Kein Sex für Nichtleser
Rigoros, schonungslos, pausenlos: Denis Scheck zelebrierte Lemberger und Literaturkritik in der Stadtbibliothek.
Heidenheim. Ist die Absicht, einen Literaturkanon zu veröffentlichen, nicht eine Form von Größenwahn? Denis Scheck meint: Ja, denn zwangsläufig müsse dabei aus der eigenen Beschränktheit der literarischen Erfahrungen geschöpft werden. Damit ging Denis Scheck zunächst mal hart mit sich selbst ins Gericht, denn er war es ja, der jüngst mit „Schecks Kanon“eben diesen Weg gegangen ist. So geschehen am Dienstagabend in der Stadtbibliothek, in der der Journalist, Moderator, Übersetzer, Autor, Literaturkritiker und Fernsehstar zu Gast war.
Übrigens bereits zum dritten Mal: Er war schon bei den Literaturtagen 2010 dabei, und er war Festredner bei der Eröffnung der Stadtbibliothek. Und dieser Bau hat es sogar in sein jüngstes Werk geschafft: „Hungrig auf Berlin“heißt es, und da ist an einer Stelle von der „ziegelweißen Bücherkaaba in Heidenheim“die Rede.
Und das brachte der Autor – ausgestattet mit einem guten Glase Lemberger zum „Schausaufen mit Betonung“, wie ihm einst Harry Rowohlt beigebracht hatte – zunächst zu Gehör, sehr zur Freude der rund 90 Zuhörer natürlich, um dann – „Bücher und Bibliotheken sollen durch den Vordereingang betreten werden, so wie es Autor und Architekt beabsichtigen“– die Einleitung zu seinem Kanon zu verlesen. Ein Loblied auf die Literatur, das Lesen an sich und all seinen Nebenwirkungen: die Welt verstehen, Empathie stärken, auf andere und neue Gedanken kommen, Schutz vor Narzissmus, Scheitern und Niederlagen nicht als Ausnahme, sondern Regel begreifen.
Irreparable Schäden möglich
Freilich gilt das bei ihm nicht für jede Lektüre – die falsche könne dem Gehirn irreparable Schäden zufügen und er zögerte auch nicht, ungeachtet von Kollegenschaft und Lesergeschmack Namen zu nennen: Fitzek, Coelho, Fröhlich wurden aufgezählt und seine Hoffnung, Frau von der Leyen werde, sobald es das Tagesgeschehen zulasse, nicht müde werden, dafür zu sorgen, dass solcherlei Bücher mit Schockfotos versehen werden. Noch härter ging er mit jenen ins Gericht, die gar nicht lesen: dass ihnen der
Gang zur Wahlurne verwehrt sein möge oder gar noch mehr: „Kein Sex für Nichtleser“. Er weiß, wie man Pointen setzt, er weiß, dass seine Rigorosität gut ankommt und zelebrierte das ebenso genüsslich wie seinen Lemberger und seine Lust an der Provokation. Und sollte jemand der Meinung sein, auch in der Literatur sei früher alles besser gewesen, so hat Scheck auch da spöttische Entgegnungen parat: „Kam etwa früher Hölderlin in der Tagesschau? Hat man früher auf Goethe-gesamtausgaben gespart statt auf den Urlaub? Waren Pausenbrote in Kafka eingewickelt?“
Pause vergessen
Aus seinem Kanon jedenfalls hat er doch einiges von früher vorbereitet: Dorothy Parker, Ernest Hemingway, Franz Kafka. Und vergaß darüber völlig, die von Bürgermeisterin Simone Maiwald angekündigte Pause einzulegen.
Vergaß er es wirklich? Na, vielleicht wollte er auch früher fertig sein. Und tatsächlich konnte den Zuhörern auch schon der Kopf schwirren vor lauter Belesenheit und Sprachgewalt, vor Begegnungen mit Umberto Eco und Joanne K. Rowling, vor Anekdoten über Tennisspiel im englischen Königshaus, vor Immobilien, die ihm Harald Schmidt vor der Nase weggeschnappt hatte, den kontroversen Diskussionen mit Stefan Raab. Schade war das letztlich am meisten für das „Samocca“, denn das hatte eigens für diese Pause das Café geöffnet. Und hätte bestimmt noch ein adäquates Getränk für Herrn Scheck parat gehabt: Lemberger, erfuhr das Publikum zum Ende der Lesung zu seiner Verblüffung, ist das nämlich gar nicht. Bei all dem Schlauem und Ergötzlichem, das Denis Scheck zu sagen hat, ist er halt auch ein bisschen schräg.