Heidenheimer Neue Presse

Die Evolution einer Revolution

Wie Piet zu Mondrian wurde: Eine große Retrospekt­ive in Riehen zeigt anhand des Frühwerks des Niederländ­ers dessen – nicht immer geradlinig­en – Weg in die Abstraktio­n.

- Von Marcus Golling

Piet und Mondrian waren zwar ein und dieselbe Person, aber nicht zur selben Zeit. Der Mann, der mit seinen strengen Kompositio­nen aus schwarzen Linien und blauen, roten und gelben Flächen zu einem Revolution­är der Kunst wurde, kam 1872 in der niederländ­ischen Provinzsta­dt Amersfoort als Pieter Cornelis Mondriaan auf die Welt. Bis er Mitte der 1910er-jahre das zweite „a“in seinem Nachnamen opferte und das Werk schuf, für das er heute berühmt ist, musste er eine Entwicklun­g durchlaufe­n, welche die Fondation Beyeler in Riehen bei Basel in einer außergewöh­nlichen Ausstellun­g nachzeichn­et: „Mondrian Evolution“(bis 9. Oktober).

Die Stiftung verfügt selbst über einen beeindruck­enden Bestand von Mondrian-gemälden aus seiner „neoplastis­chen“Phase und hat diesen mit zahlreiche­n internatio­nalen Leihgaben ergänzt. So können die Besucherin­nen und Besucher nun anhand von 89 Exponaten selbst die unglaublic­he Evolution vom Landschaft­smaler zum Vater der Konkreten Kunst verfolgen. Das Spannende daran ist, dass sich manches, was Mondrian später auszeichne­te, schon früh andeutete, aber eben keine lineare Entwicklun­g zu erkennen ist – Evolution, nicht Vervollkom­mnung. Das macht die Retrospekt­ive, die im Anschluss (ab 29. Oktober) auch im Düsseldorf­er K20 gezeigt wird, zu einer Schule des Sehens: Auch Mondriaan war schon ein bemerkensw­erter Künstler, nicht nur die Vorgeschic­hte von Mondrian.

Bauernhöfe und Windmühlen

Am Anfang der Evolutions­geschichte stehen überwiegen­d kleinforma­tige Bilder, die der junge Maler nach seinem Studium an der Reichsakad­emie in Amsterdam schuf: sehr niederländ­ische Ansichten von wasserreic­hen Landschaft­en, kleinen Bauernhöfe­n und natürlich Windmühlen, die en detail aber bereits die Lust an ungewöhnli­chen Verhältnis­sen und flächiger Malweise offenbaren. Beim „Kleinen Wassergrab­en beim Bauernhof Landzicht“(um 1900) ist vom Himmel nur noch ein fingerbrei­ter Streifen geblieben, beim „Bauernhaus mit Wäsche auf der Leine“(um 1897) sind die Wäschestüc­ke nur weiße Flecken im Vordergrun­d.

Was sich auch schon früh andeutet, ist Mondria(a)ns Hinwendung zu einem so reduzierte­n wie radikalen Kolorit: Der „Wald bei Oele“(1908), eine bereits ziemlich meisterlic­he Kompositio­n aus vertikalen und horizontal­en Pinselstri­chen, ist gelb, rot, braun und vor allem sehr blau, das Grün lässt der Künstler hingegen weg. Ähnlich die 1910er Fassung des „Leuchtturm­s bei Westkapell­e“, der die Kuratoren eine „Kompositio­n in Blau und Weiss“aus dem Jahr 1936 zur Seite stellen.

Das verführt natürlich dazu, eine direkte Linie zu ziehen. Ganz falsch wäre es nicht: Mondrian erklärt in seinem Aufsatz „Natürliche und abstrakte Realität“(1919/20), dass die Abwendung von der Tiefe zugunsten der Fläche und die Hinwendung zum rechten Winkel als radikalste Relation der Linien kein Bruch mit der Kunst der Alten Meister seien, sondern deren Weiterführ­ung – die ultimative Steigerung der Wirkung.

Bis zu dieser Erkenntnis brauchte der Mondriaan der Leuchttürm­e und Windmühlen aber noch ein paar Jahre, wobei der Blick des Künstlers nach

Frankreich ging: Zunächst beeinfluss­t von Neo-/post-impression­ismus und Fauvismus, von Cézanne und Matisse, wandte er sich dem Kubismus zu: Was die künstleris­che Originalit­ät angeht eher eine Seitwärts- als eine Vorwärtsbe­wegung (die gräulich-bräunliche Palette ist nicht gerade kühn), aber dennoch ein wichtiger Schritt in der „Mondrian Evolution“: Zeichnunge­n wie „Pier und Ozean 4“(1914) gehen weit in der Abstraktio­n, manches in dieser Phase heißt schon Kompositio­n. Doch parallel dazu malt Mondrian auch noch Windmühlen und Bauernhöfe: wohl ein Zugeständn­is an den Markt.

1917 ist der Mittvierzi­ger einer der Mitbegründ­er der Künstlerun­d Designerve­reinigung De Stijl, in etwa gleichzeit­ig beginnt er, mit strengen Winkeln, rechteckig­en Farbfläche­n und rhythmisch­en Rastern zu arbeiten, um 1920 hat er das ästhetisch­e Vokabular seines „Neoplastiz­ismus“bereits weitgehend ausformuli­ert, bis zu seinem Tod 1944 in New York steigert er dessen Wirkung aber weiter. Das Ende der „Mondrian Evolution“, aber eine Revolution, von der die Kunst noch heute zehrt: Mondrians Kunst steht in ihrer Radikalitä­t fast außerhalb der Zeit.

 ?? Fotos: Kunstmuseu­m Den Haag (2), Robert Bayer ?? Zweimal Mondriaan, einmal Mondrian: „Wald bei Oele“(1908, oben), „Blühender Apfelbaum“(1921, links) und „Kompositio­n mit Geld und Blau“(1932, rechts)
Fotos: Kunstmuseu­m Den Haag (2), Robert Bayer Zweimal Mondriaan, einmal Mondrian: „Wald bei Oele“(1908, oben), „Blühender Apfelbaum“(1921, links) und „Kompositio­n mit Geld und Blau“(1932, rechts)
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