich nicht an Steuererhöhungen vorbeikomme. Schon jetzt tauchen Erinnerungen an 2009 auf, als die FDP im Wahlkampf Entlastungen versprach, die sie gegen die Union nicht durchsetzen konnte. Es folgte – nicht nur, aber auch deswegen – der Abschied aus dem Bundestag. Jetzt schon Forderungen zu stellen, die Kompromisse unmöglich machen, ist daher ein riskanter Schachzug.