Eine Frage der Glaubwürdigkeit
Lange Zeit hatte sie sich hartnäckig in Schweigen gehüllt. Als dann klar wurde, dass Nancy Pelosi während ihrer Asienreise als erster „Speaker of the House“seit 1997 doch einen Abstecher nach Taipeh machen wird, herrschte in Washington heillose Verwirrung.
Eindringlich hatte die Regierung von Us-präsident Joe Biden sie aufgefordert, die Zwischenlandung abzublasen. Die Folgen für die angeschlagenen Beziehungen zu China und die nationale Sicherheit könnten verheerend sein, warnten sie. Die mächtige Demokratin ließ sich aber nicht aus der Ruhe bringen. Für Pelosi, die unter immensem Druck steht, geht es nämlich auch um politische Glaubwürdigkeit.
Während ihrer 35 Jahre im Repräsentantenhaus hat sich die Demokratin unermüdlich für Menschenrechte eingesetzt und immer wieder scharfe Kritik an den Verstößen in China geübt: an der Unterdrückung der Uiguren in der Xinjiang-provinz, an der Inhaftierung von Regimegegnern oder am Umgang mit freien Medien.
Sie wollte jetzt ein klares Signal an die Regierung in Taiwan senden, dass man Werte wie Demokratie und Freiheit teile und dass die USA der Inselrepublik auch im Fall eines militärischen Angriffs durch China zur Seite stehen werden.
So gesehen kam ein Verzicht auf den Zwischenstopp in Taiwan schon deswegen nicht infrage,
Joe Bidens Job wird dadurch schwerer.
weil Pelosi damit die Bereitschaft signalisiert hätte, dem Druck seitens eines autoritären Regimes nachzugeben.
Während Pelosi mit dem Aufenthalt in Taiwan selbst das Gesicht wahren konnte, ist sie unterdessen ihrem wichtigsten Parteikollegen, dem Präsidenten, in den Rücken gefallen. Joe Bidens Job ist jetzt deutlich schwerer geworden. Die seit Jahrzehnten geltende „One China“-policy, wonach die USA informellen Beziehungen zu Taiwan pflegen und die von Peking in Anspruch genommene „volle Souveränität“über den Inselstaat dulden, aber nicht anerkennen, gerät ins Wanken. Die Beziehungen könnten auf einem neuen Tiefpunkt angelangt sein, und die Folgen sind schwer abzusehen.