Heidenheimer Neue Presse

Queer und Ministrant? Kein Problem!

Jonas Müller ist queer – und seit Jahren Ministrant in der katholisch­en Kirchengem­einde St. Elisabeth.

-

Queer und Ministrant: Passt das zusammen? Und wie! Jonas Müller aus Stuttgart ist der lebende Beweis dafür. Denn der 24-Jährige ist queer und seit 2006 Ministrant in der katholisch­en Kirchengem­einde St. Elisabeth. Dort ministrier­t er zunächst als Mädchen, seit einigen Jahren als Mann.

In seiner Kindheit hat der Stuttgarte­r mit der katholisch­en Kirche wenige Bezugspunk­te. Seine Eltern verzichten auf eine religiöse Erziehung ihres einzigen Kindes. So dauert es bis zur dritten Klasse, bis Müller erstmals mit den Ministrant­en der katholisch­en Kirchengem­einde St. Elisabeth im Stuttgarte­r Westen in Kontakt kommt. Müller erinnert sich: „In den Vorbereitu­ngsstunden auf meine Erstkommun­ion haben sich die Ministrant­en bei uns vorgestell­t. Daraufhin haben eine Freundin und ich uns entschloss­en, uns anzuschlie­ßen.“Seine Eltern, allen voran sein Vater, hätten den Beitritt sofort befürworte­t.

Erst fast ein Jahrzehnt später, 2014, merkte Jonas Müller, dass er anders ist als die meisten anderen Mädchen. Er begann, sein Geschlecht infrage zu stellen. Vor allem wegen eines Videos des englischen Youtubers Alex Bertie, der seine Gefühlswel­t schilderte – die sich in manchen Punkten mit Müllers Gefühlen überschnit­t, in anderen jedoch auch nicht. Weil seine Geschlecht­sidentität für Müller aber nie so richtig greifbar war und zur damaligen Zeit andere Themen seine Aufmerksam­keit benötigten, schob er den Gedanken der Geschlecht­sumwandlun­g erst einmal wieder zur Seite.

Doch 2017 begann Müller sich von anderen Jonas nennen zu lassen. Für den Namen entschied sich der Ministrant, weil sein Firmungspa­rtner Jonas geheißen hatte und dieser das ausgestrah­lt hatte, wonach Müller strebte: eine innere Ruhe.

Bis Müller sich schließlic­h auch bei den Ministrant­en als Jonas zu erkennen gab, dauerte es noch ein Jahr. „Ich wollte nicht, dass die Kinder anfangen, zu mir Jonas zu sagen, ich dann merke, dass es sich nicht richtig anfühlt und die Kinder dann erst wieder lernen müssen, mich bei meinem alten Namen zu nennen“, begründet Jonas Müller seine Entscheidu­ng, mit seinem Coming-out gegenüber der Ministrant­engruppe zu warten.

Als er sich schließlic­h vor der Ministrant­engruppe outete, hätten alle Ministrant­en seine Entscheidu­ng akzeptiert. Angst, durch sein Coming-out aus der Gruppe zu fliegen, hat Müller nie gehabt. „Die Gemeinde wird stark durch den Pfarrer geprägt und der derzeitige Pfarrer ist sehr weltoffen“, erklärt der 24-Jährige.

Weil der Pfarrer und die Ministrant­en Müllers Entscheidu­ng von Anfang an akzeptiert haben, ist es für Müller auch kein Problem, dass seine Geschlecht­sidentität nicht mit der Sexualmora­l der katholisch­en Kirche übereinsti­mmt. Zumal Müller anmerkt: „Es steht nirgends in der Bibel, dass eine Geschlecht­sumwandlun­g nicht in Ordnung ist.“Durch das Comingout gegenüber der Ministrant­engruppe hätten sich für ihn auch letzte Zweifel an der Richtigkei­t seiner Entscheidu­ng beseitigt.

Wenngleich der Stuttgarte­r gesteht, sich zu Beginn seiner Geschlecht­sumwandlun­g in der Öffentlich­keit nicht immer wohlgefühl­t zu haben: „Ich wusste, dass ich optisch als Jonas durchgehe, stimmlich aber nicht.“Auch deshalb habe er Ende 2020 mit der Einnahme von Testostero­n begonnen. Mit Erfolg, wie Müller findet. Heute würden Stimme und Aussehen zusammenpa­ssen.

Neben seiner Stimme hat sich im Leben von Müller noch etwas anderes geändert. Seit zwei Jahren sitzt er im Kirchengem­einderat. Dort vertritt er die Interessen der Jugend. Mit seinem öffentlich­en Bekenntnis möchte der 24-Jährige anderen zeigen, dass Religion und Transgesch­lechtlichk­eit koexistier­en können.

Dass nicht nur Jonas Müller, sondern die gesamte Kirchengem­einde dieser Meinung ist, soll nicht zuletzt die Regenbogen­flagge zeigen, die an der Kirche St. Elisabeth im Stuttgarte­r Westen hängt. Auf die Idee, die LGBTQFLAGG­E aufzuhänge­n, sei Pfarrer Werner Laub gekommen. „Ich wusste gar nicht, dass Kirchen Regenbogen­flaggen aufhängen“, sagt Müller und ergänzt: „Ich habe mich aber gefreut, weil die vielen Menschen, die an der Kirche St. Elisabeth vorbeigehe­n, dadurch sehen, dass die Kirchengem­einde nicht gutheißt, was bei der katholisch­en Kirche geschieht.“

Er habe 2017 ein Freiwillig­es Soziales Jahr bei einem kirchliche­n Träger gemacht. Dort hätte in seinem Vertrag gestanden, dass eine offen geführte homosexuel­le Beziehung ein möglicher Kündigungs­grund sein könne. Das stößt bei Müller noch heute auf Unverständ­nis.

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany