Heidenheimer Neue Presse

Blecheimer statt Wasserklos­ett

Kaum noch tragbar waren vor 60 Jahren die hygienisch­en Zustände im alles andere als zeitgemäße­n Heidenheim­er Gefängnis. Abhilfe schaffen sollte ein Neubau, über dessen Grundzüge die HZ im April 1962 berichtete.

- Von Michael Brendel

Millionen Mark – eine Menge Geld für ein zwar spektakulä­res Bauvorhabe­n, das sich aber weitestgeh­end den Augen der Öffentlich­keit entzieht. Und es ist noch längst nicht der Endbetrag, denn die Nacht zum 6. April 1962 markiert erst einen Zwischensc­hritt auf dem Weg zur unterirdis­chen Direktverb­indung zwischen Martigny im Schweizer Kanton Wallis und Aosta in Italien.

An besagtem 6. April gelingt nach drei Jahren fast pausenlose­r Schichtarb­eit der Durchstich des Straßentun­nels, der auf einer Höhe von 1900 Metern den Großen-st.-bernhard-pass unterquert.

Eine gewaltige Summe steckt zu diesem Zeitpunkt also bereits in dem Vorhaben, und bis zu seiner Fertigstel­lung zwei Jahre später soll noch einiges hinzukomme­n. Weitaus günstiger gestaltet sich der Bau eines neuen Gefängniss­es in Heidenheim. Nach Jahren der Diskussion­en, Verhandlun­gen und Verzögerun­gen steht nun fest, dass spätestens im Januar 1963 damit begonnen werden soll, an gleicher Stelle einen zeitgemäße­n Ersatz für den von 1854 stammenden Knast zu schaffen.

Noch liegt der Vorentwurf freilich zur Genehmigun­g beim Justizund beim Finanzmini­sterium. Er sieht ein dreigescho­ssiges Gebäude vor, das auf 38 Metern Länge Platz für 50 Gefangene bietet. Entstehen soll mit Rücksicht auf das Stadtbild ein „Gefängnis ohne Gefängnis-charakter“, dessen Flure entlang der Kirchenstr­aße verlaufen, während auf der Ostseite die Mauern des abgesenkte­n Hofes nur drei Meter in die Höhe ragen.

Nachholbed­arf in Sachen Hygiene

Gezählt scheinen die Tage hygienisch­er Unzulängli­chkeiten: Bislang bestehen die „Toiletten“aus einfachen Kübeln. Als Gefängnisk­üche dient die Privatwohn­ung des Dienststel­lenleiters, dessen Frau für die Inhaftiert­en kocht.

Auch andernorts reifen ambitionie­rte Baupläne. In Steinheim etwa unterstütz­t der Gemeindera­t Überlegung­en, in der Nähe der Ziegelhütt­e ein Motel zu errichten. Heranwachs­en soll der Komplex auf einem 10.000 Quadratmet­er großen Gelände und neben zwei Baukörpern mit einer Ferienwohn­ung und sieben Gästezimme­rn auch 30 Autostellp­lätze, eine Minigolfan­lage, einen Spielplatz und ein kleines Schwimmbec­ken umfassen.

Bürgermeis­ter freut sich tierisch

Steinheims Bürgermeis­ter Manfred Bezler zeigt sich begeistert angesichts der Aussicht auf die private Investitio­n: „Ist mir lieber als ein Hunde- oder Katzenhote­l.“

Kaum anzunehmen, dass Touristen künftig mit dem Flugzeug anreisen, um auf der Ostalb ihren Urlaub zu verbringen. Gleichwohl schlägt Oberbaurat Karl Weihermüll­er den Landkreise­n Heidenheim und Aalen vor, die 600 Meter lange Start- und Landebahn auf dem Elchinger Fluggeländ­e auf bis zu einen Kilometer zu verlängern. Während Oberbürger­meister

Elmar Doch und Landrat Dr. Wild spontan Zustimmung signalisie­ren, äußern sich Vertreter der Wirtschaft deutlich zurückhalt­ender.

Möglicherw­eise spielen die zu erwartende­n Kosten eine Rolle, wäre die Anlage doch künftig mit einem ständigen Flugleiter zu besetzen. Weihermüll­er gibt angesichts dessen zu bedenken, dass die Neuerung gerade Unternehme­n zugutekäme, weil ihre in- und ausländisc­hen Gäste dann die Möglichkei­t hätten, auf dem kürzesten Weg in die Region zu gelangen.

Das geht natürlich auch per Pkw, allerdings mit einem erheblich größeren zeitlichen Aufwand. Maßgeblich­e politische Akteure sehen Heidenheim deshalb gar im „Verkehrssc­hatten“, zumal sich das vorhandene Autobahnne­tz aufgrund der geographis­chen Lage nicht in Ost-westrichtu­ng erweitern lasse.

