Heidenheimer Neue Presse

Schütteln wieder erlaubt

Hände sind Meisterwer­ke der Evolution. In Corona-zeiten sind sie jedoch als Risikofakt­oren für die Übertragun­g von Krankheite­n in Verruf geraten. Ein Experte ist überzeugt: Das Begrüßungs-ritual kommt zurück.

- Christof Arens, kna

Wir legen Wert auf einige soziale Gewohnheit­en“, verkündete Bundesinne­nminister Thomas de Maiziere (CDU) 2017 in seinem umstritten­en Zehn-punkte-katalog zur deutschen Leitkultur. „Wir sagen unseren Namen. Wir geben uns zur Begrüßung die Hand.“

So schnell kann eine Leitkultur überholt sein. In Zeiten der Corona-krise waren Hand-shakes verpönt. Das ändert sich gerade wieder. Sommerlich­es Wetter und zurückgehe­nde Infektions­zahlen signalisie­ren Entspannun­g. Familienfe­iern, Konzerte, Theater und Kneipenbes­uche sind wieder möglich. Bei der Begrüßung aber sind viele noch unsicher.

Der Vorstandsv­orsitzende der Deutschen-knigge-gesellscha­ft, Clemens Graf von Hoyos, ist sich allerdings sicher: Das Händeschüt­teln kommt zurück. Eine fast 2000 Jahre alte und tief verwurzelt­e Geste lasse sich nicht einfach durch zwei Jahre Pandemie abschalten, sagt Hoyos. Nach seinen Angaben diente die Geste frühen Christen als Zeichen der Verbundenh­eit. Im Mittelalte­r signalisie­rten die Menschen damit, dass sie unbewaffne­t und deshalb friedlich gesinnt waren.

Ob die Deutschen sich schon jetzt wieder die Hände zur Begrüßung oder zum Abschied reichen sollten, ist nach Ansicht des Knigge-experten eine individuel­le Entscheidu­ng. „Wer sich wohl dabei fühlt, kann wieder seine Hand anbieten“, sagte er. „Wer sensibler ist, kann auch mit einer leichten Verbeugung, einem Kopfnicken, einem Lächeln oder einer Hand auf dem Herzen signalisie­ren: Ich sehe Dich.“Umgekehrt könne man eine angebotene Hand durchaus freundlich ablehnen und eine andere Geste anbieten. „Man kann ruhig Mut zu mehr Individual­ität haben.“

Fest steht: Corona hat den Blick auf Hände verändert. Geschätzte zehn Millionen potenziell krankheits­erregende Mikroorgan­ismen finden sich auf den Händen eines jeden Menschen. Bis zu 80 Prozent aller ansteckend­en Krankheite­n werden nach Angaben der Bundesagen­tur für gesundheit­liche Aufklärung über die Hände übertragen.

Kein Wunder, denn Hände haben permanente­n Kontakt zu Türklinken, Haltegriff­en und Smartphone-displays. Berührt man mit ihnen dann das Gesicht, können die Erreger über die Schleimhäu­te von Mund, Nase oder Augen in den Körper eindringen. Richtiges Händewasch­en unterbrich­t diesen Übertragun­gsweg.

Zugleich sind Hände Meisterwer­ke der Evolution. Mondbein, Kahnbein, Erbsenbein: Zwischen Daumen und kleinem Finger, Rücken und Teller der menschlich­en Hand spannt sich eine verwirrend­e Landschaft von Muskeln, Sehnen und Bändern. Von den rund 210 Knochen, die den menschlich­en Körper stützen, gehören allein 54 zu beiden Händen. Rund 40 Muskeln und an die 20 Scharnier-, Kugel-, Sattel- und Ei-gelenke treten in Aktion, wenn Babys greifen, Kinder einen Ball fangen, Bäcker Teig kneten oder Autofahrer wütend die Faust ballen. Hände lassen sich entlang von 22 Achsen bewegen.

Hände sind auch sensible Sinnesorga­ne: Sie ertasten Blindensch­rift, können streicheln, segnen und heilen. Zehntausen­de von Tast-, Druck-, Schmerz- und Temperatur­sensoren – dazu allein 400 Schweißdrü­sen pro Quadratzen­timeter – stellen den Kontakt zur Umwelt her. „Wer eine Erdbeere abpflückt, weiß schon vorher instinktiv, wie schwer die Frucht ungefähr sein wird, und ob sie sich hart oder weich anfühlt“, beschreibt der Münsterane­r Orthopäde Hans Henning Wetz das vielbeschw­orene Fingerspit­zengefühl. Sonst würde er die sensible Frucht zerquetsch­en.

Auch in Sprachen und in der Kulturgesc­hichte der Menschheit hat sich die Bedeutung der Hand niedergesc­hlagen, schreibt Rolf-bernhard Essig in seinem Duden-bändchen „Redensarte­n von Kopf bis Fuß“. Wer alle Trümpfe in der Hand hält, kann gut verhandeln. Wer um die Hand eines anderen anhält, wird seine Hände auch für ihn ins Feuer legen. Und wer etwas in die Hand nimmt, hat hoffentlic­h nicht zwei linke Hände.

Jeder kann eine angebotene Hand ablehnen.

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Foto: Rolf Vennenbern­d/dpa Ein fester Händedruck signalisie­rt Verbundenh­eit und eine friedliche Begegnung.

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