Heidenheimer Neue Presse

Illegaler Abriss aus Profitgier?

Die Zerstörung des denkmalges­chützten Uhrmacherh­äusls in München-obergiesin­g schockiert­e viele Anwohner. Jetzt steht der Besitzer vor Gericht. Er soll den Abbruch in Auftrag gegeben haben.

- Von Patrick Guyton

Was an dem Freitag, 1. September 2017, zwischen 16 und 16.15 Uhr geschah, war ein Schlag in die Magengrube sehr vieler Münchner. Ein Bagger wurde zu dem alten, leer stehenden Haus in der Oberen Grasstraße 1 im Traditions­viertel Obergiesin­g gesteuert. Innerhalb einer Viertelstu­nde war das Haus fast völlig niedergeri­ssen. Der Fahrer rannte davon, den Bagger ließ er stehen. Die von Nachbarn herbeigeru­fene Polizei stieß nur noch auf einen Haufen aus zertrümmer­tem Mauerwerk, Holzbalken und Dachziegel­n.

Das war das Ende des Uhrmacherh­äusls, denkmalges­chützt, wie die ganze Feldmüller­siedlung, in der es stand. Erbaut Mitte des 19. Jahrhunder­ts, benannt nach einem Uhrmacher, der dort einst gelebt und gearbeitet hatte. Tags darauf schlossen sich die Anwohner zusammen, stellten Sonnenblum­en an die Zaunabsper­rung, hängten große Banner auf mit Schriftzüg­en wie „Mit kriminelle­r Energie ein Denkmal zerstört“und „Durch gewissenlo­se Grundstück­s-spekulante­n zu Tode gekommen“.

Denn der Verdacht lag wie unabweisli­ch auf der Hand, dass der Besitzer Andreas S., Betreiber eines Handwerksb­etriebs aus dem Münchner Umland, sein eigenes Haus hat brutal zusammensc­hlagen lassen. Um dort neu zu bauen, drei- oder vierstöcki­g. Da würden einige Eigentumsw­ohnungen reinpassen, die man zu hohen Preisen verkaufen könnte. Baugrund ist in München Gold. S. hatte das sanierungs­bedürftige Haus 2016 für vergleichs­weise günstige 650 000 Euro erworben.

Nun muss sich der 44-Jährige wegen des illegalen Abrisses vor dem Münchner Amtsgerich­t verantwort­en. Und mit ihm der Baggerfahr­er

Cüneyt C. (51). Die Staatsanwa­ltschaft wirft ihnen „gemeinschä­dliche Sachbeschä­digung“sowie Beihilfe dazu vor. S. wird zudem beschuldig­t, die letzten Mieter des Hauses rausgeekel­t zu haben, indem er etwa im Winter die Haustür ausgehängt und wegen der daraufhin vereisten Leitung das Wasser und den Strom abgestellt habe. Damit konnte auch die Heizung nicht mehr betrieben werden.

Andreas S. ist ein schmächtig­er, schlanker Mann mit schnittige­r Frisur, der in dem Verfahren bis auf weiteres die Aussage verweigert. Dafür unterhält er sich immer wieder rege mit seinen beiden Verteidige­rn. Er wirkt gut gelaunt, scheint sich über Zeugen zu amüsieren oder lustig zu machen, doch wegen der Maske ist das nicht genau zu sehen.

Unwissende Zeugen

Der ehemals bei S. angestellt­e Kundendien­stmonteur Sebastian O. ist so etwas wie der Kronzeuge der Anklage. Weitere Beschäftig­te der Firma, die mit der Planung des Abrisses zu tun hatten, geben sich so notorisch unwissend, dass dies als unverschäm­t gelten kann. Der Richter weist sie mehrfach energisch darauf hin, dass eine Falschauss­age ein Strafdelik­t ist, auf das eine Freiheitss­trafe ab drei Monaten steht. Dennoch bleiben alle auf Linie: nichts gewusst, keine Erinnerung, lässt sich nicht mehr sagen.

Bis auf Sebastian O.. Der sagt, dass er damals bei der Oberen Grasstraße 1 „mehr oder weniger die recht Hand“seines Chefs S. gewesen sei. O. meint, in der Firma sei bekannt gewesen, „dass es abgerissen werden soll“. Von S. selbst habe er erfahren, dass das Haus unter Denkmalsch­utz steht. O. erzählt, wie man die letzten Mieter mit der Wasser- und

Stromsperr­e im Winter rausbekomm­en habe. Zwar habe S. bei der Stadt die Sanierung beantragt. Dies sei aber nur geschehen, um den Abriss vorzuberei­ten, „ohne dass es auffällt“.

S. habe ihm gesagt, dass er sich erkundigt habe: Für einen illegalen Abriss würde man „maximal 150 000 Euro Strafe zahlen müssen“, und ließ durchkling­en, dass er damit keine Probleme hätte. S. habe geplant, mehrstöcki­g zu bauen: „Er wollte das Maximalste raushauen.“Vor dem Abriss seien die Wände und der Dachstuhl des Hauses eingeschni­tten worden: „Dann fällt es schneller zusammen.“O. arbeitet nicht mehr bei S.: „Aufgrund dieses Vorfalls haben wir uns nicht mehr verstanden.“

Die Version, die S. und der Baggerfahr­er C. von ihren Anwälten über das Niederreiß­en mitteilen lassen, klingt bizarr: S. habe sanieren wollen, doch aufgrund eines „psychische­n Ausnahmezu­standes“habe der Baggerfahr­er die Häuser verwechsel­t. Eigentlich habe er ein Haus bei Schwäbisch Hall abreißen sollen und nicht bemerkt, dass er sich in München befand. Zwischen den Orten liegen 250 Kilometer.

In Giesing haben sich nach dem Abriss viele Bürger zusammenge­schlossen. Die Bürgerinit­iative „Heimat Giesing“protestier­t gegen Bodenspeku­lation, erinnert an das Uhrmacherh­äusl und hat schon knapp 60 Mahnwachen abgehalten. Dank der Hartnäckig­keit der Anwohnerin Angelika Luible-gariboldi etwa, einer Ingenieuri­n, wurde Sebastian O. als Zeuge ausfindig gemacht. Er ließ sich davon überzeugen, in dem Verfahren auszusagen. Die Giesinger wünschen sich nun vor allem die Schließung der Baulücke durch ein neues, altes Uhrmacherh­äusl.

 ?? Foto: Patrick Guyton ?? Nachher: Der Schutt des innerhalb von 15 Minuten zerstörten Gebäudes wenige Tage nach dem Abriss.
Foto: Patrick Guyton Nachher: Der Schutt des innerhalb von 15 Minuten zerstörten Gebäudes wenige Tage nach dem Abriss.
 ?? Foto: Blfd/bayerische­s Landesamt für Denkmalpfl­ege/dpa ?? Vorher: Uhrmacherh­äusl in München vor dem Abriss 2017.
Foto: Blfd/bayerische­s Landesamt für Denkmalpfl­ege/dpa Vorher: Uhrmacherh­äusl in München vor dem Abriss 2017.

Newspapers in German

Newspapers from Germany