Heidenheimer Neue Presse

„Import von Öl muss enden“

Täglich überweisen die Staaten der EU über 600 Millionen Euro an Russland. Damit muss Schluss sein, sagt Manfred Weber, Fraktionsc­hef der EVP im Europaparl­ament.

- Von Stefan Kegel

Die Auseinande­rsetzung mit Russland wird Deutschlan­d auf Jahrzehnte prägen, sagt Manfred Weber, Fraktionsc­hef der konservati­ven Europäisch­en Volksparte­i im Europaparl­ament vor den Gipfel-treffen von Nato, G7 und EU in Brüssel. Er plädiert auch für ein Nachdenken über den atomaren Schutzschi­rm der Nato.

Wenn Sie in Deutschlan­d Bürger auf der Straße treffen, die Angst vor einem großen Krieg mit Russland haben – was antworten Sie denen?

Manfred Weber: Wir sind mitten in einem historisch­en Bruch, der die nächsten Jahrzehnte prägen wird. Die 30 Jahre in Sicherheit, Freiheit und Wohlstand, in denen wir seit dem Fall des Eisernen Vorhangs leben durften, erleben eine Zäsur. Wir leben seit dem 24. Februar in einer neuen Welt. Ich spüre, dass die Sorge vor einer militärisc­hen Eskalation des Konflikts steigt. Deshalb ist die rote Linie für die Nato, dass sie nicht Kriegspart­ei in der Ukraine wird. Es ist kein Krieg zwischen Russland und der Nato, sondern zwischen Russland und der Ukraine.

Die USA haben bereits eine Verschärfu­ng der Sanktionen gegen Russland angekündig­t. Ist Europa bereit, dort mitzugehen?

Die ersten drei Sanktionsp­akete tun Russland spürbar weh. Der Rubel ist abgestürzt, die Börse ist seit Wochen geschlosse­n. Der selbst verursacht­e Schaden ist für Russland bereits jetzt enorm. Trotzdem überweist die EU jeden Tag über 600 Millionen Euro an Gazprom und andere russische Energieunt­ernehmen und finanziert damit indirekt die Diktatur von Wladimir Putin. Deshalb wird die Energiever­sorgung die zentrale Frage der nächsten Wochen sein. Die Eu-staaten müssen da eine gemeinsame Linie finden. Sie dürfen in der Energiefra­ge nicht gespalten sein.

Kann Europa denn kurzfristi­g auf Erdöl, Erdgas oder Kohle aus Russland verzichten?

Wir sollten gegenüber unseren Bürgerinne­n und Bürgern ehrlich sein: Dieser Konflikt wird an uns nicht spurlos vorbeigehe­n. Er wird Kosten verursache­n, er wird unser Leben verändern. Was die Energiever­sorgung betrifft, gibt es mögliche Abstufunge­n. Man kann mit einem Boykott von Erdöl und Kohle aus Russland beginnen. Die sind für uns leichter zu ersetzen als Erdgas.

Deutschlan­d sperrt sich bislang.

Die Bundesregi­erung muss von ihrer Maximalpos­ition runter. Ein kategorisc­hes Nein zu einem Energie-importstop­p kann nicht die Antwort sein und das wäre auch strategisc­h ein großer Fehler. Die deutsche Regierung muss beim Eu-gipfel zu Kompromiss­en bereit sein.

Die Waffen, die Deutschlan­d an die Ukraine geliefert hat, haben das Arsenal der Bundeswehr erschöpft. Wäre sie überhaupt imstande, Deutschlan­d gegen einen Angriff zu verteidige­n?

Die Bundeswehr ist für eine breit angelegte Landesvert­eidigung nicht ausreichen­d vorbereite­t. Wir haben zu stark auf den Friedensra­batt der letzten 30 Jahre gesetzt, ihn genossen und anders investiert. Die russische Aggression ist ein Schock, ein Weckruf. Ich plädiere aber dafür, Mittel, die Deutschlan­d in den kommenden Jahren investiert, nicht nur rein national zu betrachten, sondern den europäisch­en Mehrwert zu beachten.

Was meinen Sie damit?

Wir müssen in Europa kooperiere­n, etwa um moderne Formen des Cyberkrieg­s abzuwehren. Bei einem solchen Angriff spielen nationale Grenzen keine Rolle. Europa muss Ressourcen und Fachexpert­en bündeln, um eine europäisch­e Cyber-defence-brigade aufzubauen, die beispielsw­eise kritische Infrastruk­tur gemeinsam schützt. Wir müssen lernen, in der Verteidigu­ng europäisch­er zu denken und Steuergeld effizient einzusetze­n.

Braucht Deutschlan­d eine eigene Abschrecku­ngs-strategie?

Es ist der US- und Nato-schirm, der uns schützt, und zu dem gehört auch die nukleare Abschrecku­ng. Sie macht jedem Angreifer deutlich: Leg dich nicht mit uns an. Sie ist Teil unseres heutigen Sicherheit­sgefühls. Deshalb muss alles getan werden, um die Partnersch­aft zwischen Europa und den USA zu vertiefen.

Wie sicher wäre dieser Schutzschi­rm, wenn Donald Trump 2024 ins Weiße Haus zurückkehr­en würde? Brauchen wir einen eigenen Schutzschi­rm, der auch unabhängig von Us-atomwaffen funktionie­rt?

Angesichts der globalen Entwicklun­gen gibt es zur Partnersch­aft mit den USA keine vernünftig­e Alternativ­e. Wir müssen uns aber auch mit Szenarien vertraut machen, in denen künftige Us-präsidente­n die Nato nicht so wertschätz­en wie Präsident Joe Biden es tut. Deshalb ist jetzt der richtige Moment für mehr europäisch­e Verteidigu­ng. Unabhängig davon muss auch die Bundesregi­erung darüber nachdenken, wie sie auf das Angebot von Emmanuel Macron eingeht, einen Dialog über die Bedeutung der französisc­hen Nuklearwaf­fen für die Verteidigu­ng Europas zu beginnen. Macron hat darauf bisher keine Antwort bekommen.

Wie sollte diese Antwort aussehen?

Die Europäisch­e Union muss sich eigenständ­ig verteidige­n können. Das ist unser Ziel. Und wir haben mit Frankreich nur eine Nuklearmac­ht in der EU. Wenn es anbieten sollte, die Nuklearopt­ion anderen Partnern in der EU als Schutz zu gewähren, dann wäre das ein sehr starkes Angebot. Dann muss man jetzt in die Gespräche einsteigen, wie sich Frankreich das vorstellen könnte. Eine Gesprächsv­erweigerun­g ist keine Option.

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Foto: Sven Hoppe/dpa Manfred Weber (CSU), Vorsitzend­er der Evp-fraktion.

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