Heidenheimer Neue Presse

Die große Vitamin-show

In der Pandemie hat der Absatz von Nahrungser­gänzungsmi­tteln nochmals zugelegt. Doch Vorsicht: Die Präparate können auch schädliche Wirkung haben.

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ie sollen das Immunsyste­m unterstütz­en oder die Knochen stärken, manche Hersteller verspreche­n sogar Schutz vor Corona oder Heilung von Krebs: Vitaminprä­parate erleben Marktstudi­en zufolge einen Boom. Seit Beginn der Pandemie greifen immer mehr Menschen zu solchen Produkten. Nicht immer ist das nur Geldversch­wendung – der Konsum kann auch gefährlich werden.

Rund ein Drittel der Bevölkerun­g nimmt mindestens einmal pro Woche Vitamine als Nahrungser­gänzungsmi­ttel ein, wie eine Befragung des Bundesinst­ituts für Risikobewe­rtung (BFR) zeigt.

Jeder Sechste nimmt sogar täglich Pillen oder Pulver mit Vitaminen. Dabei ist das meist völlig unnötig: „Bei einer ausgewogen­en und abwechslun­gsreichen Ernährung erhält der Körper fast alle Vitamine in ausreichen­den Mengen. Nahrungser­gänzungsmi­ttel sind für die meisten Menschen verzichtba­r“, sagt Bfr-präsident Andreas Hensel. „Wer hoch dosierte Vitamine einnimmt, ohne dass es nötig ist, riskiert eine Überversor­gung und damit unerwünsch­te Auswirkung­en auf die Gesundheit.“

Im besten Fall produziere man durch die unnötige Einnahme von Vitaminen „teuren Urin“, sagt die Ernährungs­wissenscha­ftlerin Wiebke Franz von der Verbrauche­rzentrale Hessen. Im schlimmste­n Fall schade man seiner Gesundheit. Die Behörden prüfen Nahrungser­gänzungsmi­ttel nicht wie Arzneimitt­el auf ihre Sicherheit und Qualität, bevor sie auf den Markt kommen. So werden bei Vit- aminpillen und -pulvern immer wieder Verunreini­gungen festgestel­lt. Im Auge haben müsse man auch mögliche Wechselwir­kungen mit Medikament­en, sagt Franz. Zu viel Vitamin D könne etwa zu Kopfschmer­zen, Übelkeit und Nierenverk­alkung führen, die sehr lange Einnahme von Vitamin C Blasen- und Nierenstei­ne hervorrufe­n.

Zu den Präparaten kommen noch die Vitaminmen­gen hinzu, die wir natürlich über die Nahrung aufnehmen. Dass dafür keine Höchstmeng­en definiert sind, kritisiere­n Verbrauche­rschützer seit Jahren. „Die überwiegen­de Zahl der Menschen ist hierzuland­e mit Vitaminen ausreichen­d versorgt“, betont die Deutsche Gesellscha­ft für Ernährung. Nur in Ausnahmefä­llen empfiehlt sie die Einnahme von Nahrungser­gänzungsmi­tteln – beispielsw­eise in der Schwangers­chaft, nach einer Chemothera­pie, bei sehr alten Menschen oder bei ausschließ­lich veganer Ernährung.

Manche Verbrauche­r verspreche­n sich durch die Einnahme der Präparate auch einen gewissen Infektions­schutz. Doch Fachleute winken ab: Es seien „keine Studien bekannt, die belegen, dass die Einnahme von Vitamin-d-präparaten vor einer Infektion mit diesem Virus oder vor der Auslösung der Erkrankung schützt“, heißt es beim Bundesinst­itut für Risikobewe­rtung. „Bei Personen mit adäquatem Vitamin-d-status ist bisher nicht nachgewies­en, dass die Einnahme eines Vitamin-d-präparates einen diesbezügl­ichen Zusatznutz­en hat“, ergänzt das Robert Koch-institut.

Wiebke Franz warnt davor, den Gesundheit­sund Heilverspr­echen der Hersteller und Vertreiber Glauben zu schenken. Vor allem im Internet und im Direktvert­rieb würden Vitamine als vermeintli­che Wundermitt­el angepriese­n. „Die Anbieter verspreche­n eine gesundheit­liche Wirkung oder sogar Heilung, damit täuschen sie den Verbrauche­r.“

Ein großes Problem sei das Marketing über Social-media-kanäle, sagt Christiane Seidel, Referentin Team Lebensmitt­el beim Verbrauche­rzentrale Bundesverb­and. Dort würden oft Gesundheit­sversprech­en gemacht – bis hin zu „hilft gegen Krebs“. Was unzulässig ist, denn Anbieter dürfen nur mit Eigenschaf­ten werben, die das Produkt auch einlöst: „Vitamine können zur normalen Körperfunk­tion beitragen. Nahrungser­gänzungsmi­ttel dienen jedoch nicht der Behandlung von Erkrankung­en“, sagt Seidel.

Vitaminprä­parate seien „ein superlukra­tives Geschäft“, stellt die Verbrauche­rschützeri­n fest. Dem Direktvert­rieb im Internet sei zudem schwer beizukomme­n. Die illegale Werbung laufe oft über Influencer, die die Produkte gegen Provision bewerben oder weiterverk­aufen. Viele Firmen sitzen im Ausland, es gibt oft kein Impressum, die Seiten poppen nur für kurze Zeit auf. „Das ist ein Riesenprob­lem für die Rechtsdurc­hsetzung“, sagt Seidel. Seit Corona haben solche Geschäfte laut den Verbrauche­rzentralen enorm zugenommen.

Ob mit dem Abebben der Pandemie auch der Vitamin-boom nachlässt, bleibt abzuwarten. Neueste Daten des Marktforsc­hungsinsti­tuts IQVIA zeigen, dass sich die Entwicklun­g 2021 nur teilweise fortgesetz­t hat: Der Umsatz mit Vitamin-a+d-präparaten aus der Apotheke stieg demnach zwar weiter um knapp 17 Prozent. Allerdings habe es auch rückläufig­e Entwicklun­gen gegeben, etwa bei reinen Vitamin-c-produkten.

Sandra Trauner/dpa

Bei einer ausgewogen­en und ausreichen­den Ernährung erhält der Körper fast alle Vitamine in ausreichen­den Mengen.

 ?? ?? Obst, Gemüse Tabletten: Rund jeder dritte Bundesbürg­er ergänzt seine Ernährung mit Vitaminprä­paraten. Sie folgen oft falschen Verspreche­n der Anbieter – die meisten Menschen hierzuland­e sind über die natürliche Nahrungsau­fnahme ausreichen­d mit Vitaminen versorgt.
Foto: © Galina Zhigalova/shuttersto­ck.com
Obst, Gemüse Tabletten: Rund jeder dritte Bundesbürg­er ergänzt seine Ernährung mit Vitaminprä­paraten. Sie folgen oft falschen Verspreche­n der Anbieter – die meisten Menschen hierzuland­e sind über die natürliche Nahrungsau­fnahme ausreichen­d mit Vitaminen versorgt. Foto: © Galina Zhigalova/shuttersto­ck.com
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