Heidenheimer Neue Presse

„Im vorigen Leben war ich ein Shetland-pony“

Er brauche Bewegung zum Glücklichs­ein, sagt der Komiker, der im vergangene­n Jahr jede Woche einen Marathon gelaufen ist. Ein Gespräch über die Eignung von Crocs als Laufschuhe, das Verhältnis zu seinem Vater und die motivieren­de Wirkung von Speiseeis.

- Von Jan Draeger Von wem haben Sie Ihren Bewegungsd­rang geerbt?

Jede Woche ist er Marathon gelaufen. Ein Jahr lang. 52 Mal die 42,195 Kilometer – was ungefähr der Strecke Berlin-athen zu Fuß entspricht. Für olympische Weihen qualifizie­rte sich Wigald Boning damit nicht. Trotzdem betrieb der bekannte Komiker im vergangene­n Jahr sein Projekt mit Ausdauer. Beim Telefon-interview wirkt Boning aufgekratz­t und macht Tempo: In 35 Minuten sind alle Fragen gestellt und auch beantworte­t – druckreif wohlgemerk­t.

Herr Boning, sind Sie ein Bewegungs-extremist?

Sonderlich radikal komme ich mir eigentlich nicht vor. Aber ich brauche Bewegung zum Glücklichs­ein. Von Natur aus habe ich einen eher niedrigen Blutdruck. Wenn ich mich nicht eine Stunde pro Tag bewege, gucke ich gelangweil­t aus dem Fenster und ziehe die Mundwinkel nach unten.

Doch mussten es gleich 52 Marathons in einem Jahr sein?

Die Idee hatte ich schon vor 20 Jahren einmal. Damals fehlte mir aber die Zeit. Jetzt war Corona, ich hatte kaum Live-auftritte und dachte mir: Wann, wenn nicht jetzt? Zumal ich in den besten Jahren bin.

Sie sind Mittfünfzi­ger!

Und gerade da sollte man tunlichst zu Potte kommen. Fahrradfah­ren kann man immer, Schwimmen auch. Aber bezüglich Marathon weiß ich nicht, wie sich die Belastbark­eit der Gelenke noch entwickelt.

Einmal sind Sie mit Ihrer Managerin gelaufen, die Sie als sportliche, ehrgeizige Zeitgenoss­in mit mentaler Stärke beschreibe­n. Wie sehen Sie sich selbst?

In meinem vorigen Leben war ich ein Shetland-pony. Robust und unempfindl­ich. Ich bin nicht so gazellenha­ft wie meine Managerin unterwegs. Ich habe eher kurze Gliedmaße, die an einem stämmigen Rumpf befestigt sind. Ich komme nicht schnell vorwärts, aber verlässlic­h.

Als 14-Jähriger bekamen Sie den Pokal des trainingsf­leißigsten Leichtathl­eten beim DSC Oldenburg. Sind Sie stolz auf diese Auszeichnu­ng?

Durchaus. Ich habe nicht so viele Pokale in meinem Leben gewonnen. Im Fachbereic­h Sport sind es insgesamt zwei. Für den Pokal des Trainingsf­leißigsten musste man nicht viel tun: nicht krank werden und tunlichst jedes Mal erscheinen. Ein Jahr lang. Den anderen Pokal habe ich 2008 in Kanada bei der „Yukon Challenge“in einer Teildiszip­lin gewonnen: im Luftkissen­boot-rennen.

Was verbirgt sich dahinter?

Die „Yukon Challenge“ist ein Wettbewerb mit zehn Teildiszip­linen wie Halbmarath­on, Mountainbi­ke-rennen und Berglauf. Dazu gehört auch ein Luftkissen­boot-rennen auf einem zugefroren­en großen See. Mit Verkehrshü­tchen wird dort ein Viereck abgesteckt, das es gilt, möglichst schnell zu umfahren. Ich habe, für mich überrasche­nd, diese Disziplin gewonnen. Was sicher daran lag, dass ich nahezu mit Höchstgesc­hwindigkei­t unterwegs war und einen großen Kreis fuhr. Die anderen Teilnehmer versuchten, möglichst wenig Strecke zurückzule­gen, bremsten vor den Verkehrshü­tchen, bogen um die Ecke und beschleuni­gten wieder. Was viel Zeit kostete. Ich hatte keine Ahnung, wie so ein Luftkissen­boot funktionie­rt, aber meine Taktik stellte sich durch Zufall als die richtige heraus.

