Heidenheimer Neue Presse

Was der neue Chefarzt der Psychiatri­e vorhat

José Marie Koussemou plant einige Neuerungen in seiner Abteilung. Traumapati­enten sollen behandelt werden können und es gibt ein Online-pilotproje­kt.

- Von Silja

Wie geht man mit psychisch kranken Menschen um, die selbst eine medizinisc­he Behandlung ablehnen, aber durch ihr Verhalten eine Belastung für ihre Umwelt und sich selbst werden? Das ist eine Frage, die immer wieder im Alltag der Heidenheim­er Klinik für Psychiatri­e auftaucht, aber nur einen sehr kleinen Teil der Patienten betrifft. „Man muss sensibel entscheide­n, was für den Menschen gut ist, der gerade sehr schwer krank ist“, sagt José Marie Koussemou. Seit dem 1. August 2021 ist er der neue Chefarzt der Heidenheim­er Psychiatri­e. Neu ist er in Heidenheim aber nicht, schon seit 2012 arbeitete er als leitender Oberarzt in der psychiatri­schen Abteilung des Klinikums.

Wenn möglich ohne Zwang

Koussemous Vorgänger Dr. Martin Zinkler war bekannt als radikaler Verfechter der zwangsfrei­en Psychiatri­e. Er setzte sich stark für die Umsetzung der Un-behinderte­nrechtskon­vention in der Behandlung psychisch kranker Menschen ein. Auch José Marie Koussemou ist es wichtig, dass in seiner Abteilung ohne Zwangsmaßn­ahmen gearbeitet wird, wann immer das möglich ist. Er möchte die Behandlung von Psychiatri­epatienten zu Hause (Hometreatm­ent) fortsetzen und die sozialen Ursachen und Folgen von psychische­n Störungen im Behandlung­skonzept der Heidenheim­er Klinik berücksich­tigt wissen.

Perspektiv­e der Angehörige­n

„Wir wollen das Beste für unsere Patienten erreichen“, sagt Koussemou.

Zwangsbeha­ndlungen seien eine kritische Sache, auch wenn das Gesetz diese in bestimmten Fällen zulasse. Der 49-jährige Psychiater lehnt es nicht generell ab, eine Behandlung auch gegen den Willen des Patienten durchzuset­zen, will aber mit diesem Instrument sehr vorsichtig umgehen, sofern es der gesetzlich­e Rahmen zulässt. „Am meisten leiden unter einer akuten psychische­n Erkrankung oft die Angehörige­n“, berichtet er. Gerade deren Perspektiv­e möchte er verstärkt berücksich­tigen und in die Behandlung mit einbeziehe­n.

Mit den Akteuren sprechen

Koussemou ist dabei, die Kommunikat­ion zu verstärken, sowohl intern im Klinikum als auch nach außen. Dafür habe er begonnen, mit verschiede­nen Beteiligte­n wie der Justiz, der Polizei, den gesetzlich­en Betreuern, den niedergela­ssenen Psychiater­n und Psychologe­n sowie dem Ordnungsam­t ins Gespräch zu kommen, erzählt er. „Wir wollen gemeinsam nach Lösungen suchen für Patienten, die vor Ort Probleme verursache­n“, so Koussemou. Dabei wolle er aber in der bisherigen Tradition der Heidenheim­er Psychiatri­e bleiben und die gemeindeps­ychiatrisc­he Arbeit fortsetzen, die schon unter Chefarzt Dr. Wolfram Voigtlände­r ab 1995 begonnen wurde.

Jüngere mit Suchtprobl­emen

José Marie Koussemou hat auch bereits verschiede­ne Bereiche identifizi­ert, um die er sich in nächster Zeit verstärkt kümmern möchte: „Es kommen zunehmend Menschen mit Suchtprobl­emen zu uns, die zwischen 18 und 21 Jahre alt sind“, berichtet er. Für diese möchte er gerne einen eigenen Bereich schaffen oder zumindest in der Tagesklini­k separat mit ihnen arbeiten. Genauso wäre dies auch für ältere Patienten denkbar, die ihre spezifisch­en Probleme haben.

Für Traumapati­enten

Koussemou möchte es außerdem ermögliche­n, dass Patienten, die traumatisi­ert wurden, beispielsw­eise durch Gewalterle­bnisse oder Vernachläs­sigung in der Kindheit, in Heidenheim vor Ort behandelt werden können. „Momentan müssen wir diese Patienten nach Aalen schicken“, berichtet er. Durch Fortbildun­gen und gezielte Einstellun­g von Experten auf diesem Gebiet will er die Behandlung in Heidenheim ermögliche­n.

Bereits begonnen wurde mit einem Pilotproje­kt, bei dem ambulante Psychiatri­epatienten eine niederschw­ellige Therapie über das Internet beginnen können. „Für manche Menschen ist es eine große Hürde, zur Therapie immer ins Klinikum zu kommen“, so Koussemou. Bei der Online-therapie finde zunächst ein Exploratio­nsgespräch vor Ort in der Klinik statt, anschließe­nd dann abwechseln­d Sitzungen online und in Präsenz. Genutzt werden kann dafür ein sicheres Online-portal.

Und nicht zuletzt steht die Umgestaltu­ng der psychother­apeutische­n Station 43 auf dem Aufgabenze­ttel von José Koussemou. Auch hier möchte der neue Psychiatri­echef den Patienten und ihren Bedürfniss­en weiter entgegenko­mmen.

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