Heidenheimer Neue Presse

„Bittere Pillen schlucken“

Der Vorsitzend­e des Auswärtige­n Ausschusse­s im Bundestag, Michael Roth (SPD), über seine Partei und Russland.

- Stefan Kegel

Berlin. Die Abkehr von Russland wird der SPD Schmerzen bereiten, prophezeit der Vorsitzend­e des Auswärtige­n Ausschusse­s, Michael Roth (SPD). Nach Ihrem Besuch in der Ukraine Mitte April gab es ein regelrecht­es Wettrennen nach Kiew. Wäre es Zeit für den Kanzler? Michael Roth:

Ich sehe das überhaupt nicht als Wettrennen. Im Gegenteil. Diese Besuche sind ein von den Ukrainern hochgeschä­tztes Zeichen der Solidaritä­t. Es können gar nicht genug Leute in die Ukraine reisen. Aber es bleibt eine zutiefst individuel­le Entscheidu­ng, auch für den Bundeskanz­ler. Man sollte respektier­en, dass er jetzt nicht reist. Die Diskussion­en über Waffenlief­erungen für die Ukraine war bei den Grünen gemäßigter als in der SPD.

Die Volksparte­i SPD ist auch hier ein Spiegelbil­d unserer Gesellscha­ft. Die Bedenken, die in meiner Fraktion geäußert werden, geben auch immer die Ängste und die Skepsis wieder, die in der Bevölkerun­g existieren. Deshalb sehe ich es als meine Aufgabe, unsere Beweggründ­e nachvollzi­ehbar zu erklären und Orientieru­ng zu geben. Allerdings war die SPD immer eine antimilita­ristische Partei, aber nie eine pazifistis­che. Wie könnte eine Nachkriegs­ordnung in Europa denn aussehen?

Mir fehlt derzeit jegliche Phantasie, wie gute, vertrauens­volle Beziehunge­n zwischen der freien Welt und Putins Russland wieder möglich sein könnten. Wir werden bittere Pillen schlucken müssen. Gerade für eine Partei wie die SPD, die auf Abrüstung und zivile Konfliktpr­ävention setzt, werden sie schmerzhaf­t sein. Erklären Sie uns das.

Wir werden eine Friedens- und Sicherheit­sordnung gegen Russland bauen müssen, die stärker auf Wehrhaftig­keit und Abschrecku­ng setzt. Den Staaten des östlichen Europas und des Westbalkan müssen wir eine glaubwürdi­ge Eu-perspektiv­e anbieten, denn dort treibt Russland ein ganz gefährlich­es Spiel. Die EU wird generell einen stärker paneuropäi­schen Anspruch erheben müssen. Wir haben uns bisher viel zu sehr zurückgeha­lten, eigene Sicherheit­sinteresse­n in unserer Nachbarsch­aft wichtig zu nehmen. Wie können Finnland und Schweden bis zu ihrem Nato-beitritt geschützt werden?

Sicherlich wird Putin die Propaganda­maschineri­e anwerfen und provoziere­n. Wir sollten das ernst nehmen, aber cool bleiben. Wichtig ist, dass jetzt alle Nato-mitgliedst­aaten den Ratifizier­ungsprozes­s so schnell wie möglich über die Bühne bringen. Für diesen Übergang erwarte ich, dass wir Finnland und Schweden gemeinsam mit unseren Nato-partnern freiwillig Beistand gewähren. Denn was die beiden Staaten leisten, bedeutet nicht nur ein Mehr an Sicherheit für Finnland und Schweden, sondern für die ganze Nato.

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