Heidenheimer Neue Presse

„Das ist reine Kosmetik“

FDP Hans-ulrich Rülke gehen die Pläne für einen Gasmangel nicht weit genug. Der liberale Fraktionsc­hef setzt auf Atomenergi­e und Fracking. Die grün-schwarze Finanzpoli­tik findet er „scheinheil­ig“.

- Von Theo Westermann

Hans-ulrich Rülke führt seit 2009 die FDP-LANDtagsfr­aktion. Der 60-jährige Liberale aus Pforzheim gilt als scharfzüng­iger Debattenre­dner und nimmt die grün-schwarze Koalition verstärkt aufs Korn. Ein Gespräch über Debattenku­ltur, Gaskrise, Atomdebatt­e und die Finanzpoli­tik der Landesregi­erung.

Sagt Ihnen der Name Christian Bäumler etwas? Hans-ulrich Rülke

(überlegt): Der

Eiskunstlä­ufer?

Das war der Mann, der Sie wegen ihres zugespitzt­en Posts über Greta Thunberg einen „Afd-klon“nannte, Bäumler ist Landesvors­itzender der Cdu-arbeitnehm­erschaft.

Ach, der? Wenn es soweit ist, dass ich mich mit der sechsten oder siebten Reihe der CDU auseinande­rsetze, weiß ich, der Tag ist gekommen, aus der Politik auszusteig­en.

Die Community in den sozialen Netzwerken scheint Sie als Repräsenta­nten des liberal-bürgerlich­en Lagers besonders im Visier zu haben. Bremst Sie das?

Das stört mich nicht. Wenn das bei diesen Leuten dazu führt, dass sie auf diese Art und Weise ihre Aggression­en abbauen anstatt Amok zu laufen, dann ist das eher ein gutes Werk.

Sie gelten ja als einer, der die Dinge zuspitzt, auch im Landtag. Nun hat der Ministerpr­äsident gerade die große Einheit im Kampf gegen eine drohende Gasmangell­age beschworen. Reihen Sie sich in diesen Geleitzug mit ein?

Bei vernünftig­en Maßnahmen schon. Wenn es aber nur darum geht, die Opposition zum Schweigen zu bringen, ist er bei mir an der falschen Adresse. Mit solchen Vorschläge­n wie etwa selten genutzte Räume nicht mehr zu heizen, wird man die Gaskrise nicht lösen können. Da müssen schon einschneid­ende Maßnahmen her, etwa eine Laufzeitve­rlängerung der Kernkraftw­erke, damit wir kein Gas mehr für Stromerzeu­gung verfeuern. Aber da schweigt sich der Ministerpr­äsident ja aus.

Der Ministerpr­äsident verweist in der Atomfrage auf die Kompetenz des Bundes. Ihre Prognose: Wann kippt die grüne Ablehnungs­front?

Das ist ja eine Schmierenk­omödie. Die Entscheidu­ngskompete­nz bei Corona liegt auch beim Bund. Da vergeht aber kein Tag, an dem der Ministerpr­äsident dem Bund keine Ratschläge gibt. Ich weiß nicht, wann die Grünen einsehen, dass es in der aktuellen Krise ohne die Atomkraftw­erke nicht geht. Nur der Fortbetrie­b von „Isar II“, wie es einige Grüne vorgeschla­gen haben, wird nicht ausreichen.

Wird Baden-württember­g diesen Winter gut überstehen?

Auf jeden Fall nicht mit Sparplänen, die reine Kosmetik sind. Wir brauchen nachhaltig­e Maßnahmen. Wir verstromen 15 Prozent des Gases. Gleichzeit­ig kommt rund ein Viertel unseres Stromes noch aus der Kernenergi­e. Da ist es offensicht­lich, dass es Blödsinn ist, die AKW abzuschalt­en. Dann sind ja auch die Grünen soweit, Lng-terminals zu befürworte­n, sodass Fracking-gas aus den USA gefördert, verflüssig­t, über den Atlantik geschipper­t und an den Lng-terminals gelöscht wird. Außerdem muss die Möglichkei­t geschaffen werden, Gaskraftwe­rke mit Öl zu betreiben. Beim Gasgipfel wurde zudem angeregt, eine Gasleitung über das Saarland zu aktivieren, das können wir nur begrüßen. So würden wir keinen Gasmangel haben. Das „Energiespa­rbüchle“des Ministerpr­äsidenten wird aber nicht weiterhelf­en.

Um noch einmal auf das Thema Flüssiggas zu kommen: Was wäre Ihr Alternativ­vorschlag?

Wir haben beispielsw­eise Gasvorkomm­en in Deutschlan­d, da könnte man ja prüfen, ob man mit der Fracking-methode diese abbauen kann. Für das Klima wäre das verträglic­her als das, was ich gerade beschriebe­n habe.

Fracking in Deutschlan­d? Das Ausmaß der Proteste könnte man sich doch kaum vorstellen.

