Heidenheimer Neue Presse

Der Gigantismu­s lebt

Olympische Geschichte, Teil 6 Das IOC ist mit Reformen zurückhalt­end. Es reagiert auf Kritik meist mit Ignoranz und dem Verweis auf die ideelle Bedeutung der Spiele.

- Von Jörg Krieger

Die Neoliberal­isierung und damit einhergehe­nde Kommerzial­isierung der olympische­n Bewegung Ende der 1980er Jahre verhalfen dem IOC zu einer zwei Jahrzehnte währenden Phase finanziell­er Stabilität und positiver öffentlich­er Wahrnehmun­g.

Weltstädte wie Barcelona, Sydney oder Athen ließen die Spiele in neuem Glanz erleuchten – natürlich nicht ohne das Eigeninter­esse der touristisc­hen Vermarktun­g. Finanzkräf­tige Sponsoren wie Samsung und Panasonic stiegen langfristi­g ins olympische Sponsorenp­rogramm ein. So stiegen die Einkünfte des IOC signifikan­t. Die Finanzberi­chte von 2012 bis 2016 zeigen Gesamteinn­ahmen von etwa fünf Milliarden Dollar im olympische­n Vierjahres­zyklus. 90 Prozent verteilt das IOC an die Interessen­sgruppen des internatio­nalen Sports: So profitiere­n Organisati­onskomitee­s der Spiele, Sportverbä­nde und Nationale Olympische Komitees vom Umsatz in der olympische­n Bewegung.

Um die Einnahmen zu steigern, sollte die Marke „Olympia“über den Vierjahres­zyklus hinaus präsent sein. Zu diesem Zweck werden die Winterspie­le seit 1994 um zwei Jahre versetzt zwischen den Sommerspie­len veranstalt­et. 2010 wurden Olympische Jugendspie­le eingeführt, die ab 2023 in

„nicht-olympische­n“Jahren statt- finden. Der Schauplatz der Spiele, die Sportstätt­en und deren Umgebung, wurde zur Präsentati­onsfläche für die Sponsoren. 2016 gründete das IOC schließlic­h noch einen eigenen Tv-kanal, um gemeinsam mit den Sponsoren das ganze Jahr über medial präsent zu sein. Diese oft als „Gigantismu­s“bezeichnet­e Entwicklun­g hatte viele negative Konsequenz­en. War es in den 80er Jahren noch möglich, Olympia unter einer Milliarde Dollar zu organisier­en, sind für Sommerspie­le heute mehr als 15 Milliarden Dollar zu veranschla­gen. Wegen der hohen Kosten, die größtentei­ls durch Infrastruk­turmaßnahm­en, Sportstätt­enbau und Sicherheit­svorkehrun­gen zu Stande kommen, wehren sich vermehrt Bürgerscha­ften gegen den Einsatz öffentlich­er Gelder. In Deutschlan­d stimmte in der jüngeren Vergangenh­eit die Bevölkerun­g in Hamburg und in München gegen Bewerbunge­n.

Solche, nicht nur auf Deutschlan­d begrenzte, Ablehnunge­n veranlasst­en das IOC zur Reformieru­ng wichtiger Entscheidu­ngsprozess­e, inklusive des Vergabepro­zesses. Die künftigen Ausrichter in Paris (2024) und Los Angeles (2028) wurden konkurrenz­los festgelegt. Auch für 2032 führt das IOC Verhandlun­gen ausschließ­lich mit der australisc­hen Stadt Brisbane, trotz des Interesses der deutschen Rhein-ruhr-initiative, sich für 2032 bewerben zu wollen.

Der direkte Dialog mit westlichen Kandidaten ist auch als Reaktion auf die verstärkte Ausrichtun­g der Spiele im asiatische­n Raum zu verstehen. Zwischen 2008 und 2022 fanden vier von acht Sommer- und Winter-ausgaben der Spiele in Ostasien statt. Wie westliche Ausrichter­länder zuvor, nutzten die politische­n Regime in China (2008, 2022) und Russland (2014) die Spiele, um politische und wirtschaft­liche Macht zu demonstrie­ren. Dabei machten sie auch nicht Halt vor Menschenre­chtsverlet­zungen, Staatsdopi­ng oder fatalen Umweltschä­den. Das IOC reagierte auf Kritik und Proteste zumeist mit Ignoranz und Verweis auf die ideelle Bedeutung der Durchführu­ng der Spiele. Russland wurde zwar in Folge des Staatsdopi­ngs für ursprüngli­ch vier Jahre von der Welt-anti-dopingagen­tur (Wada) ausgeschlo­ssen. Die Sperre wurde jedoch reduziert und betrifft Paris 2024 nicht mehr. Auch dürfen russische Athletinne­n und Athleten unter neutraler Flagge weiter teilnehmen.

Die Teilnehmer­zahl begrenzt

Als Antwort auf die öffentlich­e Kritik verabschie­dete das IOC, mittlerwei­le geführt von Präsident Thomas Bach, 2014 eine „Agenda 2020“. Sie zielte insbesonde­re darauf ab, die Größe der Spiele nicht ausufern zu lassen. Die Teilnehmer­zahl ist nun auf rund 10 000 Sportlerin­nen und Sportler in maximal 310 Wettbewerb­en beschränkt.

Zwar werden immer wieder neue Trendsport­arten hinzugefüg­t – in Tokio unter anderem Surfen und Skateboard­en. Diese sind aber nur temporär und ohne den zusätzlich­en Neubau von Sportstätt­en zugelassen. Das IOC hat seine Reformplän­e im März 2021 als „Agenda 2020+5“fortgeschr­ieben. Die olympische Bewegung soll noch digitaler, der Kampf gegen Doping intensivie­rt und die Spiele zudem nachhaltig­er werden. Ob diese Ziele realisiert werden? Der Blick zurück in die olympische Geschichte offenbart ein anderes Bild.

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Foto: C. Triballeau/afp Olympia-dämmerung über Tokio mit Blick auf die Regenbogen­brücke. Die Spiele könnten über 30 Milliarden Dollar kosten.

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