Der unbemerkte Infekt
Manche Menschen haben sich noch nicht wissentlich mit Sars-cov-2 angesteckt. Was nicht bedeutet, dass sich ihr Körper nicht mit dem Virus befasst hat.
Die Einschläge wurden häufiger und immer näher: Corona traf die Freunde, deren Kinder, die Großeltern, die meisten Arbeitskollegen. Bisher verschont gebliebenen Menschen erschien die eigene Corona-ansteckung in den vergangenen Monaten oft nur noch als Frage der Zeit. Manche haben aber selbst der gerade abflauenden Omikron-welle mit Millionen Infizierten bundesweit standgehalten, sich also in mehr als zwei Jahren Pandemie und sich wissentlich noch nie mit Sars-cov-2 infiziert.
Ein nicht geringer Teil der Fälle verläuft weitgehend oder völlig unbemerkt. In einem Beitrag im „Jama Open Network“bilanzierten die Autoren, dass rund 40 Prozent der bestätigten Corona-infizierten keine Krankheitsanzeichen hatten. Grundlage der Arbeit waren knapp 100 verschiedene internationale Studien mit Daten von rund 30 Millionen Menschen.
Die Gene können bei Nicht-ansteckungen eine Rolle spielen. „Es gibt Menschen, die aufgrund genetischer Merkmale zum Beispiel schlecht mit Malaria oder HIV infiziert werden können. In gewissen Abstufungen wird es das auch bei Sars-cov-2 geben“, sagt Leif Sander, der die Klinik für Infektiologie an der Berliner Charité leitet. Komplett verstanden seien die genetischen Faktoren aber bisher nicht.
Wie Ulf Dittmer, Direktor des Virologie-instituts am Uniklinikum Essen, erklärt, spielt die genetische Ausstattung des Immunsystems für den Schutz vor Covid-19 eine wichtige Rolle. Blutgruppen beeinflussten ebenfalls nicht nur die Schwere der Erkrankung, sondern vielleicht auch die Übertragung von Sars-cov-2.
Oft unterschätzt wird der Impfschutz: Die Spiegel der Antikörper im Blut, die in den Körper eindringende Coronaviren unschädlich machen können, sinken in der Zeit nach der Impfung zwar ab. „Der Schutz bleibt aber trotzdem über Monate signifikant. Auch das reduziert Ansteckungen“, sagt Sander.
Immunantworten auf die Impfung unterscheiden sich darüber hinaus von Mensch zu Mensch. „Wenn die Antwort besonders gut ausfällt, kann auch die Kombination aus Impfung und einer vorherigen Infektion mit einem der vier normalen Erkältungscoronaviren
eine Rolle spielen“, gibt der Professor zu bedenken. Dittmer sagt, man wisse mittlerweile, dass eine besondere Subklasse von Antikörpern einen besonders guten Schutz gegen eine Corona-infektion vermittle. „Die Messung ist aber kompliziert, daher wird vorerst niemand wissen, ob er diese Antikörper hat oder nicht.“
Kindern haben laut Sander generell ein stärker aktiviertes angeborenes Immunsystem. Zudem gebe es den Effekt, dass Menschen direkt nach einem Infekt einige Tage lang generell weniger empfänglich sind für den nächsten Erreger. Das liege unter anderem an besonderen Abwehrstoffen in der Schleimhaut.
Ein weiterer denkbarer Faktor: Bei manchen Menschen wirft das Immunsystem das Virus womöglich sehr schnell wieder aus dem Körper heraus, wie Sander sagt. „In einer schwedischen Studie haben Forscher bei Menschen, die nach Kontakten zu infizierten Haushaltsmitgliedern nicht positiv geworden sind, spezifische T-zellen gefunden – ein Zeichen dafür, dass sich deren Immunsystem durchaus mit Sars-cov-2 auseinandergesetzt hat, auch wenn eine Infektion und auch Antikörper gegen das Virus nicht immer nachweisbar waren.“
Was folgt daraus? Wer glaubt, bisher verschont geblieben zu sein, könnte die Infektion doch schon hinter sich haben. Oder von bestimmten vorübergehenden Effekten, noch unbekannten genetischen Faktoren und Zufällen profitiert haben. Sanders Fazit: „Dass man Corona bisher nicht hatte, heißt nicht, dass man für alle Zeit sicher ist. Das kann schon mit einer neuen Virusvariante oder situationsabhängig ganz anders aussehen.“