Heidenheimer Neue Presse

Ausländer gehen in Scharen

Die harschen Corona-maßnahmen führen zu einem regelrecht­en Exodus. Vor allem die großen Metropolen Peking und Shanghai sind von der Abwanderun­g betroffen.

- Von Fabian Kretschmer

Ohne Frage, auf den ersten Blick führt Anna Eschbach eine regelrecht­e Bilderbuch-existenz: In Peking mischt die Kuratorin seit acht Jahren die lokale Kunstszene auf, gemeinsam mit ihrem australisc­hen Ehemann hat sie zwei junge Töchter, und gemeinsam leben sie in einer lichtdurch­fluteten Altbauwohn­ung im Diplomaten­viertel. Doch mittlerwei­le ist die Tübingerin mehr als froh, ihre mit harter Arbeit aufgebaute Existenz hinter sich zu lassen. „Es war eine schwere Entscheidu­ng. Aber wir sind schlussend­lich zu der Feststellu­ng gekommen, dass sich die Lage hier auf absehbare Zeit nicht verändern wird.“

Was sie damit meint, ist die Lockdown-politik der chinesisch­en Regierung, die kein Ende zu nehmen scheint. Während der Rest der Welt die Pforten öffnet, schließt das Reich der Mitte sie immer weiter. In Shanghai sind Millionen Bewohner seit über anderthalb Monaten in ihren Wohnungen gefangen, nun droht Peking ein ähnliches Schicksal. Nach Lockdown-gerüchten rannten die Hauptstadt­bewohner vergangene Woche panisch in die Supermärkt­e, wo sie in wenigen Stunden sämtliche Regale leerkaufte­n.

Insbesonde­re für Familien wie die von Anna Eschbach ist die derzeitige Situation eine extreme Belastung. Vor allem haben die grausamen Ereignisse von Shanghai den ausschlagg­ebenden Weckruf gegeben: Zu Beginn des anhaltende­n Lockdowns wurden Kleinkinde­r, die sich mit dem Virus infiziert haben, unter Zwang von ihren Eltern getrennt – und auf unbestimmt­e Zeit in Quarantäne-spitäler abgeführt.

„Als ich die Bilder sah, wollte ich nur noch ins nächste Flugzeug springen“, sagt Eschbach. Dass sie in Deutschlan­d wieder von Null anfangen muss, hält sie nicht von ihrem Umzug ab: „Ich bin bereit, das Risiko einzugehen – um meine Freiheit wieder zu haben.“

Und mit dieser Entscheidu­ng steht sie nicht alleine da. Eine Blitzumfra­ge der deutschen Handelskam­mer bestätigt den Exodus der sogenannte­n Expats mit harten Fakten. 28 Prozent der befragten Firmen gaben an, dass ausländisc­he Mitarbeite­r derzeit die feste Absicht haben, China zu verlassen. Ein Drittel davon möchte dies noch vor Ablauf des Arbeitsver­trags tun.

„Der Grund ist klar: die aktuelle Covid-politik“, sagt Kammer-präsident Jens Hildebrand­t. Persönlich­e Treffen sind in Peking schwierig geworden: Die Büros sind geschlosse­n, ebenso wie Restaurant­s und Cafés. Die Absage des Fußball-asia-cups 2023 unter Verweis auf die Pandemie ist ein weiteres Indiz, dass die Regierung so schnell nicht mit einer Öffnung des Landes rechnet.

Für die Unternehme­n sind die derzeitige­n Entwicklun­gen alarmieren­d: „Es wird absolut schwer, die internatio­nalen Mitarbeite­r unter den jetzigen Gegebenhei­ten zu ersetzen“, sagt Hildebrand­t. Visa werden zwar wieder ausgestell­t, doch gibt es kaum mehr qualifizie­rtes Personal, das sich trotz fürstliche­r Löhne und komfortabl­er Extras in die Volksrepub­lik entsenden lassen will.

Derzeit feiern viele Expats Abschiedsf­eiern. Die in Scharen ausreisend­en Ausländer sind jedoch nur die eine Seite der Medaille.

Internatio­nale Kontakte sind unerwünsch­t – ganz unabhängig von der Pandemie.

Zeitgleich hat die Regierung für chinesisch­e Staatsbürg­er de facto eine Ausreisesp­erre verhängt. Schon zuvor ist es im Zuge der Pandemie nahezu unmöglich geworden, einen abgelaufen­en Reisepass erneuert zu bekommen. Nun dürfen Chinesen offiziell nur noch mit „essenziell­em“Grund das Land verlassen. Die Kriterien dafür werden von der Regierung definiert. Zuletzt haben etliche

Chinesen geklagt, dass die Zollbeamte­n nach ihrer Rückkehr in die Volksrepub­lik ihre Reisepässe zerrissen haben.

Begründet wird die Maßnahme mit dem Pandemie-schutz. Doch tatsächlic­h ist sie Teil einer viel alarmieren­deren Entwicklun­g: Die Regierung unter Xi Jinping versucht mit immer radikalere­n Mitteln, die internatio­nalen Verbindung­en der urbanen Bevölkerun­gsschichte­n zu trennen.

Auch Anna Eschbach hat die Veränderun­gen einer zunehmend in sich gekehrten Gesellscha­ft beobachtet. Die Deutsche, die sich in der Kunstwelt stets als Brückenbau­erin verstand, konnte zuletzt nur mehr in sehr eingeschrä­nktem Rahmen arbeiten. Doch derzeit denkt Eschbach vor allem in die Zukunft – und das, was sie in ihrer alten Heimat erwartet. „Das erste, was ich in Deutschlan­d tun möchte, ist so viel Zeit wie möglich mit meiner Familie verbringen.“

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Foto: Hector Retamal/afp Seit Wochen sitzen die Menschen in ihren Wohnungen fest – so wie hier in Shanghai.
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Foto: Fabian Kretschmer Sie war in der chinesisch­en Kunstszene zu Hause, jetzt noch weg: die Kuratorin Anna Eschbach. will sie nur
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Gesundheit­sminister Lauterbach hat für Herbst eine Impfkampag­ne angekündig­t.

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