„Bittere Pillen schlucken“
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Michael Roth (SPD), über seine Partei und Russland.
Berlin. Die Abkehr von Russland wird der SPD Schmerzen bereiten, prophezeit der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Michael Roth (SPD). Nach Ihrem Besuch in der Ukraine Mitte April gab es ein regelrechtes Wettrennen nach Kiew. Wäre es Zeit für den Kanzler? Michael Roth:
Ich sehe das überhaupt nicht als Wettrennen. Im Gegenteil. Diese Besuche sind ein von den Ukrainern hochgeschätztes Zeichen der Solidarität. Es können gar nicht genug Leute in die Ukraine reisen. Aber es bleibt eine zutiefst individuelle Entscheidung, auch für den Bundeskanzler. Man sollte respektieren, dass er jetzt nicht reist. Die Diskussionen über Waffenlieferungen für die Ukraine war bei den Grünen gemäßigter als in der SPD.
Die Volkspartei SPD ist auch hier ein Spiegelbild unserer Gesellschaft. Die Bedenken, die in meiner Fraktion geäußert werden, geben auch immer die Ängste und die Skepsis wieder, die in der Bevölkerung existieren. Deshalb sehe ich es als meine Aufgabe, unsere Beweggründe nachvollziehbar zu erklären und Orientierung zu geben. Allerdings war die SPD immer eine antimilitaristische Partei, aber nie eine pazifistische. Wie könnte eine Nachkriegsordnung in Europa denn aussehen?
Mir fehlt derzeit jegliche Phantasie, wie gute, vertrauensvolle Beziehungen zwischen der freien Welt und Putins Russland wieder möglich sein könnten. Wir werden bittere Pillen schlucken müssen. Gerade für eine Partei wie die SPD, die auf Abrüstung und zivile Konfliktprävention setzt, werden sie schmerzhaft sein. Erklären Sie uns das.
Wir werden eine Friedens- und Sicherheitsordnung gegen Russland bauen müssen, die stärker auf Wehrhaftigkeit und Abschreckung setzt. Den Staaten des östlichen Europas und des Westbalkan müssen wir eine glaubwürdige Eu-perspektive anbieten, denn dort treibt Russland ein ganz gefährliches Spiel. Die EU wird generell einen stärker paneuropäischen Anspruch erheben müssen. Wir haben uns bisher viel zu sehr zurückgehalten, eigene Sicherheitsinteressen in unserer Nachbarschaft wichtig zu nehmen. Wie können Finnland und Schweden bis zu ihrem Nato-beitritt geschützt werden?
Sicherlich wird Putin die Propagandamaschinerie anwerfen und provozieren. Wir sollten das ernst nehmen, aber cool bleiben. Wichtig ist, dass jetzt alle Nato-mitgliedstaaten den Ratifizierungsprozess so schnell wie möglich über die Bühne bringen. Für diesen Übergang erwarte ich, dass wir Finnland und Schweden gemeinsam mit unseren Nato-partnern freiwillig Beistand gewähren. Denn was die beiden Staaten leisten, bedeutet nicht nur ein Mehr an Sicherheit für Finnland und Schweden, sondern für die ganze Nato.