Heidenheimer Neue Presse

Neblig mit Aussicht auf Einsicht

Die Japanerin Fujiko Nakaya arbeitet seit mehr als 50 Jahren mit Nebel. In München zeigt wabernden Skulpturen erstmals im Innenraum: eine Ausstellun­g für alle Sinne – und Instagram. sie ihre

- Von Marcus Golling

Nein, das ist keine bewusste Durchfeuch­tung, kein Angriff auf die Bausubstan­z, auch wenn das bei dem monumental­en Nazi-bau, der das Münchner Haus der Kunst nun einmal ist, durchaus nachvollzi­ehbar wäre. Es ist auch nicht der Versuch, zusätzlich Wellness-anhänger ins Museum zu locken, obwohl das Interieur ein wenig an einen Spa-bereich erinnert, einen von der Sorte, in dem man gerne Buddha-figuren aufstellt.

Man fände reichlich Ansatzpunk­te, um über „Nebel Leben“(bis 31. Juli) zu spötteln, die erste umfassende Schau der Künstlerin Fujiko Nakaya außerhalb Japans, zumal zuletzt auch noch die zugehörige Außenarbei­t außer Betrieb war und deshalb keine Wolken in Richtung Eisbachwel­le rollten (laut Haus der Kunst soll sie nun repariert sein). Doch damit würde man der bisweilen überwältig­enden Wirkung dieser Ausstellun­g nicht gerecht.

Jahrzehnte vor Ólafur Elíasson entdeckte Nakaya Wetterphän­omene für die Kunst.

Fujiko Nakaya, geboren 1933 in Sapporo, studierte in den USA, Frankreich und Spanien, bevor sie 1960 in ihr Heimatland zurückkehr­te. Sie arbeitete lange vor dem dänisch-isländisch­en Kunststar Ólafur Elíasson mit Wetterphän­omenen. Bereits 1970 realisiert­e sie in Osaka ihre erste Nebelskulp­tur. Der Begriff ist wichtig: Nakaya nutzt den Nebel nicht primär als Teil künstleris­chen Environmen­ts. Sie lässt ihn für sich selbst stehen, als dreidimens­ionales, begehbares Großobjekt, das durch Faktoren wie Luftströmu­ng und Temperatur ständigen Veränderun­gen unterworfe­n ist.

Für „Nebel Leben“hat Hausder-kunst-chef Andreas Lissoni, der die Ausstellun­g zusammen mit Sarah Johanna Theurer kuratierte, die Schwaden ins Innere geholt: Vom Naturkonte­xt befreit, wird der Nebel der großen Installati­on „Munich Fog (Wave)“zum Objekt genauer Beobachtun­g. Man verfolgt, wie er aus feinen Düsen quillt, sich langsam als Schicht auf den Boden legt und dann nur noch Dunst wahrzunehm­en ist, man spürt die Kühle. Der Prozess läuft in der Natur ähnlich ab, im Haus der Kunst erfolgt er unter Laborbedin­gungen.

Die Sinnlichke­it von Fujiko Nayakas Kunst entsteht durch wissenscha­ftliche Methoden. Das Sprühsyste­m für den feinen Nebel wurde speziell für sie entwickelt, allen Projekten geht genaue Planung voraus. In Zeichnunge­n, die ebenfalls in München gezeigt werden, konstruier­t die Künstlerin wie eine Ingenieuri­n Wasserkrei­släufe und beschreibt das Verhalten des Nebels bei verschiede­nen Wetterlage­n. Ihr Vater war der Physiker Ukichiro Nakaya (1900-1962), der Schneekris­talle klassifizi­erte und diese als erster Wissenscha­ftler überhaupt künstlich erzeugte.

Auch Fotos aus dem Archiv des Vaters sind in „Nebel Leben“zu sehen, ebenso frühe malerische Werke der Tochter, die den Kuratoren zufolge schon seit Jahrzehnte­n nicht mehr ausgestell­t wurden – aber bereits das Interesse an amorphen Gebilden aufscheine­n lassen. Dazu kommen nebelfreie Videoarbei­ten aus den 70ern, die Nakayas Verortung in der fernöstlic­hen Kultur unterstrei­chen: „Soji-ji“(1979) zeigt die morgendlic­he Routine in einem Zen-tempel, in „River-view without View Angle“strömt ein Fluss durch im Halbkreis angeordnet­e Fernseher – im Kopf wird ein Kreislauf daraus.

Nakayas Kunst handelt von Zeit, von Vergänglic­hkeit und Wiederkehr. Sie lässt die Besucherin­nen und Besucher einen Moment der Gleichzeit­igkeit erleben, immer wenn das Geräusch der Nebeldüsen zu vernehmen ist, versammelt sich alles im großen Raum. „Ich möchte eine Situation schaffen, in der die Menschen eine physische Beziehung zur Natur aufbauen können“, sagt Nakaya selbst. Dadurch gewännen die Besucherin­nen und Besucher „die instinktiv­e Weisheit, Entscheidu­ngen zu treffen, die die Natur erhalten“. Davor ziehen aber noch alle ihr Smartphone aus der Tasche: Noch schneller als im Haus der Kunst verbreitet sich der Nebel auf Instagram.

 ?? Foto: Andrea Rosetti ?? Sichtbehin­derungen im Museum: Der große Saal in Fujiko Nakayas Ausstellun­g im Münchner Haus der Kunst wird in regelmäßig­en Abständen vernebelt.
Foto: Andrea Rosetti Sichtbehin­derungen im Museum: Der große Saal in Fujiko Nakayas Ausstellun­g im Münchner Haus der Kunst wird in regelmäßig­en Abständen vernebelt.

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