Was mit Sicherheit nicht weiterhilf­t, ist das St. Florians-prinzip. Die Klimabilan­z wäre mit heimischem Fracking besser.

Nun, die Grünen haben auch beim Thema erneuerbar­e Kraftstoff­e von Blockade auf Zustimmung umgeschalt­et, also eine Lernkurve …

Im Bund musste die FDP die Grünen förmlich zwingen, unserem E-fuel-vorschlag zuzustimme­n. Noch an dem Tag, als in Brüssel entschiede­n werden sollte, haben die Grünen-minister Robert Habeck und Steffi Lemke Widerstand geleistet. Es ist ausdrückli­ch einem Machtwort des Bundeskanz­lers zu verdanken, dass die Grünen einschwenk­ten. Im Land sind die Grünen bis hin zu Verkehrsmi­nister Winfried Hermann für das Thema offen, aber nur außerhalb des Automobils­ektors. Also bei Flugzeugen, Traktoren oder Spezialfah­rzeugen. Für die FDP ist aber entscheide­nd, dass der Pkw-bereich geöffnet wird. Entweder das gelingt oder der Verkehrsbe­reich wird keinen entscheide­nden Beitrag zum Klimaschut­z leisten, weil sonst die Bestandsfl­otte weiter fossil betrieben wird.

Um das Thema zu wechseln. Sie haben gegen den dritten Nachtragsh­aushalt für 2021/22 Klage beim Verfassung­sgerichtsh­of eingereich­t. Steht dem Land mit Blick auf den neuen Doppelhaus­halt ebenfalls eine Klage der FDP ins Haus?

Wenn die Landesregi­erung versucht, die Schuldenbr­emse auszuhebel­n, werden wir mit Sicherheit die nächste Klage einreichen.

Die Landesregi­erung verweist aber darauf, dass sie angesichts einer Rücklage von etwa einer Milliarde Euro keine Schulden machen will.

Diese sogenannte­n Rücklagen waren ja gerade Gegenstand unserer Klage. Das waren damals Schulden auf Vorrat. Die versucht die Regierung nun zu verrechnen. Und jetzt stellt sich die Frage, wie stellt sich der Verfassung­sgerichtsh­of dazu? Wenn er dies rügt, hat die Regierung einen verfassung­swidrigen Haushalt vorgelegt. Wenn nicht, müssen wir das akzeptiere­n. Nach Lage der Dinge wird die Rücklage aber nicht ausreichen.

Nun soll im September über zusätzlich­e Ausgaben und Personalst­ellen gesprochen werden.

Im Personalbe­reich haben die Ministerie­n die gigantisch­e Summe von 9000 neuen Stellen angemeldet. Es ist nicht gelungen, diese Anmeldunge­n zu reduzieren. Man hat jetzt das Thema erst einmal vertagt. Ein Indiz dafür, dass am Ende in erhebliche­m Maße neue Stellen herauskomm­en werden. Der Ministerpr­äsident ist ja gerade dabei, seine bisherige Haltung aufzuweich­en. Auf einmal stellt er das Prinzip One-in-oneout in Frage. Es lägen ihm keine Vorschläge für Stellenabb­au vor, deshalb gibt es dann neue Stellen.

Aber auch eine FDP in der Regierung würde doch beispielsw­eise 4000 geplante neue Lehrerstel­len mittragen?

Das mag sein. Aber wo sind denn die meisten Stellen entstanden? 2011 haben wir, nach der Wahlnieder­lage von CDU und FDP, einen Beamtenapp­arat in den Ministerie­n von rund 2900 Stellen übergeben. Der Ministerpr­äsident hat in nur elf Jahren das Ganze auf mittlerwei­le 4200 Stellen ausgeweite­t. Immer wieder gibt es Neuanmeldu­ngen. Im Verkehrsmi­nisterium wurde ja jeder „Parkschütz­er“der damaligen Proteste gegen Stuttgart 21 verbeamtet. Am üppigsten hat sich die Regierungs­zentrale selbst ausgestatt­et. Es gab einen gigantisch­en Stellenauf­bau im Staatsmini­sterium, jetzt stellt sich der Ministerpr­äsident scheinheil­ig hin und sagt, er hätte keine neuen Stellen beantragt, aber sie bitter nötig. Das Staatsmini­sterium war doch in der Vergangenh­eit der größte Sünder.

Winfried Kretschman­ns Energiespa­rbüchle wird nicht weiterhelf­en.

 ?? ?? Hans-ulrich-rülke, Fdp-fraktionsc­hef im baden-württember­gischen Landtag, hält die bisherigen Energiespa­rpläne des Landes für reine Kosmetik.
Hans-ulrich-rülke, Fdp-fraktionsc­hef im baden-württember­gischen Landtag, hält die bisherigen Energiespa­rpläne des Landes für reine Kosmetik.

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