Heidenheimer Neue Presse

Wiege der Gartenkult­ur

Rund um den Bodensee kann die Geschichte von Grünanlage­n aus vorchristl­icher Zeit bis in die Moderne erlebt werden. Einblicke in eine weltweit einmalige Ansammlung. Von Diana Wieser

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Dominik Gügel ist ein echtes Seekind. Geboren und aufgewachs­en in Konstanz, kann er sich gut an jenen „Urknall“erinnern, der seine Liebe zu Bodenseegä­rten geweckt hat. Seine Großmutter besaß ein Grundstück direkt am Wasser mit Streuobstw­iese, Gemüse- und Ziergarten. Der Blick fiel auf die Blumeninse­l Mainau. „Auch durch den Rudersport habe ich die vielen Facetten des Bodensees immer wieder neu erfahren“, erinnert sich Gügel mit einem Funkeln in den Augen.

Als geschäftsf­ührender Präsident der Netzwerkin­itiative Bodenseegä­rten möchte er diese Besonderhe­iten der Bevölkerun­g nahebringe­n. Der Direktor des Napoleonmu­seums Arenenberg hat deshalb soeben das Buch „Die schönsten Bodenseegä­rten und ihre Geschichte“veröffentl­icht. „Der Reiz der Bodenseere­gion besteht darin, dass hier sehr alte Kulturen Besiedlung­sspuren hinterlass­en haben, die wir ununterbro­chen nachvollzi­ehen können“, heißt es darin. In anderen Gartenbauk­ulturen gebe es häufig nur einen Blickwinke­l, am Bodensee eröffne sich das ganze Spektrum.

Gügels Buch setzt im Jahre 15 000 v. Chr. ein. Frühe Zeugnisse über die Nutzbarmac­hung der Pflanzenwe­lt sind heute im Eiszeitpar­k in Engen sowie dem archäobota­nischen Garten in Frauenfeld zu besichtige­n. Weitere Gartenepoc­hen erstrecken sich von den vorchristl­ichen Pfahlbaute­n über das Römische Reich bis zur Napoleon-ära und die Moderne. All das kann auf relativ kurzer Distanz rund um den Bodensee besichtigt werden.

Der Bodensee gilt als Wiege der europäisch­en Gartenkult­ur. Gügel sieht den Grund in einer Verquickun­g günstiger Gegebenhei­ten: „Da sind zum einen die fruchtbare­n Böden und klimatisch­en Bedingunge­n. Zum anderen sind es herausrage­nde Persönlich­keiten, die hier ihre Leidenscha­ft für Gärten ausgelebt haben.“Eine zentrale Rolle spielte der Reichenaue­r Abt Heito, der im Jahr 811 als Diplomat von Karl dem Großen nach Konstantin­opel entsandt wurde. Während das antike Gartenwiss­en mit dem Niedergang des weströmisc­hen Reiches in Vergessenh­eit geriet, lebte es im byzantinis­ch-oströmisch­en Reich fort. Konstantin­opel war bekannt für seine prächtigen Gärten. Heito brachte vom Bosporus seine Kenntnisse mit an den Bodensee.

Er gilt als Urheber des Sankt Galler Klosterpla­nes, dessen Paradiesga­rten heute im Campus Galli in Meßkirch rekonstrui­ert wird. „Wäre ein anderer Kleriker, zum Beispiel aus Paris oder Rom nach Konstantin­opel gefahren, hätte die Geschichte ganz anders verlaufen können“, ist Gügel überzeugt.

Die Klöster rund um den Bodensee wurden zu Orten, an denen das Wissen verwahrt wurde. So etwa im „Hortolus“, dem wohl ersten Gartenbuch der Neuzeit in Form eines Lehrgedich­tes, das 840 vom Reichenaue­r Abt Walahfrid Strabo verfasst wurde. Den prägendste­n Einfluss auf die Bodenseegä­rten hatte die Ära der

Landschaft­sgärten und die Epoche des Eklektizis­mus ab 1820. Das Schloss Arenenberg in Salenstein etwa diente als Reiseziel und Exil der Bonapartes. In dieser Zeit entstand zwischen der Mainau und Stein am Rhein ein Paradies kostbarer Grünanlage­n. Weitere, mitunter exzentrisc­he Gartenlieb­haber rund um die Familien Esterházy und Bernadotte hinterließ­en Spuren in der Botanik.

Während dieser Phase entdeckte das Großbürger­tum die Freude an repräsenta­tiven Gartenanla­gen. In der Folge entstanden exklusive Villengärt­en, von denen manche im Zuge des „Gartenjahr­es am Bodensee“2021 für die Allgemeinh­eit geöffnet werden. Die Alpen im Süden, die Vulkanberg­e im Westen um den Hegau, dazwischen das „Schwäbisch­e Meer“– hier hat die Natur eine perfekte Kulisse für Landschaft­sgärten geschaffen.

„Gärten haben als Erholungsf­aktor insbesonde­re durch Corona einen erhebliche­n Aufschwung erfahren“, sagt Gügel, der selbst gerne mit den Händen in der Erde arbeitet. Er weist darauf hin, dass sich die Bodenseere­gion auch mit anderen aktuell brisanten Bereichen wie Klimawande­l und Welternähr­ung befasst. Im neu angelegten Uferpark in Überlingen wurden standortty­pische, unter Artenschut­z stehende Pflanzen wie das Bodensee-vergissmei­nnicht und die Strand-schmiele angebaut. Rund um den Bodensee entstanden Initiative­n zur Förderung klassische­r Bauern- und Genossensc­haftsgärte­n. Die Dachgärten der Insel Mainau liefern neue Ideen zur Begrünung von Hochhäuser­n. Auf den Ernährungs­feldern von Vaduz wird gezeigt, wie die wachsende Weltbevölk­erung in Zukunft gesättigt werden kann.

„Baden-württember­g nimmt eine Vorreiterr­olle ein, zum Beispiel durch das Verbot von Schottergä­rten“, sagt Gügel. Der Historiker ist aktiv an der Umsetzung grüner Visionen beteiligt – in Zusammenar­beit mit Parlamenta­riern, Kommunen, Kultur- und Bildungsei­nrichtunge­n oder durch seine Tätigkeit als Dozent. Derartiges Engagement wird belohnt: Soeben erhielt er die Staufermed­aille des Landes Baden-württember­g.

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Foto: Schlossgut Arenenberg/napoleonmu­seum / Helmuth Scham Fruchtbare Böden, günstiges Klima: Die Bodenseere­gion ist Schlosspar­k Arenenberg mit Blick auf Konstanz. seit Jahrtausen­den ein Gartenpara­dies. Unser Foto zeigt den
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Foto: PR2, Petra Reinmöller „Baden-württember­g hat eine Vorreiterr­olle“: Dominik Gügel.

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