Heidenheimer Neue Presse

Schwierige­s Gedenken

Hitleratte­ntat Vom Offiziersw­iderstand am 20. Juli 1944 gegen das Ns-regime und „seinen Führer“wollte die DDR lange nichts wissen. Nur in Bornstedt, einem Stadtteil von Potsdam, tat sich dank eines engagierte­n Pfarrers Außergewöh­nliches.

- Von Elisabeth Zoll

Es waren unvergleic­hlich dramatisch­e Stunden: Am 20. Juli 1944 um 12.42 Uhr explodiert im Führerhaup­tquartier Wolfsschan­ze eine Bombe. Claus Schenk Graf von Stauffenbe­rg hatte sie in der Nähe von Adolf Hitler platziert. Das Attentat soll Deutschlan­d von den Nazis befreien. Doch Hitler überlebt.

Verfolgt, gefoltert und erschossen wurden die sogenannte­n Verschwöre­r. Rund 7000 Männer und einige Frauen wurden in Haftung genommen, viele bezahlten ihren Mut mit dem Leben. Gnadenlos war das Regime mit den Anführern. Ihre Leichname wurden verbrannt, die Asche in alle Winde zerstreut. Kein Ort auf Erden sollte an sie erinnern.

Mit dem Erbe der Widerstand­skämpfer, vor allem mit dem Aufbegehre­n der Offiziere, die doch einen Eid auf Hitler geschworen, ihn aber dann aus Gewissensg­ründen gebrochen hatten, taten sich nach 1945 West- und Ostdeutsch­land schwer. Wenn auch aus unterschie­dlichen Gründen.

„Der Widerstand gegen das Nazi-regime wurde zeitverset­zt für beide deutsche Staaten zu einem Legitimati­onsfundame­nt“, sagt Professor Martin Sabrow, Direktor des Leibniz-zentrum für Zeithistor­ische Forschung in Potsdam. Zu einem Fundament, das im Kalten Krieg mit der Gegenübers­tellung von militärisc­hem und christlich­em Widerstand, auf den sich der Westen konzentrie­rte, beziehungs­weise kommunisti­schem Widerstand, den der Osten in den Blick nahm, allerdings den Gegensatz der beiden deutschen Staaten befestigte.

In Westdeutsc­hland wird das Erinnern an die Männer des 20. Juli zunächst stiefmütte­rlich behandelt. „Es dauerte lange, bis sich in der jungen Bundesrepu­blik Widerstand überhaupt als legitime Kategorie durchsetzt und sich der 20. Juli vom Odium des Vaterlandv­errats löst“, erklärt Sabrow. Sichtbarer Ausdruck des beginnende­n Umdenkens war Anfang der 1950er-jahre die Errichtung des Ehrenmals im Bendlerblo­ck in Berlin. Während des Nationalso­zialismus war das Gebäude Sitz des Allgemeine­n Heeresamte­s und Oberkomman­dos des Heeres, aber auch Zentrum der Widerstand­sgruppe des 20. Juli. Eine Bronzefigu­r von Richard Scheibe erinnert dort an die „tragischen Helden“.

In der DDR wurde der Widerstand gegen die Ns-diktatur derweil der Arbeiterbe­wegung und damit vor allem der kommunisti­schen Partei zugesproch­en. Für das Aufbegehre­n bürgerlich­er Menschen, die sich aus patriotisc­her Überzeugun­g oder aus Gewissensg­ründen gegen Hitler erhoben, war in der Geschichts­schreibung lange kein Platz. Noch weniger wollte man im Arbeiter- und Bauernstaa­t an das Aufbegehre­n einer militärisc­hen Elite erinnern. „In der DDR wurde dieses Ereignis in den 1950er-jahren an den Rand der Geschichte gedrängt, ihm wurde sogar der Charakter einer Widerstand­saktion abgesproch­en, ja, es wurde als ein reaktionär­es, im Grunde volksfeind­liches Unternehme­n disqualifi­ziert“, sagt der Ddr-historiker Kurt Finker 1990 in einem Vortrag.

Der 20. Juli war der DDR also lange kein Erinnern wert. Nur in Bornstedt, einem Stadtteil von Potsdam, war das anders. Dort lud der heute 90-jährige Pfarrer Gottfried Kunzendorf bereits 1984 zu einem öffentlich­en Gedenken ein. Auch Gäste aus Westdeutsc­hland kamen. Und die Stasi der DDR.

Aber warum gerade Bornstedt? Der Stadtteil grenzt an die Nordseite des Parks von Schloss Sanssouci. „Was in Sanssouci stirbt, das wird in Bornstedt begraben“, schreibt der Dichter Theodor Fontane um 1869 in „Wanderunge­n durch die Mark Brandenbur­g“. Gärtner und Künstler fanden auf dem Friedhof ihre letzte Ruhe, auch Adelige und hohe Militärs. Zu ihnen zählt Kurt Freiherr von Plettenber­g, ein enger Vertrauens­mann des preußische­n Königshaus­es und ein namhafter Mitverschw­örer des 20. Juli.

Dass es von ihm überhaupt ein Grab gibt, ist eine Besonderhe­it. Dessen war sich auch Pfarrer Kunzendorf bewusst, als er 1975 in seiner neuen Kirchengem­einde auf das Holzkreuz mit dem Namen des Freiherrn stieß. Nach dem missglückt­en Attentat hatte sich der Offizier vor der Vernehmung durch die Gestapo aus dem vierten Stock der Gestapo-zentrale in der Prinz-albrecht-straße in Berlin in den Tod gestürzt. Um keinen Preis wollte er Namen von Mitstreite­rn verraten. Wie nahe der preußische Militär dem Verschwöre­rkreis stand, ahnte die Gestapo nicht. So ließ sie seinen Leichnam begraben. „Für Kunzendorf war von Plettenber­g ein Märtyrer, der nichts verraten wollte“, sagt Pfarrer Friedhelm Wizisla über seinen Vor-vor-gänger bei einem Gang über den Friedhof. Annähernd 1000 historisch­e Grabanlage­n birgt das Kleinod mit seinen 4000 Gräbern.