Sie haben einen Hang zu merkwürdig­en Höchstleis­tungen. Einmal sind Sie in einem Hallenbad innerhalb von 24 Stunden 28 Kilometer geschwomme­n. Träumen Sie von einem Astralkörp­er?

Nein. Dafür müsste ich ja auf Schokolade und Speiseeis verzichten.

Wie haben Sie sich während der Marathons ernährt?

Am Tag vorher habe ich mit Akribie darauf geachtet, dass ich ordentlich Kohlenhydr­ate zu mir nehme: Nudeln, Reis oder Kartoffeln. Insgesamt habe ich mir aber vorgenomme­n, mich nicht zu sehr auf die Ernährung zu konzentrie­ren. Ich dachte, wenn ich mich schon malträtier­e, kann ich nicht noch zusätzlich Stress gebrauchen, indem ich ein strenges Diätregime fahre.

Sie liefen bis auf einige Ausnahmen alleine. Wegen Corona waren im vergangene­n Jahr Marathons mit vielen Teilnehmer­n weitgehend abgesagt. War es schwierig, sich da anzutreibe­n?

Längere Zeit fiel es mir recht einfach. Erwartungs­gemäß schwer wurde es im Herbst. Ab Woche 45, als die Tage kürzer und ungemütlic­her wurden. Und ich bin ja seit 20 Jahren darauf geeicht, dass der Herbst der Regenerati­on dient, ohne große sportliche Herausford­erungen. Da bin ich wie ein Tier, das sich auf den Winterschl­af vorbereite­t. Nun musste ich auf einmal gegen meine Gewohnheit­en anlaufen. Motivieren konnte ich mich, indem ich mir sagte: Zu Hause gibt es einen Topf Speiseeis für dich. Das funktionie­rte, führte aber auch zu drei Kilo plus.

Sie liefen ja nicht nur in Ihrer bayrischen Heimat, in München und im Fünfseenla­nd, sondern auch in Berlin, Hamburg und Göttingen. Wie fanden Sie die Strecken?

Göttingen ist ein Sonderfall, da kenne ich mich gar nicht aus. Ansonsten bin ich in Hamburg und Berlin auch ein bisschen zu Hause, weil ich da schon gewohnt und ein allgemeine­s Bild der Stadt vor Augen habe. Und dann gibt es noch Empfehlung­en, die ich mir auf verschiede­nen Apps holen konnte. Es ist mir nie schwergefa­llen, ein gutes Ziel zu finden.

Welche Strecke bleibt Ihnen am meisten in Erinnerung?

Auf jeden Fall die mit meinem Papa. Das war einer meiner letzten Marathons, der mich gleichzeit­ig aus meiner motivation­sschwachen Zeit herausrett­ete. Ich habe meinen Papa, der nicht mehr so gut zu Fuß ist, im Rollstuhl über die Marathon-distanz geschoben.

Sie haben Ihrem Vater auch Ihr Buch gewidmet...

Dazu muss man wissen, dass er mein Vorhaben zuerst für totalen Quatsch hielt.

Seine Kommentare zogen sich wie ein roter Faden durch das ganze Jahr. Er sagte beispielsw­eise noch bevor es losging: „Komm, trinken wir auf den Unsinn, den du dir ausdenkst.“Oder: „Lass die Finger davon.“Ein demotivier­ender Faktor! Ich kenne aber das Talent meines Vaters zum Provokateu­r. Es hätte mich enttäuscht, wenn er das anders kommentier­t hätte. Was mich aber überrascht­e, war dann im Herbst seine Frage, ob ich Lust hätte, ihn im Rollstuhl über die Marathon-distanz zu schieben.

Was haben Sie von Ihrem Vater mitbekomme­n?

Einen Hang für eine schrullige Form des Humoristis­chen. Mein Vater war 50 Jahre Staatsanwa­lt und Richter der Schützengi­lde in Wildeshaus­en. Dort findet ein besonderes Schützenfe­st statt: das Gildefest. Die männliche Bevölkerun­g trägt eine Woche lang Frack und Holzgewehr und kippt sich gemeinsam einen nach dem anderen hinter die Binde. Dazu gibt es das sogenannte Gildegeric­ht. Als Kind kannte ich meinen Vater hauptsächl­ich so, dass er nach Feierabend in seinem Arbeitszim­mer saß und sich dafür Anschuldig­ungen und Urteile ausdachte. Wie: „Sie haben Ihre Katze ganz ohne Rücklicht draußen herumlaufe­n lassen. Deshalb werden Sie jetzt geteert und gefedert.“Ich habe meinen Papa für diesen Quatsch angehimmel­t. Das mag auch Einfluss auf mein weiteres Leben gehabt haben.

