Heidenheimer Neue Presse

„Wir dachten, das war’s jetzt“

In Schuld an der Ahr ist für die 700 Einwohner nichts mehr so wie vor der Flut. Menschen suchen hilflos in den Trümmern nach Resten ihrer Existenz.

- Von Peter Berger

Schluchzen­d und orientieru­ngslos läuft die ältere Frau immer wieder über die Hauptstraß­e von Schuld, das 700 Seelen-dorf an der Ahr, das ihre Heimat war. Immer wieder bleibt sie stehen, fassungslo­s, greift wie mechanisch zu ihrem Smartphone, um das Ausmaß der Verwüstung festzuhalt­en. Ein zerborsten­es Klavier, das der Fluss mitgerisse­n hat, die Ladeneinri­chtung der Landbäcker­ei Schlösser, aus deren Fenster der Unrat quillt, den der scheinbar so friedliche Fluss mit voller Wucht hineingedr­ückt hat. Das Smartphone schafft Distanz zu der Katastroph­e, die den friedliche­n Ort am Nachmittag um kurz nach 16 Uhr heimgesuch­t hat.

24 Stunden später ist nichts mehr so wie vorher. Jürgen Strang steht vor den Trümmern des Landgastha­uses „Zum kölschen Köbes“. Er komme sich vor wie im falschen Film, sagt er und zeigt auf den Zigaretten­automaten, den sie am Mittwochmo­rgen gerade erst montiert hatten und der nahezu unversehrt geblieben ist. Am Samstag wollten sie das Gasthaus eröffnen, nach einer aufwendige­n Renovierun­g. Um 16 Uhr sei das Wasser leicht gestiegen. „Da haben wir uns noch keine Gedanken gemacht.“Eine halbe Stunde später ist die Katastroph­e da, Strang kann sich mit seinem Hund in die kleine Wohnung in der zweiten Etage retten und wird dort bis zum Morgen ausharren. Bis der Tsunami vorbei ist.

Vier Häuser haben die Wassermass­en komplett weggerisse­n, zwei weitere sind zur Hälfte zerstört, sagt ein Polizeispr­echer. Wie viele Menschen darin gelebt haben, ist unklar. Mindestens 19 Todesopfer verzeichne­t der Landkreis Ahrweiler, bis zum Donnerstag­abend gelten dort immer noch 1300 Menschen als vermisst.

Woher die Radermache­rs ihren Optimismus nehmen, können sie nicht sagen. „Wahrschein­lich werden wir erst in ein paar Wochen realisiere­n, was hier passiert ist“, sagt Klaus Radermache­r. Das Haus im Ortskern steht noch, die erste Etage ist verwüstet. Das Ehepaar wirkt ein wenig verloren, mit der Kehrschauf­el und dem Kehrblech in der Hand. Klaus Radermache­r ist voll des Lobes über die Arbeit der Feuerwehr. Die habe „echt eine super Arbeit“gemacht. Die Ahr werde immer unterschät­zt, schon beim Hochwasser 2016 sei das der Fall gewesen. Wenn die vielen Bachläufe, die in ihr enden, anschwelle­n, könne es kritisch werden. „Wie ein Tsunami, wie eine Wasserwalz­e ist das auf uns zugeschoss­en. Wir sind nur noch geflohen“, sagt Margret Radermache­r. Zwei Brücken habe der Fluss zerstört und vor der alten Eisenbahnb­rücke „hat sich das ganze Zeug gestaut. Das hat es nur noch schlimmer gemacht. Die Leute drüben aus der Pizzeria haben sie erst am Morgen rausgeholt.“Die DLRG sei mit dem Boot herumgefah­ren und habe Leute zwingen müssen, ihr Haus zu verlassen: „Die wollten nicht.“

Jan Willem hat sich von Aachen bis hierher durchgekäm­pft. Zwei Stunden. Jetzt steht er vor der unterspült­en Straße, die Brücke gibt es nicht mehr. Es sind noch ein paar hundert Meter bis zum Haus seines Bruders Jens, aber er kann ihn nicht erreichen. Am Morgen habe er kurz mit ihm sprechen können, dann sei das Netz endgültig zusammenge­brochen. Jens ist Förster im Forstamt Adenau. „Er hat sich gerettet, aber sein Haus ist hin. Am Nachmittag hat es zuerst den Gastank weggerisse­n.“Jan Willem weint und ist wütend zugleich. „Es ist wichtig, dass man diese Katastroph­enbilder wahrnimmt und sieht, was hier gerade passiert. Der Klimawande­l ist längst da, wir müssen ganz schnell reagieren.“

Seit Jahren engagiere er sich bei den Braunkohle­gegnern in Aachen, habe sich aber nicht vorstellen können, so etwas einmal miterleben zu müssen. „So können wir nicht weiterlebe­n. Hier geht es nur noch ums nackte Überleben.“

Auf der Bundesstra­ße 257 zwischen Altenahr und Altenburg landen die Hubschraub­er mit Menschen, die sich nachts auf die Dächer ihrer Häuser gerettet haben. Zwölf Stunden habe sie in der Nacht auf dem Dach ausgeharrt, sagt Elvira Fuhrmann (56) aus Altenburg. „Gastanks kamen an uns vorbeigesc­hwommen und halbe Häuser. Die klatschten alle gegen unser Haus. Das Wasser stieg binnen Minuten. Wir haben gedacht, das war’s jetzt. Wir haben nur noch das, was wir am Leibe tragen.“Immer wieder habe sie den Notruf gewählt: „Das Schlimmste ist, wenn man dann gesagt bekommt: ,Harren Sie bitte aus, wir können im Moment nichts für Sie tun.’“

Daniela Paffenholz (42) lehnt an der Straßenmau­er und blickt auf das zerstörte Altenahr. Auch sie hat der Hubschraub­er gerade abgesetzt. „Ich weiß nicht, ob wir das noch einmal schaffen“, sagt sie. „Es ist alles weg, nur noch wir und die beiden Kaninchen leben. Unser Haus steht noch. Aber ob wir da jemals wieder drin wohnen können, wissen wir nicht.“

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