„Hoch die Tassen!“Frankreich
Die Rückkehr der Unbeschwertheit: Links der Rheins hat man gelernt, mit dem Coronavirus zu leben.
Wie bitte, Corona? Na ja, das Virus zirkuliert noch in Frankreich, aber die Menschen haben andere Sorgen. Den Krieg in der Ukraine etwa und die steigenden Preise vor allem. Ab und an weisen die Medien zwar darauf hin, dass immer noch täglich rund 100 Infizierte der Pandemie zum Opfer fallen und die Gesamtbilanz mit über 146.000 Toten erschreckend hoch ist. Aber zugegeben, da gibt es noch andere Zahlen, die erklären, warum die Zeichen auf Entwarnung stehen.
Die stetig fallende Inzidenz beispielsweise liegt derzeit bei 400, die Impfquote der Bevölkerung bei über 80 Prozent (92 Prozent sogar bei den über 12-Jährigen) und die Krankenhäuser sind mit 1400 Corona-patienten, die auf den Intensivstationen behandelt werden müssen, weit davon entfernt, überlastet zu sein. Längst einkassiert wurden zudem die meisten Einschränkungen und selbst die Maskenpflicht gilt nur noch bei der Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel.
Mit dem Virus leben, so lautet die Devise der Regierung. So wenige Eingriffe wie möglich Hinter vorgehaltener Hand fügen die Verantwortungsträger noch einen weiteren Imperativ an, der das Handeln bestimmt: Die Franzosen, deren Geduld erschöpft ist, so wenig wie möglich zu nerven! Auch wenn Präsident Emmanuel Macron die Bürger anhält, weiterhin Vorsicht walten zu lassen, soll deren Alltag so normal wie möglich verlaufen können.
Und das tut er auch. Die Cafés, Bars und Restaurants sind wieder gut besucht von entspannt wirkenden Bürgern, deren Gesichter keine Maske verdeckt. Letztere ist aus dem Straßenbild allerdings nicht völlig verschwunden, da vor allem ältere Menschen es vorziehen, sie weiterhin zu tragen. Trotzdem feiert jene gewisse Leichtigkeit ihre Rückkehr, die so viel von der Anziehungskraft unseres Nachbarlandes ausmacht. „Nach der Arbeit im Bistro einen Absacker zu trinken, ohne den verflixten Impfpass vorzeigen oder die Abstandsregeln einhalten zu müssen, ist ein Plus an Lebensqualität, dass man gar nicht hoch genug bewerten kann“, sagt der 44-jährige Pariser Anwalt Albert Descombe. Eine Meinung, mit der er alles andere als alleine dasteht.
Selbst die Virologen verbreiten in diesem Mai Zuversicht. Der Sommer, so die meisten Experten, sollte vor dem Hintergrund einer sehr niedrigen Inzidenz sorgenfrei verlaufen. Erst im Herbst drohen möglicherweise wieder ein Ansteigen der Infektionszahlen und neue Virusvarianten. Franzosen über 60 Jahren wird daher empfohlen, sich vorher eine zweite Booster-impfung verabreichen zu lassen.
Nadine F., die am Wochenende in größerem Großer Nachholbedarf
Freundeskreis ihren 22. Geburtstag feierte, wirkt an diesem Montag noch etwas angeschlagen. „Die Nacht war kurz“, erklärt die Studentin und dass das leider viel zu lange nicht mehr vorgekommen sei. „Wir haben alle Nachhohlbedarf “, fügt sie hinzu und freut sich bereits auf die nächste Fete, die am kommenden Samstag geplant ist. Wobei Nadines Gemütslage im Zweifelsfall als typisch gelten kann für Frankreichs jüngere Generationen, die keinen Gedanken mehr an Corona verschwenden wollen. Im Augenblick, so Nadine, sei „Aufatmen und Abfeiern“angesagt.
Zumindest all jene Dinge – vom Kinobesuch über den Gang ins Sportstudio bis zum Wochenendausflug – unbeschwert zu genießen, auf die man monatelang verzichten musste, sorgt derzeit bei fast allen Franzosen für eine aufgekratzte Stimmung. Die Frage, wie lange die Phase der Unbeschwertheit andauern wird, verdrängt man lieber und konzentriert sich stattdessen auf jeden kleinen Glücksgewinn, den die aktuelle Lage ermöglicht.
Die mehr oder weniger bemühte Rückkehr zur Normalität unterstreicht links des Rheins übrigen auch der Umstand, dass die Zahl der Touristen sprunghaft nach oben schnellt. Gerade in Paris, wo sich wieder lange Schlangen vor dem Louvre-museum oder dem Eiffelturm bilden, ist das kaum zu übersehen. Am zurückliegenden Montag ist die Maskenpflicht im öffentlichen Nahverkehr gefallen. Frankreich ist zur großen Erleichterung der Hotelbranche und des Gaststättengewerbes schon seit dem Frühjahr kein Risikogebiet mehr. Natürlich hat sich das herumgesprochen sowie auch, dass mittlerweile nur noch Ungeimpfte bei der Einreise einen negativen Test vorweisen müssen. Und im Infektionsfall vor Ort? Da sollten sich Urlauber laut Behördenempfehlung fünf Tage lang isolieren. Überprüft wird das jedoch bestenfalls stichprobenartig.
Peter Heusch