Neues Selbstbewusstsein
Es fühlt sich ein bisschen so an wie Erwachsenwerden. Wenn man sich von den Eltern abgrenzen will, seine eigenen Erfahrungen machen möchte, von ihnen auf Augenhöhe wahrgenommen werden will. Man lässt sich nicht mehr alles gefallen. Aber ein gutes Verhältnis zu ihnen bleibt dennoch ein Wunsch. Und umgekehrt finden die bisherigen Beschützer, dass man endlich auf eigenen Füßen stehen lernen sollte. So ähnlich ist es mit dem deutsch-amerikanischen Verhältnis. Der Besuch von Angela Merkel bei Joe Biden hat gezeigt, dass die Beziehung trotz Meinungsverschiedenheiten und einer gewissen Konkurrenz nach den wilden Trump-jahren wieder freundschaftlich und stabil ist.
Und dennoch: Beim Streit um die Erdgaspipeline Nord Stream 2 beharrt Deutschland auf deren Inbetriebnahme und sieht die Garantien für die
Ukraine als ausreichend an, die durch die Pipeline beim Gastransport umgangen werden kann. Und auch beim Verhältnis zu China grenzt Deutschland sich von den USA ab – Merkel erwähnt, dass man in Handelsfragen durchaus in Konkurrenz zu den Vereinigten Staaten stehe.
Hier zeigt sich ein neues Selbstbewusstsein, das natürlich in erster Linie von der Person Merkel repräsentiert wird. Dieses politische Schwergewicht wird sich ihr Nachfolger oder ihre Nachfolgerin nach der Bundestagswahl erst noch erwerben müssen. Egal, ob sich das künftige strategische Konzept von jenem der Merkel-regierung unterscheiden wird – die Streitfragen werden dennoch bleiben. Die USA von Joe Biden können derweil nicht anderes tun als sich zurückzulehnen und abzuwarten – ob der Schützling sich nun völlig abnabelt oder doch in der Nähe einzieht.