Über den Dächern von Giengen
Der Burgberger Anton Häring steigt seit 30 Jahren jede Woche auf den Turm der Stadtkirche.
Die Lufttemperatur beträgt gerade mal 10 Grad und dunkle Wolken am Himmel kündigen heftigen Regen an. Kein Grund für das Giengener Turmbläser-quartett, ihrem Auftritt auf der evangelischen Stadtkirche fernzubleiben. Einer der Akteure ist Giengens Bauhofleiter Anton Häring. Der Schreinermeister und waschechte Burgberger steigt seit 30 Jahren auf den 43 Meter hohen Turm. Eine sportliche Herausforderung. Als Musiker und ausgezeichneter Flügelhornist war er über 50 Jahre eine feste Größe im Musikverein Burgberg. Vor ein paar Tagen feierte er seinen 63. Geburtstag.
163 Stufen
In den vergangenen drei Jahrzehnten hat der zweifache Familienvater und dreifache Opa mindestens einmal wöchentlich die 163 Stufen des Blasturms bestiegen. Das ergibt die stolze Summe von fast 250.000 Stufentritten. Als Solist hielt er während der Zeit der Corona-pandemie die musikalische Tradition auf dem Bläserturm aufrecht. Denn über Monate durften die Giengener Turmbläser wegen der Pandemie nicht zusammen aktiv sein.
Ein vertrauter Anblick für jeden Giengener: Das Bild der Altstadt wird maßgeblich von den beiden Türmen der Stadtkirche geprägt. Das erstmals im Jahre 1374 erwähnte Gotteshaus ist eingerahmt von teils historischen Fachwerkhäusern. Einer der beiden Türme war ursprünglich Teil der Stadtbefestigung und wurde erst später als Kirchturm einbezogen. Auf dem Turm wohnte einst der Turmbläser, der die Stadt bewachte und bei Gefahr die Sturmglocke läutete.
Wieder regelmäßig
Jetzt spielen die Turmbläser wieder regelmäßig (den Corona-regeln angepasst) jeden Mittwoch, gleich nach dem 12-Uhr-läuten. Als Zeichen der Zuversicht und des Zusammenhalts spielten sie kürzlich gemeinsam vom Turm der Stadtkirche Ludwig van Beethovens Europa-hymne (die neunte Sinfonie „Freude schöner Götterfunken“). Es war ein besonderes Erlebnis und eine besondere Ehre, diese Melodie über die Dächer der Stadt erklingen zu lassen, sagt Anton Häring, der noch lange nicht ans Aufhören denkt. Diese Giengener Tradition besteht schon seit dem frühen Mittelalter und wurde nach der Renovierung der Stadtkirchentürme 1967/68 wieder neu begonnen. Die Gruppe der Turmbläser mit Gerhard Fetzer, Wolfgang Frommeyer und Georg Häberle ist eine eingeschworene Gemeinschaft. Ihr ehrenamtliches Engagement, ihre Zuverlässigkeit, aber auch ihre Freude trage dazu bei, dass dieser jahrhundertealte Brauch weiterhin erhalten bleibt.