Tettnanger „Hopfen-menschen“
Schon der Ur-ur-opa war Hopfenbauer, jetzt führen Lukas Locher und seine Schwester die Geschäfte. Besuchern vermitteln sie das „grüne Gold“aus dem Bodensee-hinterland als Erlebnis.
Wenn Lukas Locher über Hopfen spricht, ist er voll in seinem Element. Der 36-jährige Hopfenbauer steht auf einem Laufsteg acht Meter über seinen Hopfengärten und lässt den Blick über die grüne Pracht schweifen. Bis zu 30 Zentimeter pro Tag schlängeln sich die Triebe am Gerüst nach oben. „Das ist irre. Selbst wir finden das immer wieder unglaublich“, schwärmt Locher, der sich gleichermaßen als Landwirt und Bildungsarbeiter begreift, oder kurz gesagt als „Hopfen-mensch“.
Vor sieben Jahren hat der Agrarwissenschaftler zusammen
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LAND UND LEUTE
mit seiner Schwester Charlotte Müller das Hopfengut der Eltern übernommen und es in eine Erlebniswelt rund um den unverzichtbaren Rohstoff für Bier verwandelt. Ihr „Hopfengut No20“umfasst Hopfenanbau, eine Spezialitätenbrauerei, ein Hopfenmuseum, eine Gastronomie und einen Laden – volles Programm also für die beiden Jungunternehmer, die von knapp 20 Festangestellten unterstützt werden. Von einem Start-up kann indes keine Rede sein. „Wir sind eine Tettnanger Ur-hopfenpflanzerfamilie“, sagt Locher. Angefangen hat sein Ur-ur-großvater, er und seine Schwester bilden die fünfte Generation.
Während Charlotte Müller die Gastronomie leitet, hat es sich Locher neben dem Anbau zur Aufgabe gemacht, „die Leute für das
Thema zu packen“. Die meisten Besucher beschäftigen sich zum ersten Mal mit Hopfen, „viele denken, dass in Tettnang die Bohnen hochwachsen“. Wer dann aber mal am Hopfen riecht oder sich gar mutig eine Dolde in den Mund steckt, spürt sofort, was im „Humulus lupus“so alles steckt. „Hopfen ist ein hochintensiver Stoff, wie ein Gewürz“, erklärt Locher. Deshalb benötigt man davon auch nur kleine Mengen, um Bier bitter und aromatisch zu machen. Die grobe Faustregel: 100 Gramm Hopfen für 100 Liter Bier.
In Tettnang wird seit fast 180 Jahren Hopfen angebaut. Das milde Bodenseeklima mit vergleichsweise viel Niederschlag in der Wachstumsphase und die tiefgründigen Böden eignen sich dafür besonders gut. Heute produzieren nach Angaben des Hopfenpflanzerverbands Tettnang 124 Betriebe auf einer Gesamtfläche von rund 1500 Hektar das grüne Gold und liefern es an Bierhersteller in aller Welt. Die feinwürzige Sorte „Tettnanger“, die vor allem für Pilsbiere verwendet wird, macht dabei rund 60 Prozent aus. Das Hopfengut No20 kommt auf einer Fläche von 45 Hektar auf 50 000 bis 80 000 Kilo pro Ernte und baut zehn verschiedene Sorten an – den klassischen „Tettnanger“, aber auch exotischere Sorten wie „Mandarina“oder „Callista“für Biere wie Pale Ale oder India Pale Ale (IPA).
Derzeit befindet sich das Gut im dreijährigen Umstellungsprozess auf Bio-anbau, im kommenden Jahr will Locher die erste Bio-ernte einfahren – ein gewagter Schritt, denn im Bierbereich macht Bio Schätzungen zufolge weniger als ein Prozent aus. Die Umstellung mache „richtig viel Arbeit“, etwa wenn im Frühsommer der untere Meter des Hopfens händisch von Laub befreit wird, um Pflanzenkrankheiten vorzubeugen. „Das kann böse Kratzer machen“, spricht der 36-Jährige aus Erfahrung.
Aber auch sonst ist Hopfen vor allem viel Handarbeit. „Für einen Hektar Getreide benötigt man knapp zehn Stunden, für einen Hektar Hopfen rund 250 Stunden“, so der Hopfenbauer. Nur etwa 20 Prozent der Arbeit werde von Agrarmaschinen erledigt, alles andere großenteils von Hand: Erst wird der mehrjährige Hopfen, der bis zu 70 Jahre alt werden kann, radikal zurückgeschnitten, danach muss für jede einzelne Pflanze ein Draht am Gerüst aufgehängt und im Boden verankert werden – alles in allem 150 000. Der Hopfen wird dann per Hand an den Draht „angewiesen“und legt bis Ende Juni rund sieben Meter zurück. Die Dolden entstehen erst, wenn die Tage wieder kürzer werden und die Pflanzen Seitentriebe bilden. Diese bilden Blüten, die sich dann zu den Dolden weiterentwickeln.
Das darin enthaltene „Lupulin“ist der Stoff der Träume eines jeden Hopfenbauers. „In dem Harz steckt alles drin, was man für Bier braucht.“
Richtig spannend, auch für Besucher, wird es ab Ende August in der mehrwöchigen Erntezeit. Von 6 Uhr morgens bis in die Nacht hinein rattert dann die raumgroße Maschine, in der die Dolden von den Hopfenranken getrennt werden. Sie kommen danach zum Trocknen in die Hopfendarre, werden schließlich in
Säcke gepackt, gepresst und versiegelt. Wer in dieser Zeit eine Führung macht, bekommt das Spektakel live mit. „Da ist richtig was los“, sagt Locher.
Der Landwirt stellt inzwischen in Zusammenarbeit mit der Tettnanger Kronenbrauerei eigene „Spezialitätenbiere“aus seinem Hopfen her – jährlich rund 30 000 Liter für Events, Bierproben, Online-vertrieb, Laden und Gaststätte. Die Kreationen sind bewusst hopfenlastig, darunter ein Black Ale mit den Sorten „Tettnanger“sowie „Mandarin“und sieben verschiedenen Malzsorten, das ähnlich wie Bockbier 17,6 Prozent Stammwürze hat. Besonders angetan hat es Locher die Hopfensorte „Hüll Melon“, die den Geruch reifer Früchte verströmt. „Die wenigsten wissen, dass Hopfen Fruchtaromen haben kann. Für einen Brauer ist das superspannend, aber man braucht auch Konsumenten, die experimentierfreudig sind.“
Wer sich für die Historie der Hopfenproduktion interessiert, ist im Museum auf dem Dachboden des Hofs gut aufgehoben. Es wurde einst von Lochers Mutter eingerichtet und bietet viele Informationen zum Anbau, aber auch zur gesellschaftlichen Bedeutung des Hopfens in der Region. Noch bis in die 1950er Jahre hinein galt die Tettnanger Hopfenernte als Süddeutscher Heiratsmarkt, auf dem manch weibliche Erntehelferin aus der Ferne einen ortsansässigen Junggesellen fand. Die Thematik fand 1956 sogar Eingang in einen Heimatfilm: Drehort von „Heiße Ernte“war das Fachwerkhaus des heutigen Hopfenguts No20.