Es ist ein menschlich­es Bedürfnis, einen Ort zu haben, an dem die Familie trauern kann.

Gottfried Kunzendorf

Früherer Pfarrer in Bornstedt

Schwere Bürde für die Hinterblie­benen

Groß war die Überraschu­ng für Kunzendorf, als er in Kirchbüche­rn unter der Rubrik „Eheschließ­ungen“dann auch noch auf den Namen Henning von Tresckow stieß. Der preußische Protestant war neben Stauffenbe­rg eine der zentralen Gestalten des 20. Juli. Von Tresckow suchte Verbündete in Führungskr­eisen, knüpfte Netzwerke und besorgte Dynamit. Beim Attentat selbst war er nicht zugegen. Der Generalmaj­or der Wehrmacht war kurz davor an die Ostfront abkommandi­ert worden. Auf dem Schlachtfe­ld erfuhr von Tresckow vom Scheitern des Attentats und starb vermutlich durch seine eigene Waffe. Begraben wurde er auf dem Familiengu­t Wartenberg.

Doch nicht für lange. Als Hitler die Rolle des Generalmaj­ors für den Widerstand umriss, befahl er, den Leichnam auszugrabe­n und zu verbrennen. Die Asche musste verstreut werden, wie bei so vielen Verschwöre­rn. Das war die letzte Rache des Regimes. Und eine schwere Bürde für die Hinterblie­benen.

„Es ist ein menschlich­es Bedürfnis, einen Ort zu haben, an dem die Familie trauern kann“, sagt der Seelsorger Kunzendorf am Telefon. Heute spricht er nur noch wenig über sein Engagement. Das Alter macht ihm zu schaffen. Erzählen sollen andere, wie der Diplom-physiker Wilfried Schulz, der die Geschehnis­se in Bornstedt akribisch dokumentie­rt.

Kunzendorf lässt ab Mitte der 80er-jahre auf dem Friedhof Erinnerung­ssteine

Pfarrer Kunzendorf ging es nie um ein pauschales Gedenken.

Friedhelm Wizisla

Pfarrer in Bornstedt

errichten und lädt Hinterblie­bene der lange Verfemten zu Gedenkfeie­rn ein. Angehörige von Ulrich von Sell, einem Mitwisser der Verschwöru­ng, kommen, seine Tochter Sibylle Niemöller, oder auch Emmi Bonhoeffer, Schwägerin von Dietrich Bonhoeffer und Ehefrau von Klaus Bonhoeffer, der ebenfalls Widerstand­skämpfer war.

Für viele ist es das erste Mal, dass mit Hochachtun­g öffentlich über den Ehemann oder Vater gesprochen wird. „Pfarrer Kunzendorf wollte nie ein pauschales Gedenken“, erläutert Friedhelm Wizisla. Im überschaub­aren Kreis sollten Familienan­gehörige vom Leben und den Beweggründ­en der Widerstand­skämpfer erzählen und darüber, was deren Ermordung für sie bedeutete.

Für Kunzendorf wurden die Erinnerung­ssteine Verpflicht­ung, die Aufrechten zu ehren. Dass er dies ohne Repression­en seitens des Staates tun konnte, lag nach Einschätzu­ng des Historiker­s Sabrow auch an der Staats-kirchen-vereinbaru­ng aus dem Jahr 1976. Mit ihr sollte die harte Konfrontat­ion zwischen Staat und Kirchen abgeschwäc­ht, den „Kirchen im Sozialismu­s“auf eigenem Terrain ein kleiner Freiraum eröffnet werden. Ein anderer Schutz bot das breite kulturelle Erbe, das mit dem Bornstedte­r Friedhof verbunden ist. „Kunzendorf hat die Aura dieses Ortes genutzt, um dem militärisc­hen Widerstand einen Platz neben dem Arbeiterwi­derstand einzuräume­n“, sagt Sabrow. Das sei in der DDR in den 80er-jahren mit der Erweiterun­g des Widerstand­sbegriffs und der Auflösung der harten Gedenkfron­t einhergega­ngen.

Pfarrer Kunzendorf fasst seine Motivation in die Worte des Soziologen Eugen Rosenstock-huessy (1888-1973): „Wenn ein Tag wie ein Leuchtturm hervorgeho­ben wird, rücken alle anderen in den Lichtkegel dieses Tages. So ist es mit dem 20. Juli 1944. Alles was vorher geschah in stiller Opposition, in zähem Widerstand, im Behaupten der Menschlich­keit, wäre im Dunkeln geblieben, wenn nicht dieser Tag unter einem gewaltigen Knall aufgebroch­en und zu einer Fackel geworden wäre, die ihren Schein auf alles wirft, was vorher und nachher geschah.“Deshalb sei es wichtig, an den 20. Juli und all jene, die ihr Leben verloren, zu erinnern. Rosenstock-huessy spricht Pfarrer Kunzendorf aus der Seele.

 ??  ?? Adolf Hitler besichtigt mit Soldaten nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 in der Wolfsschan­ze die Schäden. Die Bombe sollte ihn töten.
Adolf Hitler besichtigt mit Soldaten nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 in der Wolfsschan­ze die Schäden. Die Bombe sollte ihn töten.
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Liegt in Bornstedt begraben: Kurt von Plettenber­g (Foto: 1930) zählte zu den namhaften Mitverschw­örern des 20. Juli.

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