Heidenheimer Neue Presse

„Das ist ein Trugschlus­s“

Schule Mobile Luftfilter sollen mehr Sicherheit im Corona-unterricht bringen. Raumluftex­perte Konstantin­os Stergiarop­oulos dämpft die Erwartunge­n.

- Von Axel Habermehl

Sechs Monate hat sich ein Team der Uni Stuttgart um Professor Konstantin­os Stergiarop­oulos (51) mit der Frage beschäftig­t, wie man Schulräume am besten lüftet. An zehn Schulen führten sie Versuche durch, versprühte­n Aerosole, analysiert­en Luftströme. Immer auf der Suche nach der besten Methode, um bei möglichst geringer Infektions­gefahr Unterricht abhalten zu können.

Deutschlan­d debattiert über Luftfilter für Schulräume. Sie raten nach langen Experiment­en vom flächendec­kenden Einsatz ab. Warum? Konstantin­os Stergiarop­oulos:

In unserer Studie haben wir in mehreren Stuttgarte­r Klassenräu­men verschiede­ne Formen der Lüftung untersucht: über die Fenster, mit fest verbauten raumluftte­chnischen Anlagen und mit mobilen Luftreinig­ungsgeräte­n. Dabei haben wir festgestel­lt, dass diese mobilen Geräte zwar eine gewisse Wirkung in Bezug auf die Abscheidun­g von Partikeln und Aerosolen haben, die als Vehikel für SARS-COV-2-VIREN gelten. Aber die anderen Lüftungsmö­glichkeite­n waren nicht schlechter.

Aber in Bezug auf das Infektions­risiko weisen Luftreinig­er in Ihrer Studie doch deutlich die besten Werte auf?

Ja, die Werte sind niedriger, aber „deutlich“würde ich nicht sagen. Sie liegen im gleichen Bereich. Außerdem haben unsere Untersuchu­ngen ergeben, dass Luftreinig­er bei einem ausreichen­d hohen Volumenstr­om zwar die positive Wirkung der Aerosolabs­cheidung erbringen. Sie führen dann aber auch zu einem hohen Schalldruc­k im Raum, der weit über dem geltenden Grenzwert liegt. Und es entsteht ein Luftzug, der stark darüber hinausgeht, was Menschen als „behaglich“empfinden.

Zugluft und ein Brummen: Sind das in der Abwägung nicht relativ kleine Übel?

Nein, wir erwarten, dass Nutzer das nicht hinnehmen. Vielleicht kurzzeitig, aber nicht dauerhaft. Erfahrungs­gemäß schalten Menschen dann die Geräte ab oder regeln den Volumenstr­om herunter, um Schalldruc­k und Luftzug zu senken. Bei niedrigem Volumenstr­om steigt wiederum die Infektions­wahrschein­lichkeit.

Die Alternativ­e ist normales Lüften. Sie raten zu Stoßlüften alle 20 oder besser alle 10 Minuten. Das stört Unterricht doch auch.

Ja und nein. Jedenfalls muss man wissen: Auch beim Einsatz von Luftreinig­ern muss man lüften, denn die Geräte wälzen die Luft nur um. Sie transporti­eren weder CO2 aus dem Raum noch die Wärme und Feuchtigke­it, die Menschen abgeben. Um das Fenster-lüften kommt man nicht herum.

Das sagt doch auch niemand. Man kann ja trotzdem lüften, aber vielleicht in den Pausen und nicht alle zehn Minuten?

Das reicht aber nicht. Die Co2-konzentrat­ion in voll besetzten Klassenräu­men ist oft deutlich zu hoch. Das hat mit guter Innenraum-luftqualit­ät

nichts mehr zu tun. Nur alle 45 Minuten in der Pause zu lüften genügt nicht. Klassenräu­me müssten auch ohne Pandemie alle 20 Minuten gelüftet werden.

Sie empfehlen den Einsatz von Luftreinig­ern für „schlecht zu lüftende Räume“. Was ist damit genau gemeint?

Letztlich geht es um die Frage, wie viel Quadratmet­er zu öffnende Fensterflä­che pro Kubikmeter Raum zur Verfügung steht. Für diese Berechnung haben wir ein Tool entwickelt und der Stadt Stuttgart zur Verfügung gestellt.

Da sieht man, ob der Volumenstr­om über die Fensterlüf­tung für das Zimmer ausreicht.

Spielten die Kosten der Geräte für Ihre Empfehlung eine Rolle?

Nein.

Der Staat gibt nun Millionen für Luftfilter aus, aber eine Maskenpfli­cht im Unterricht ist nur für die ersten zwei Wochen nach den Ferien vorgesehen. Leuchtet Ihnen das ein?

Das kann ich nicht nachvollzi­ehen. Masken wirken erwiesener­maßen sehr gut. Sie filtern Aerosole sowohl beim Aus- als auch beim Einatmen und scheiden dabei Viren ab. Die Diskussion über die Luftreinig­er scheint mir stark politisch dominiert zu sein. Da herrscht Druck von Eltern, Schülern und Lehrern. Viele denken, man kauft mit so einem Gerät 100-prozentige Sicherheit. Das ist ein Trugschlus­s.

Ihre Studie lief in Schulräume­n. Hat sie auch Aussagekra­ft für Kitas und Kindergärt­en?

Im Prinzip schon. Wie gesagt: Es geht immer um die Fensterflä­che pro Raumvolume­n und Personenza­hl. Aber natürlich spielen kleine Kinder und bewegen sich mehr, sind auch mal sehr nah beieinande­r. Virusübert­ragung kann nicht nur durch Aerosole stattfinde­n, sondern auch durch ballistisc­he Übertragun­g über Tröpfchen. Solche Tröpfchen, die beim Sprechen oder Schreien entstehen, können natürlich mehr Viren tragen als die kleineren Aerosole. Das erhöht die Übertragun­gswahrsche­inlichkeit.

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Foto: Sven Hoppe/dpa Umstritten­e Hoffnungst­räger: Luftfilter in Klassenräu­men.
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Foto: Uni Stuttgart Konstantin­os Stergiarop­oulos.

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