Ende eines Mythos
Im legendären Lido in Paris ist der letzte Vorhang gefallen: Die Pandemie und ihre Folgen haben dem berühmten Revuetheater den Todesstoß versetzt.
French Cancan“, ausgelassen in die Luft geworfene Beine, verwegene Kostüme und der liebevoll-frivole Pinselstrich des Malers Henri de Toulouse-lautrec haben den Pariser Revuetheatern weltweiten Ruhm verschafft. Doch die Krise hat auch die Aushängeschilder des französischen Nachtlebens nicht verschont. Nach einer letzten Show am Samstagabend hat das legendäre, an der Prachtavenue Champs Elysées gelegene Lido jetzt seine Tore schließen müssen.
Rauschende Abende, bildhübsche Tänzerinnen und viel nackte Haut – mit diesem Versprechen haben das Lido und sein nach wie vor erfolgreicher Konkurrent, das Moulin Rouge, seit Jahrzehnten Besucher aus aller Welt angelockt. Aber die Zeiten, wo die 1100 Zuschauerplätze des Lido unfehlbar ausverkauft waren, gehörten bereits der Vergangenheit an, als 2021 der Hotelkonzern Accor das finanziell angeschlagene Cabaret für einen symbolischen Euro übernahm.
Mit Investitionen in Höhe von 21 Millionen Euro und der Supershow „Paris Merveilles“(Wunder von Paris) wollten die neuen Besitzer das Blatt wenden. Doch die Corona-pandemie, monatelange Schließungen und der eingebrochene Tourismus ließen den Neustart scheitern. Weil sich die Schulden zu einem Berg von 80 Millionen Euro aufgetürmt haben, zog Accor die Reißleine. Das Konzept der Dinnershow habe sich überlebt, meinte ein Sprecher des Konzerns im Mai.
„Schmerzhafter Verlust“
Es ist das Ende eines Mythos, der vor rund 76 Jahren geboren wurde. 1946 hatten die Brüder Joseph und Louis Clérico das damalige Luxus-schwimmbad Lido gekauft und unter Beibehaltung des Namens zu einem Revuetheater umgebaut. Nach dem Vorbild des Moulin Rouge schufen sie eine Dinnershow und brachten ihre hauseigenen „Bluebell Girls“auf die Bühne, eine Truppe von 40 professionellen, langbeinigen und allein mit String und Federkopfschmuck bekleideten Tänzerinnen.
Das Lido wurde rasch zum eleganten Gegenpart des im verruchten Vergnügungsviertel Pigalle gelegenen Moulin Rouge. Berühmtheiten
wie Édith Piaf, Marlene Dietrich, Joséphine Baker, die Kessler-zwillinge, Shirley Maclaine, Tom Jones oder Charles Aznavour sind in dem Revuetheater aufgetreten, das sich rasch zum Treffpunkt der Reichen und Schönen entwickelte. Persönlichkeiten wie Elizabeth Taylor, Winston Churchill oder Elvis Presley pflegten das Lido bei jedem Parisaufenthalt zu besuchen und verfügten sogar über silberne Serviettenringe, auf denen ihre Namen eingraviert waren.
Die Nachricht vom Aus für das Lido hatte im Frühjahr für einen regelrechten Schock gesorgt. Bei einer Petition wurden vor dem Samstag über 88 000 Unterschriften gegen die Schließung gesammelt. Vergeblich.
Gleiches gilt für die Versuche der Bürgermeisterin des die Champs Elysées einschließenden 8. Pariser Arrondissements, Accor noch umzustimmen. Jeanne d‘hauteserre nämlich glaubt nicht, dass „irgendein Musiktheater eine solche Institution des Pariser Nachtlebens wird ersetzen können. Es handelt sich um einen schmerzhaften Verlust für die ganze Stadt“.
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