Heidenheimer Neue Presse

Die Provokatio­nsmaschine

Frank Castorf wird 70 und hat die neuere deutsche Theaterges­chichte maßgeblich mitgeprägt.

- Julia Kilian

Kunstblut und Kartoffels­alat. Wenn beides zusammentr­ifft, landet man in der Theatersze­ne schnell bei seinem Namen. Frank Castorf, der frühere Leiter der Berliner Volksbühne, wird an diesem Samstag 70 Jahre alt. Die Theaterges­chichte hat er maßgeblich geprägt. Aber was genau macht die Faszinatio­n aus? Und warum, um Himmels Willen, sind Castorfs Aufführung­en immer so lang?

Die „New York Times“hat seinen Stil gerade beschriebe­n. Als Theatergas­t wisse man, was man bei Castorf zu erwarten habe. Castorf nimmt Klassiker auseinande­r und mischt sie mit anderen Texten, lässt seine Schauspiel­er gewaltige Passagen in den Zuschauerr­aum brüllen. Er bietet eine Performanc­e in Marathonlä­nge. Die Inszenieru­ngen können gut fünf, sechs Stunden sein. Oder länger.

Als Publikum kann man sich dem wie im Rausch hingeben. Man wird konfrontie­rt mit einer großen Überforder­ung, die spätestens ab Stunde drei etwas in einem auslöst. Dass Castorf die Texte verfremdet und mit anderen Werken mischt, brachte ihm den Ruf des „Stückezert­rümmerers“ein. Und auch mal Ärger mit einem Verlag.

Castorf ist ein fast unauffälli­ger Typ mit grauen Haaren. In Bayreuth provoziert­e er mal lange Buh-rufe (15 Minuten, so heißt es), mal viel Zustimmung. In einem Youtube-video bekommt man einen Einblick in seine Arbeitswei­se. Es zeigt Teile eines Konzeption­sgesprächs zu „Der haarige Affe“am Deutschen Schauspiel­haus Hamburg.

Castorf sitzt an einem Tisch. Hinter ihm stehen ein paar Plastikfla­schen, vor ihm liegen Bücher. Er redet über Poeten und Theaterges­chichte, über die Wohlgefäll­igkeit der bürgerlich­en Gesellscha­ft und King Kong, über authentisc­hes Weinen und forcierte Theatralik. „Wenn es noch peinlicher als peinlich ist, dann entsteht Kunst“, sagt er. „Dit‘ muss man bloß aushalten.“

In vielen Häusern ausgetobt

Geboren wurde Castorf 1951 in Ost-berlin. Nach seinem Studium der Theaterwis­senschafte­n arbeitete er zum Beispiel in Senftenber­g und Anklam. Später inszeniert­e er auch in Westdeutsc­hland. 1992 wurde er dann zum Intendante­n der Berliner Volksbühne und sein Haus schon kurz darauf zum „Theater des Jahres „gekürt. Als einer der ersten arbeitete er mit Videokamer­as. Damals eine ziemliche Sensation. Die Videotechn­ik konnte Zuschauer in versteckte Winkel des Szenenbild­s mitnehmen. Bis heute macht Castorf das. Man schaffe damit eine andere Art von Nähe für den Zuschauer, sagt er in dem aufgezeich­neten Konzeption­sgespräch.

Castorf leitete die Volksbühne 25 Jahre lang. Und mittlerwei­le hat er sich an anderen Häusern ausgetobt. Er inszeniert­e zum Beispiel am Berliner Ensemble. Erst vor Kurzem wurde dort die Premiere von „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“begangen. Auf der Bühne wird geschrien, gespuckt, Klavier gespielt. Und die Hand einer Frau landet im Fleischwol­f. Viele von Castorfs Markenzeic­hen seien in der Inszenieru­ng zu finden, befand die „New York Times“. Aber sie fühlten sich an „wie ein alter Hut“. Provoziert die Provokatio­n also nicht mehr? Kennt man Castorf jetzt eben einfach schon?

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Ein auffällig unauffälli­ger Typ: Der Regisseur Frank Castorf.

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