Wotans Fall und Abschied
Das Rätselraten über die Regietaten von Valentin Schwarz geht weiter. Ein kaputter Sessel in der „Walküre“aber ist echt.
Eigentlich hat Wotan, der Pate dieses unheilvollen Familienclans, sich ja mit großer krimineller Energie ein protziges Anwesen namens Walhall bauen lassen. Aber vielleicht sparte er an der Einrichtung, am Mobiliar. Jedenfalls kracht plötzlich ein Sessel, in den er sich im Atrium seines Hauses lässig fallen lässt, böse auseinander. Ein Knall, eine Schrecksekunde, Wotan am Boden. Dann rappelt er sich verstört wieder auf. Und Hunding (Georg Zeppenfeld) entsorgt später die gebrochene Rückenlehne. Ein weiterer Hinweis auf das Ende der Götter, in der „Walküre“?
In diesem neuen „Ring des Nibelungen“von Valentin Schwarz muss man mit allem rechnen, mit ungeahnten psychologischen Verästelungen im Figurenpersonal und auch netten Gags – aber diese Szene war echt, real. Ein Unfall. Tomasz Konieczny sang mit kühl-knorrigem Bariton den 2. Akt tapfer durch, dann aber trat Hubertus Herrmann, der Pressesprecher der Bayreuther Festspiele, vor das Publikum und teilte mit, dass der Pole nicht mehr in der Lage sei, weiter aufzutreten. Ein Aufstöhnen in den Zuschauerreihen. Doch Ersatz stand parat: Als erstklassiger Einspringer mit gediegener Stimme avancierte Michael Kupfer-radecky zum bejubelten Retter des Abends.
Sieglindes Schwangerschaft
Die Wagnerianer hatten sich kaum vom verwirrend kinderreichen „Rheingold“erholt, schon durften sie in der „Walküre“über die Schwangerschaft von Sieglinde rätseln. Siegmund jedenfalls, ihr Zwillingsbruder, kann es diesmal nicht sein. Der kommt jetzt erst auf der Flucht in Hundings Hütte, um laut Libretto, inzestuös geliebt von Sieglinde im milden Lichte des leuchtenden Lenz, Siegfried zu zeugen, den furchtlosen Hoffnungsträger Wotans. In Wagners Vierteiler geht es um Liebe, Macht, Verrat, das Schicksal der Welt – aber Regisseur Schwarz zeigt eine furchtbar verkommene Familie.
Wer ist nun der Vater von Sieglindes Kind? Der harmlose Ehemann Hunding? Etwa Wotan, damit Vater und Großvater zugleich? Das würde einen nicht wundern, jedenfalls geht der Gott einmal der schlafenden Sieglinde an die Wäsche. Man darf sich also Gedanken machen – und hofft, wie in einer Tv-serie, auf Erklärungen in der nächsten Folge. Oder scannt im Programmbuch einen Qr-code ab, um dann, vorgetragen von der Schauspielerin Martina Gedeck, die Geschichte der „Walküre“in der Lesart des Regisseurs zu hören. Dafür allerdings pilgert das Publikum aus aller Welt nicht nach Bayreuth.
Was noch so alles passiert in dieser „Walküre“und nicht im Buche steht? Siegmund wird von Wotan natürlich mit einem Revolver erschossen, Hunding überlebt. Und im Hause Wotans findet anfangs eine Trauerfeier für Freia statt, die von ihm fast an die Riesen verscherbelte Schwägerin. Freia, die Göttin der ewigen Jugend, tot? Selbstmord? Mit starken Bildern punktet die Regie, die sich aber weiterhin jeder Logik entzieht. Konfus das „Hojotoho“: Die acht schrill aufgebrezelten Walküren, eigentlich zuständig für die gefallenen Helden der Wotan-armee, kurieren sich grade selbst in einer Schönheitsklinik.
Sinnliches Finale
Dann aber fährt Valentin Schwarz allen Schnickschnack weg, die Teile der modernen Wohnraum-kulisse von Andrea Cozzi: für das Abschiedsdrama des völlig verzweifelten Wotan mit einer betörend sinnichen Musik. Seine geliebte „Wunschmaid“Brünnhilde, die er bestrafen müsste, weil sie Sieglinde geschützt hat, geht einfach zur Tür hinaus, begleitet von einem Mann (soll es Fafner sein?). Kein Feuerzauber, nichts. Gattin Fricka (diesmal überzeugend: Christa Mayer) hat gesiegt, sie möchte versöhnlich mit Wotan anstoßen. Der aber schüttet das Glas aus. Er hat verloren, auf ganzer Linie.
Ein Buhsturm. Endlich sorgt die Regie für berührende Momente – aber der szenische Minimalismus befriedigt einen Großteil des Publikum auch wieder nicht. Das Ensemble jedoch: gefeiert. Allen voran Lise Davidsen als Sieglinde mit einem äußerst voluminösen, auftrumpfenden Sopran, auch leidenschaftsvollen Klangfarben. Und Klaus Florian Vogt als Siegmund mit seinem nach wie vor jünglingshaften Goldkelchen-tenor. Iréne Theorin sang die Brünnhilde eher hochdramatisch-schlingernd.
Cornelius Meister hat nach zwei Abenden schon einen Vorsprung von 25 Minuten etwa auf den Thielemann-„ring“im Jahre 2006 herausdirigiert. Der Stuttgarter Generalmusikdirektor nimmt ein straffes Tempo – was erstaunlicherweise kaum auffällt, weil er auch sehr lyrisch die Passagen auskostet. Die „Walküre“mit einem nicht perfekten Festspielorchester geriet nun kompakter als das „Rheingold“, wirkungsvoller. Die „Winterstürme“kamen noch eher lau daher, aber im Finale, auch im Feuerzauber ohne Feuer, klang das alles mit Nachdruck wunderbar. Spannend, was dieser neue Bayreuther „Ring“noch so alles bieten wird – Tomasz Konieczny befindet sich zumindest auf dem Weg der Besserung, er kann am Mittwoch den Wanderer in „Siegfried“singen.