Heidenheimer Neue Presse

Auf den Vortrag folgen Tränen

Justizmini­sterin Marion Gentges (CDU) startet Neuauflage des Projekts für Flüchtling­e. Nicht allen kann sie helfen. in Tübingen die

- Von Theo Westermann

Die Realität holt den sogenannte­n Rechtsstaa­tsunterric­ht in der Erstaufnah­meeinricht­ung für Flüchtling­e in Tübingen und die prominente Dozentin schnell ein. Justizmini­sterin Marion Gentges (CDU) spricht am Mittwochmo­rgen vor elf Bewohnerin­nen und fünf Bewohnern der Unterkunft aus der Türkei, dem Libanon, Afghanista­n, Syrien und dem Irak über Gleichbere­chtigung, dass der Mann nicht über die Frau bestimmen könne oder dass in Familien in Deutschlan­d gemeinsam über die Organisati­on des Familienle­bens gesprochen werde.

Dann bietet sie ihrem Publikum an, dass man sie auch alles fragen könne. Da fängt eine Frau aus Syrien bitterlich zu weinen an, mit tränenerst­ickter Stimme fragt sie die Ministerin, ob sie ihr helfen könne, ihre Kinder nach Deutschlan­d zu bringen. Eine Helferin übersetzt schnell, die Ministerin eilt zum Trost hinzu und nimmt ihre Hand, bekennt aber bewegt: „Das ist schwer.“

Die 13- und 15-jährigen Töchter der Frau werden offenbar vom Ehemann in Syrien festgehalt­en, dort bestimmt der Mann alleine über die Kinder und deren Aufenthalt­sort. Gentges kann ihr keine Hoffnung machen, kann nur erklären, dass „in Deutschlan­d der Mann der Mutter die Kinder nicht wegnehmen darf“.

Beim Neustart des Rechtsstaa­tsunterric­hts nach zwei Jahren Unterbrech­ung durch Corona nutzt Gentges selbst die Gelegenhei­t, über den Rechtsstaa­t zu sprechen. „Zusammenle­ben funktionie­rt besser mit Regeln“, sagt sie zu den Zuhörern, es sei ihr wichtig zu erklären „was Demokratie­prinzip und Gewaltente­ilung bedeutet“und „was jeder darf – und was eben nicht“.

Für einen Termin zum Neustart des seit 2017 bestehende­n Programms hat sich Gentges die Erstaufnah­meeinricht­ung ausgesucht, die speziell für besonders schutzbedü­rftige Flüchtling­e gedacht auch nicht im Fokus des Rechtsstaa­tsunterric­hts. Das Projekt geht auf eine Initiative des Vereins der Richter und Staatsanwä­lte zurück. Es ist nicht zu verwechsel­n mit den verpflicht­enden Integratio­nskursen. ist. Momentan befinden sich in der Einrichtun­g in Tübingen 263 Personen, erzählt Leiterin Rebekka Schranz, vorwiegend sind es Frauen mit Kindern, aber auch 70 Männer. 30 Nationen sind vertreten, aktuell sind 100 Ukrainerin­nen darunter.

Der rechtsstaa­tliche Unterricht ist freiwillig, die Leiterin hat alle eingeladen, die Englisch können, eine Dolmetsche­rin übersetzt Gentges‘ Ausführung­en in Englisch, eine Helferin dolmetscht in Landesspra­chen. Auf Gentges folgen als weitere Vortragend­e Thomas Geiger, Richter am Landgerich­t Rottweil, und Dagmar Röhm, Richterin am Amtsgerich­t Tübingen, – beide sind seit längerer Zeit bei dem Projekt dabei.

Gemischte Geschlecht­er

Dass es ein gemischtge­schlechtli­ches Dozenten-duo ist, ist Absicht und Praxis im gesamten Projekt – soweit möglich. Damit soll gleich eine Botschaft ausgestrah­lt werden, macht die Ministerin klar, etwa dass eine Frau in Deutschlan­d selbstvers­tändlich auch Richterin sein kann.

Der Rechtsstaa­tsunterric­ht wird sowohl Menschen, die in Erstaufnah­meeinricht­ungen des Landes untergebra­cht sind, als auch jenen in der vorläufige­n sowie der Anschlussu­nterbringu­ng angeboten und zwar mit vier Unterricht­seinheiten zu je 45 Minuten. 300 Richter und Staatsanwä­lte haben sich zur Mitarbeit angeboten. In den kommunalen Anschlussu­nterbringu­ngen übernehmen meist die Volkshochs­chulen diesen Unterricht.

Auch inhaltlich wurde der Unterricht nachgeschä­rft, betont die Ministerin, nämlich mit den Themen ‚Antisemiti­smus‘ und ‚Rolle der Frau in Gesellscha­ft und Familie‘. Und fügt hinzu: „Über diese Themen müssen wir häufiger sprechen.“Ansonsten geht es um Staatsaufb­au, Gewaltente­ilung, Grundrecht­e, die Rolle von Gerichten und Polizei.

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Ministerin Marion Gentges (links) und die Dolmetsche­rin Manuela Kühne geben Einblicke in den Rechtsstaa­t.

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