„Import von Öl muss enden“
Täglich überweisen die Staaten der EU über 600 Millionen Euro an Russland. Damit muss Schluss sein, sagt Manfred Weber, Fraktionschef der EVP im Europaparlament.
Die Auseinandersetzung mit Russland wird Deutschland auf Jahrzehnte prägen, sagt Manfred Weber, Fraktionschef der konservativen Europäischen Volkspartei im Europaparlament vor den Gipfel-treffen von Nato, G7 und EU in Brüssel. Er plädiert auch für ein Nachdenken über den atomaren Schutzschirm der Nato.
Wenn Sie in Deutschland Bürger auf der Straße treffen, die Angst vor einem großen Krieg mit Russland haben – was antworten Sie denen?
Manfred Weber: Wir sind mitten in einem historischen Bruch, der die nächsten Jahrzehnte prägen wird. Die 30 Jahre in Sicherheit, Freiheit und Wohlstand, in denen wir seit dem Fall des Eisernen Vorhangs leben durften, erleben eine Zäsur. Wir leben seit dem 24. Februar in einer neuen Welt. Ich spüre, dass die Sorge vor einer militärischen Eskalation des Konflikts steigt. Deshalb ist die rote Linie für die Nato, dass sie nicht Kriegspartei in der Ukraine wird. Es ist kein Krieg zwischen Russland und der Nato, sondern zwischen Russland und der Ukraine.
Die USA haben bereits eine Verschärfung der Sanktionen gegen Russland angekündigt. Ist Europa bereit, dort mitzugehen?
Die ersten drei Sanktionspakete tun Russland spürbar weh. Der Rubel ist abgestürzt, die Börse ist seit Wochen geschlossen. Der selbst verursachte Schaden ist für Russland bereits jetzt enorm. Trotzdem überweist die EU jeden Tag über 600 Millionen Euro an Gazprom und andere russische Energieunternehmen und finanziert damit indirekt die Diktatur von Wladimir Putin. Deshalb wird die Energieversorgung die zentrale Frage der nächsten Wochen sein. Die Eu-staaten müssen da eine gemeinsame Linie finden. Sie dürfen in der Energiefrage nicht gespalten sein.
Kann Europa denn kurzfristig auf Erdöl, Erdgas oder Kohle aus Russland verzichten?
Wir sollten gegenüber unseren Bürgerinnen und Bürgern ehrlich sein: Dieser Konflikt wird an uns nicht spurlos vorbeigehen. Er wird Kosten verursachen, er wird unser Leben verändern. Was die Energieversorgung betrifft, gibt es mögliche Abstufungen. Man kann mit einem Boykott von Erdöl und Kohle aus Russland beginnen. Die sind für uns leichter zu ersetzen als Erdgas.
Deutschland sperrt sich bislang.
Die Bundesregierung muss von ihrer Maximalposition runter. Ein kategorisches Nein zu einem Energie-importstopp kann nicht die Antwort sein und das wäre auch strategisch ein großer Fehler. Die deutsche Regierung muss beim Eu-gipfel zu Kompromissen bereit sein.
Die Waffen, die Deutschland an die Ukraine geliefert hat, haben das Arsenal der Bundeswehr erschöpft. Wäre sie überhaupt imstande, Deutschland gegen einen Angriff zu verteidigen?
Die Bundeswehr ist für eine breit angelegte Landesverteidigung nicht ausreichend vorbereitet. Wir haben zu stark auf den Friedensrabatt der letzten 30 Jahre gesetzt, ihn genossen und anders investiert. Die russische Aggression ist ein Schock, ein Weckruf. Ich plädiere aber dafür, Mittel, die Deutschland in den kommenden Jahren investiert, nicht nur rein national zu betrachten, sondern den europäischen Mehrwert zu beachten.
Was meinen Sie damit?
Wir müssen in Europa kooperieren, etwa um moderne Formen des Cyberkriegs abzuwehren. Bei einem solchen Angriff spielen nationale Grenzen keine Rolle. Europa muss Ressourcen und Fachexperten bündeln, um eine europäische Cyber-defence-brigade aufzubauen, die beispielsweise kritische Infrastruktur gemeinsam schützt. Wir müssen lernen, in der Verteidigung europäischer zu denken und Steuergeld effizient einzusetzen.
Braucht Deutschland eine eigene Abschreckungs-strategie?
Es ist der US- und Nato-schirm, der uns schützt, und zu dem gehört auch die nukleare Abschreckung. Sie macht jedem Angreifer deutlich: Leg dich nicht mit uns an. Sie ist Teil unseres heutigen Sicherheitsgefühls. Deshalb muss alles getan werden, um die Partnerschaft zwischen Europa und den USA zu vertiefen.
Wie sicher wäre dieser Schutzschirm, wenn Donald Trump 2024 ins Weiße Haus zurückkehren würde? Brauchen wir einen eigenen Schutzschirm, der auch unabhängig von Us-atomwaffen funktioniert?
Angesichts der globalen Entwicklungen gibt es zur Partnerschaft mit den USA keine vernünftige Alternative. Wir müssen uns aber auch mit Szenarien vertraut machen, in denen künftige Us-präsidenten die Nato nicht so wertschätzen wie Präsident Joe Biden es tut. Deshalb ist jetzt der richtige Moment für mehr europäische Verteidigung. Unabhängig davon muss auch die Bundesregierung darüber nachdenken, wie sie auf das Angebot von Emmanuel Macron eingeht, einen Dialog über die Bedeutung der französischen Nuklearwaffen für die Verteidigung Europas zu beginnen. Macron hat darauf bisher keine Antwort bekommen.
Wie sollte diese Antwort aussehen?
Die Europäische Union muss sich eigenständig verteidigen können. Das ist unser Ziel. Und wir haben mit Frankreich nur eine Nuklearmacht in der EU. Wenn es anbieten sollte, die Nuklearoption anderen Partnern in der EU als Schutz zu gewähren, dann wäre das ein sehr starkes Angebot. Dann muss man jetzt in die Gespräche einsteigen, wie sich Frankreich das vorstellen könnte. Eine Gesprächsverweigerung ist keine Option.