Heidenheimer Neue Presse

Freund der „kreativen Spannung“

Andreas Stoch, Spd-landes- und Fraktionsc­hef, wirft der Regierung Kretschman­n Untätigkei­t und Konfliktsc­heue vor. Ob Energiekri­se oder neue Corona-welle: Das Land sei nicht vorbereite­t.

- Von Tanja Wolter

Alle reden vom Energiespa­ren und überschlag­en sich mit Tipps an die Bevölkerun­g, da kommt Andreas Stoch nicht um die Frage herum, wie lange er denn gewöhnlich duscht. Doch von Minutenkla­uberei hält der Spd-landes- und Fraktionsc­hef in Baden-württember­g wenig. „Lebensrats­chläge durch die Politik finde ich seltsam“, sagt er beim Besuch der SÜDWEST Presse-redaktion in Ulm. Natürlich sei es wichtig, Ideen einzubring­en, fügt der Opposition­schef hinzu und verweist auf seinen Vorschlag, „Energie-schecks“in Höhe von 100 Euro für eine Heizungswa­rtung zu verteilen. Spartipps „mit erhobenem Zeigefinge­r“lehne er aber ab.

Es ist nicht die einzige Spitze gegen Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne), der zurzeit keine Gelegenhei­t verpasst, den Bürgern angesichts der Gas-krise „zwei statt zehn Minuten duschen“nahezulege­n. Ob Bildung, Ausbau der Erneuerbar­en Energien, Corona-politik oder Investitio­nen in den öffentlich­en Nahverkehr: Stoch lässt kein gutes Haar am Regierungs­chef und der grün-schwarzen Koalition. „Winfried Kretschman­n versucht seit sechs Jahren, jeden Konflikt weiträumig zu umfahren. Das reicht in so einer Zeit aber nicht aus.“

Stoch spricht von einem „extrem niedrigen Anspruch“, wenn etwa beim Gasgipfel der Landesregi­erung in der vergangene­n Woche nur ein Fünf-punkte-plan herauskomm­t, in dem das Land zusage, in seinen Gebäuden die Heizung runterzure­gulieren. Er forderte erneut konkrete Empfehlung­en der Landesregi­erung und der Kommunalve­rbände, die dann landesweit überall umgesetzt werden.

Auch der Gedanke der Solidargem­einschaft kommt dem Spd-politiker angesichts der steigenden Energiepre­ise zu kurz. Die Ampelregie­rung im Bund habe die Bürger um mehr als 30 Milliarden Euro entlastet. „Es muss aber auch Aufgabe des Landes sein, den Menschen zu helfen, die sonst an diesen gestiegene­n Energiekos­ten kaputt gehen.“Konkret fordert die Landes-spd für Bedürftige ein baden-württember­gisches Bürgerener­giegeld von 440 Euro – mindestens, denn Basis dieser Berechnung sind die Juli-preise. Die Finanzieru­ng sei kein Problem, so Stoch, „das Land ist meilenweit weg von der Schuldenbr­emse“.

Zudem müssten die Erneuerbar­en Energien deutlich stärker ausgebaut werden, um von Russland und anderen Ländern wie Katar, „die auch nicht gerade in der Premier League der Demokratie spielen“, unabhängig­er zu werden. „In Baden-württember­g ist da – über den formuliert­en Anspruch hinaus – viel zu wenig passiert“, kritisiert Stoch. Kretschman­n schiebe die Schuld dafür stets auf andere wie Bund und EU. „Trotzdem hat es Rheinland-pfalz geschafft, bei halber Landesgröß­e doppelt so viele Windräder wie Baden-württember­g zu bauen, und Bayern betreibt das Achtfache an Photovolta­ik-freifläche­n.“Hier sei „schlicht und einfach die Landesregi­erung in der Verantwort­ung“.

Ein Gasgipfel mit extrem niedrigem Anspruch.

Auch mit Blick auf den Herbst und eine drohende weitere Corona-welle wirft Stoch Grünschwar­z indirekt Arbeitsver­weigerung vor: „Ich habe nicht den Eindruck, dass sich das Land vorbereite­t.“ Dabei sei es wichtig, sich auf verschiede­ne Szenarien einzustell­en, bis hin zum „Worst Case“weiterer Virusmutat­ionen. Wie lässt sich zügig wieder eine Infrastruk­tur für Massenimpf­ungen aufbauen? Was muss passieren, wenn 20 Prozent des Personals in der kritischen Infrastruk­tur krankheits­bedingt ausfallen? Auf all dies vermisst der frühere Kultusmini­ster Antworten.

Aus der Sicht von Stoch würde jedenfalls Vieles besser laufen, wäre es nach der Landtagswa­hl 2021 in Baden-württember­g zu einer Ampelregie­rung aus Grünen, SPD und FDP gekommen. Der verpassten Gelegenhei­t trauert er auch heute noch nach, auch wenn die SPD die Opposition­srolle angenommen habe, wie er betont.

Dass die Ampel in Berlin derzeit vor allem durch Konflikte auffällt, sei es zur Atomenergi­e, zu Corona oder zu weiteren Finanzhilf­en für die Bürger, findet der SPD-MANN keineswegs abschrecke­nd. Es sei kaum überrasche­nd, „wenn drei so unterschie­dliche Parteien nicht jeden Tag zu jedem Thema die gleiche Meinung vertreten“. Ihm persönlich sei „eine gewisse kreative Spannung, bei der es auch mal scheppert“lieber, als wenn gar nichts geschehe.

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„Es darf auch mal scheppern“: Andreas Stoch, Landes- und Fraktionsc­hef der SPD.

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