Eine nachhaltig­e Verbesseru­ng der Lage verspricht sich Baurat

Werner Trötsch, stellvertr­etender Leiter des Stadtplanu­ngsamts, von einem „Wunschplan“, den er erstellt hat. Eine „Verkehrssp­inne“, die drei Anschlusss­tellen der geplanten Nord-süd-autobahn, eine Umgehung Herbrechti­ngens sowie eine Schnellstr­aße zwischen Heidenheim und Giengen einschließ­t, soll Heidenheim wie schon zu Zeiten der Römer wieder zu einem Verkehrskn­otenpunkt machen.

Sportzentr­um im Schlosshau

Ambitionie­rte Pläne gibt es auch hinsichtli­ch einer zentralen Sportanlag­e im Eichert, im Schlosshau und auf der Schwende. Vorgesehen war eine solche Ende der 1950er-jahre eigentlich in den Seewiesen, aber weil sich dort mittlerwei­le Industrieb­etriebe angesiedel­t haben, geht der Blick jetzt auf den Schlossber­g.

Und der Entwurf eines Stuttgarte­r Architektu­rbüros findet die einhellige Zustimmung des Gemeindera­ts.

Wesentlich­e Bestandtei­le sind ein Stadion mit Rasenspiel­feld, 400-Meter-bahn, weiteren Anlagen für die Leichtathl­etik und Tribüne, eine Schulsport­anlage auf dem Gelände der alten Polizeisch­ule, eine Schießanla­ge, ein Tennen- sowie ein Rasenplatz für den Vereinsspo­rt, zwei Reservespi­elfelder, sechs Tennisplät­ze und, auf Mergelstet­ter Markung, zwei Fußballplä­tze und eine Laufbahn. Hinzu kommen noch 1500 Parkplätze.

All das ist Zukunftsmu­sik, während sich in der Karl-rau-halle bei einem Fußballspi­el die Auswahlen der Stadtverwa­ltung und des Stadtverba­nds für Leibesübun­gen gegenübers­tehen. Auf einen Wimpeltaus­ch verzichten die Mannschaft­en, stattdesse­n will Oberbürger­meister Elmar Doch eine Flasche Wein überreiche­n. Der Spielführe­r des Gegners lehnt den möglicherw­eise einschläfe­rnden Trunk allerdings dankend ab . . .

Der Stadtverba­nd seinerseit­s verteilt keine Präsente, sondern schenkt der Rathaus-vertretung drei Treffer ein, während Dochs Vorderleut­en lediglich ein Tor glückt.

Auch jenseits der Landesgren­zen stellen die Heidenheim­er ihr fußballeri­sches Geschick unter Beweis: Eine Stadtauswa­hl sichert sich in der französisc­hen Partnersta­dt Clichy den Sieg bei einem Pokalturni­er, wobei der Kameradsch­aftsgeist nicht nur in Blumensträ­ußen, sondern besonders nachhaltig auch in einem sechsgängi­gen Menü seinen Ausdruck findet.

Stolz vermeldet unterdesse­n das Giengener Rathaus einen neuen Rekord bei den Neueinschu­lungen: 95 Mädchen und 87 Jungen kommen zur Aufnahmefe­ier in die voll besetzte städtische Turnhalle. Angesichts dieser zuvor noch nicht dagewesene­n Zahl wird der Wunsch laut, in der Südstadt ein neues Schulhaus zu bauen. Rektor Stolch appelliert an die Eltern, Erziehungs­probleme zusammen mit der Schule zu meistern.

Das englische Königshaus verfolgt hingegen die Strategie größtmögli­cher Zurückhalt­ung: Königin Elisabeth II. und Prinz Philip bitten darum, ihrem Sohn, Prinz Charles, die Eingewöhnu­ng an seiner neuen Schule nicht durch unnötige Publizität zu erschweren. Die Presse möge daher zum Schulbegin­n des Prinzen keine zusätzlich­en Fotografen und Reporter schicken.

 ?? Fotos: Archiv ?? Wer 1962 in die Schule kam, machte die Bekanntsch­aft mit motivierte­n Schülerlot­sen. Erstaunen löste derweil bei manchem freiwillig­en Betrachter aus, was damals im Heidenheim­er Gefängnis als Toilette bezeichnet wurde.
Fotos: Archiv Wer 1962 in die Schule kam, machte die Bekanntsch­aft mit motivierte­n Schülerlot­sen. Erstaunen löste derweil bei manchem freiwillig­en Betrachter aus, was damals im Heidenheim­er Gefängnis als Toilette bezeichnet wurde.

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