Illegaler Abriss aus Profitgier?
Die Zerstörung des denkmalgeschützten Uhrmacherhäusls in München-obergiesing schockierte viele Anwohner. Jetzt steht der Besitzer vor Gericht. Er soll den Abbruch in Auftrag gegeben haben.
Was an dem Freitag, 1. September 2017, zwischen 16 und 16.15 Uhr geschah, war ein Schlag in die Magengrube sehr vieler Münchner. Ein Bagger wurde zu dem alten, leer stehenden Haus in der Oberen Grasstraße 1 im Traditionsviertel Obergiesing gesteuert. Innerhalb einer Viertelstunde war das Haus fast völlig niedergerissen. Der Fahrer rannte davon, den Bagger ließ er stehen. Die von Nachbarn herbeigerufene Polizei stieß nur noch auf einen Haufen aus zertrümmertem Mauerwerk, Holzbalken und Dachziegeln.
Das war das Ende des Uhrmacherhäusls, denkmalgeschützt, wie die ganze Feldmüllersiedlung, in der es stand. Erbaut Mitte des 19. Jahrhunderts, benannt nach einem Uhrmacher, der dort einst gelebt und gearbeitet hatte. Tags darauf schlossen sich die Anwohner zusammen, stellten Sonnenblumen an die Zaunabsperrung, hängten große Banner auf mit Schriftzügen wie „Mit krimineller Energie ein Denkmal zerstört“und „Durch gewissenlose Grundstücks-spekulanten zu Tode gekommen“.
Denn der Verdacht lag wie unabweislich auf der Hand, dass der Besitzer Andreas S., Betreiber eines Handwerksbetriebs aus dem Münchner Umland, sein eigenes Haus hat brutal zusammenschlagen lassen. Um dort neu zu bauen, drei- oder vierstöckig. Da würden einige Eigentumswohnungen reinpassen, die man zu hohen Preisen verkaufen könnte. Baugrund ist in München Gold. S. hatte das sanierungsbedürftige Haus 2016 für vergleichsweise günstige 650 000 Euro erworben.
Nun muss sich der 44-Jährige wegen des illegalen Abrisses vor dem Münchner Amtsgericht verantworten. Und mit ihm der Baggerfahrer
Cüneyt C. (51). Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen „gemeinschädliche Sachbeschädigung“sowie Beihilfe dazu vor. S. wird zudem beschuldigt, die letzten Mieter des Hauses rausgeekelt zu haben, indem er etwa im Winter die Haustür ausgehängt und wegen der daraufhin vereisten Leitung das Wasser und den Strom abgestellt habe. Damit konnte auch die Heizung nicht mehr betrieben werden.
Andreas S. ist ein schmächtiger, schlanker Mann mit schnittiger Frisur, der in dem Verfahren bis auf weiteres die Aussage verweigert. Dafür unterhält er sich immer wieder rege mit seinen beiden Verteidigern. Er wirkt gut gelaunt, scheint sich über Zeugen zu amüsieren oder lustig zu machen, doch wegen der Maske ist das nicht genau zu sehen.
Unwissende Zeugen
Der ehemals bei S. angestellte Kundendienstmonteur Sebastian O. ist so etwas wie der Kronzeuge der Anklage. Weitere Beschäftigte der Firma, die mit der Planung des Abrisses zu tun hatten, geben sich so notorisch unwissend, dass dies als unverschämt gelten kann. Der Richter weist sie mehrfach energisch darauf hin, dass eine Falschaussage ein Strafdelikt ist, auf das eine Freiheitsstrafe ab drei Monaten steht. Dennoch bleiben alle auf Linie: nichts gewusst, keine Erinnerung, lässt sich nicht mehr sagen.
Bis auf Sebastian O.. Der sagt, dass er damals bei der Oberen Grasstraße 1 „mehr oder weniger die recht Hand“seines Chefs S. gewesen sei. O. meint, in der Firma sei bekannt gewesen, „dass es abgerissen werden soll“. Von S. selbst habe er erfahren, dass das Haus unter Denkmalschutz steht. O. erzählt, wie man die letzten Mieter mit der Wasser- und
Stromsperre im Winter rausbekommen habe. Zwar habe S. bei der Stadt die Sanierung beantragt. Dies sei aber nur geschehen, um den Abriss vorzubereiten, „ohne dass es auffällt“.
S. habe ihm gesagt, dass er sich erkundigt habe: Für einen illegalen Abriss würde man „maximal 150 000 Euro Strafe zahlen müssen“, und ließ durchklingen, dass er damit keine Probleme hätte. S. habe geplant, mehrstöckig zu bauen: „Er wollte das Maximalste raushauen.“Vor dem Abriss seien die Wände und der Dachstuhl des Hauses eingeschnitten worden: „Dann fällt es schneller zusammen.“O. arbeitet nicht mehr bei S.: „Aufgrund dieses Vorfalls haben wir uns nicht mehr verstanden.“
Die Version, die S. und der Baggerfahrer C. von ihren Anwälten über das Niederreißen mitteilen lassen, klingt bizarr: S. habe sanieren wollen, doch aufgrund eines „psychischen Ausnahmezustandes“habe der Baggerfahrer die Häuser verwechselt. Eigentlich habe er ein Haus bei Schwäbisch Hall abreißen sollen und nicht bemerkt, dass er sich in München befand. Zwischen den Orten liegen 250 Kilometer.
In Giesing haben sich nach dem Abriss viele Bürger zusammengeschlossen. Die Bürgerinitiative „Heimat Giesing“protestiert gegen Bodenspekulation, erinnert an das Uhrmacherhäusl und hat schon knapp 60 Mahnwachen abgehalten. Dank der Hartnäckigkeit der Anwohnerin Angelika Luible-gariboldi etwa, einer Ingenieurin, wurde Sebastian O. als Zeuge ausfindig gemacht. Er ließ sich davon überzeugen, in dem Verfahren auszusagen. Die Giesinger wünschen sich nun vor allem die Schließung der Baulücke durch ein neues, altes Uhrmacherhäusl.