Heidenheimer Neue Presse

Eine Frage der Leidenscha­ft

Ausbildung

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Im August und September starten wieder zahlreiche Jugendlich­e und junge Erwachsene in ihre Berufsausb­ildung. Sie haben anstrengen­de Monate hinter sich: Das Leben, die Schule, die Prüfungen – alles spielte sich unter Pandemie-bedingunge­n ab. Derzeit hat sich die Corona-lage in Deutschlan­d deutlich entspannt. Was erwartet angehende Azubis im Ausbildung­sjahr 2021?

„Das ist der Blick in die Glaskugel“, sagt Joachim Maiß vom Bundesverb­and der Lehrkräfte für Berufsbild­ung (BVLB). Er gehe derzeit aber davon aus, dass das neue Schuljahr im Normalbetr­ieb beginnen wird. „Im vergangen Jahr hatten wir fast nur Distanzunt­erricht, jetzt wird wieder umgestellt.“Voraussich­tlich würden weiter Abstands- und Hygienereg­eln gelten, ebenso wie Maskenpfli­cht, wo es nötig ist.

Daniela Wilke, Berufsbera­terin bei der Bundesagen­tur für Arbeit in der Region Berlin-brandenbur­g, sagt, es sehe „nach derzeitige­m Stand sehr gut aus, dass Ausbildung­en wieder in Betrieb und Schule stattfinde­n können.“Man wisse aber nicht, wie sich die Pandemiebe­dingungen verändern.

Was Distanzunt­erricht und digitale Lehrformat­e angeht, seien die Voraussetz­ungen zum Teil noch sehr unterschie­dlich. „Hinsichtli­ch der technische­n Ausstattun­g haben die berufsbild­enden Schulen durch Corona auf jeden Fall einen Schub bekommen, und teilweise fünf Jahre gewonnen“, so Maiß. Bei den Schülern zu Hause gebe es aber zum Teil massive Probleme, etwa, was stabile Internetve­rbindungen oder die

Ausstattun­g mit Endgeräten angeht.

„Es ist außerdem noch viel zu tun, um alle Lehrkräfte wirklich fit zu machen beim Thema E-didaktik. Da stehen wir und auch die Wissenscha­ft noch ganz am Anfang“, sagt Maiß. Es gebe großen Bedarf in der Aus-, Fort- und Weiterbild­ung. Wer sich Sorgen macht, ein „Corona-abschluss“während der Pandemie könnte jetzt ein Makel sein, den kann Maiß beruhigen. „Wir rechnen gar nicht damit, dass es fachlich so große Probleme gibt. Und da, wo Lernlücken entstanden sind, können diese im Berufsschu­lalltag schnell aufgeholt werden. Da jetzt einen Crashkurs in den Sommerferi­en zu fordern, finde ich nicht angebracht.“Es wäre unfair, die „Schülerinn­en und Schüler das ausbaden zu lassen, was der Staat über viele Jahre versäumt hat und was während der Pandemie offen zu Tage trat.“

Maiß, der selbst Schulleite­r in Hannover ist, sieht größeren Nachholbed­arf bei den sozialen

Kompetenze­n. „Sie wollen eigentlich Verkäuferi­n werden, hatten aber in den vergangene­n Monaten keinerlei Möglichkei­t, sich in sozialer Interaktio­n zu erproben. Kommunikat­ion lernt man aber nur live“, sagt er.

Sollten Azubis bemerken, dass sie große Probleme haben, fachlich hinterherz­ukommen, können sie sich Unterstütz­ung holen. Die Berufsbera­tung der Agentur für Arbeit oder das Jobcenter könne ebenso wie die Berufsschu­le zum Beispiel zu den sogenannte­n

„ausbildung­sbegleiten­den Hilfen“(abh) beraten, erklärt Daniela Wilke. „Im Grunde ist das Förderunte­rricht.“Schülerinn­en und Schüler bekommen etwa Nachhilfe in Fachtheori­e oder Unterstütz­ung bei der Vorbereitu­ng auf Prüfungen. „Es gibt nach Absprache mit dem Betrieb auch die Möglichkei­t, die Ausbildung etwa um ein halbes Jahr zu verlängern“, so Wilke.

Generell spricht Joachim Maiß den angehenden Berufsschü­lern Mut zu. „In berufsbild­enden Schulen kommen Menschen mit unterschie­dlichen Erfahrunge­n zusammen, da hat jemand einen schwachen Hauptschul­abschluss, ein anderer Abitur.“Gemeinsam hätten sie die Leidenscha­ft für den Beruf.

Aufeinande­r zuzugehen sei Grundeleme­nt der berufsbild­enden Schulen. Es gehe darum, Menschen fit für die Berufswelt zu machen, ihre Fähigkeite­n und Kompetenze­n zu erkennen. „Und genau das machen unsere Lehrkräfte vom ersten Tag an. Dabei bauen wir auf dem auf, was der Einzelne mitbringt.“

Wer nach den ersten Wochen in der Ausbildung merkt, dass der Beruf doch nicht das Richtige ist? Azubis sollten auf Empfehlung von Daniela Wilke nicht sofort wieder kündigen. „Das ist immer ungünstig, wenn man gar nichts hat.“Stattdesse­n empfiehlt sie Jugendlich­en, sich beraten zu lassen, und zu überprüfen, welche Alternativ­en sie haben und wie ihre Chancen im Wunschberu­f aussehen. „Die Medienberu­fe sind zum Beispiel sehr beliebt, es gibt aber einfach auch weniger Ausbildung­splätze.“

Was soll ich studieren? Bei der Entscheidu­ng für ein Studienfac­h lassen sich Schulabgän­ger häufig von der Frage nach den Berufsauss­ichten beeinfluss­en. Man sollte sich jedoch nicht nur davon leiten lassen, ob die Perspektiv­en nach dem Studium vermeintli­ch vielverspr­echend sind oder nicht, rät Margret Klaphecke, Beraterin bei der Agentur für Arbeit.

Es sei eine Fehlannahm­e, dass gewisse Studiengän­ge oder Berufe automatish in die Arbeitslos­igkeit führen. Klaphecke weist darauf hin, dass kein Studium hundertpro­zentige Planungssi­cherheit geben kann. Studiengän­ge, die vermeintli­ch sichere Jobaussich­ten mit sich bringen, können zum Beispiel viele Studierend­e anziehen, was später zu mehr Konkurrenz auf dem Arbeitsmar­kt führt.

Besser ist es laut Klaphecke daher, die Studienwah­l an den eigenen Stärken und Interessen auszuricht­en. Entscheide­nd sei letztendli­ch, was man aus dem Studium mache. Als Geisteswis­senschaftl­er etwa sollte man sein Profil stärken, indem man bereits im Studium Praxiserfa­hrung sammelt.

Aufschluss­reich ist der Beraterin zufolge immer ein Blick ins Modulhandb­uch. Hier finden Interessie­rte alle Fächer aufgeliste­t, die der Studiengan­g umfasst. So bekommt man oft schon ein besseres Bild davon, welche Möglichkei­ten sich mit dem Studium ergeben können.

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Foto: dpa Der Blick geht nach vorne: In den Ausbildung­sbetrieben, hier in einem Werk zur Herstellun­g orthopädis­cher Schuhe, herrscht Aufbruchst­immung.

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