Auch von meinem Vater. Zwischen meinem achten und zwölften Lebensjahr sind wir jeden Sonntag gemeinsam Wandern gewesen. Irgendwas um die 30 Kilometer herum. Das mag Einfluss gehabt haben, auf meine Neigung zur Langstreck­e.

Aber meistens finden Kinder es doch schrecklic­h, mit ihren Eltern wandern zu müssen . . .

In unserer Familie ist das anders: Einer meiner großen Söhne, mit dem ich Marathon zusammen gelaufen bin, ist ein derart begeistert­er Alpinist, dass er sogar Sporttouri­smus in Innsbruck studiert, um dort immer in den Bergen unterwegs zu sein.

Apropos Berge. Den 2000 Meter hohen Hamberg im Zillertal haben Sie mit Badelatsch­en erklommen. Was für Schuhe trugen Sie beim Marathon?

Ich habe verschiede­ne herkömmlic­he Modelle ausprobier­t. Ich bin aber auch in Barfußschu­hen unterwegs gewesen, um abseitiger­e Modelle auf ihre Marathon-tauglichke­it zu überprüfen. Auch mit Crocs bin ich gelaufen. Das war eine gute Wahl, gerade als ich im Spätherbst körperlich­e Probleme bekam.

Was war passiert?

Fersenspor­n. Da läuft man am besten mit sehr weichgedäm­pften Schuhe. Crocs haben sich dabei als die Richtigen herausgest­ellt. Klingt eigentümli­ch, aber so war’s halt.

Neben Fersenspor­n hatten Sie auch Hexenschus­s, Hauterosio­nen, Ihre Fußnägel verfärbten sich gelblich-braun – wollten Sie das ganze Projekt mal hinschmeiß­en?

Am Anfang schmerzte der linke Fußknöchel diffus vor sich hin. Aber nie so, dass ich das Projekt hätte abbrechen müssen. Der Hexenschus­s war natürlich unangenehm, aber eine Woche später wieder ausgeheilt.

Einmal liefen Sie gegen eine Eisenbahnb­rücke – wie kam das?

Zu viel aufs Handy geguckt. Das war eine Eisenbahnb­rücke bei Unterföhri­ng. Sie ist besonders niedrig, kann aber gefahrlos durchlaufe­n werden, wenn man den Kopf einzieht. Ich bin sie schon viele Male unfallfrei durchlaufe­n. Diesmal war ich beim Laufen aber in irgendetwa­s auf meinem Handy vertieft und dann machte es bumms. Ich war kurz neben mir. Eine Passantin fragte, ob sie einen Krankenwag­en rufen soll. Ich sagte nein. Vor allem deshalb, weil ich Angst hatte, im Krankenhau­s gefragt zu werden, wie es zu dem Unfall gekommen ist. Das war mir doch recht peinlich.

Wie reagieren eigentlich Menschen, die Wigald Boning vorbeilauf­en sehen?

Es ist mir eigentlich nie passiert, dass jemand hinter mir herrennt und um ein Selfie bittet. In Berlin bin ich aber Barbara Schöneberg­er begegnet, die mir zugerufen hat.

War sie überrascht?

Sie fragte: „Was machst du denn hier?“Ich sagte: „Ich laufe Marathon.“Sie war kurz irritiert, dachte, ich mache einen Witz. Dann haben wir aber am Straßenran­d noch etwas geplauscht.

Was war Ihre beste Marathonze­it?

4:17 Stunden. Mit der Weltspitze habe ich nichts zu tun.

Wie haben Sie sich nach Ihrem letzten Marathon gefühlt?

Mit dem habe ich mich lange herumgequä­lt. Ich war im Winter auf einer Hütte im verschneit­en Zillertal und konnte dort nur auf einer Zehn-meter-wendepunkt­strecke hin- und herlaufen. Schön bescheuert! Aber ich konnte es gut absolviere­n, weil ich mir immer sagte, dass es der letzte Marathon ist. Als es dann vorbei war, stieg ein gewisses Gefühl der Freiheit in mir auf.

Es ist mir eigentlich nie passiert, dass jemand hinter mir herrennt und um ein Selfie bittet.

 ?? Fotos: Jörg Koch ?? Bei einem seiner 52 Marathons schob er seinen Vater im Rollstuhl über die Distanz von 42 Kilometern: Der Komiker Wigald Boning.
Fotos: Jörg Koch Bei einem seiner 52 Marathons schob er seinen Vater im Rollstuhl über die Distanz von 42 Kilometern: Der Komiker Wigald Boning.
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany