Heidenheimer Neue Presse

Die siechen Patriarche­n

Draußen ein heiteres Picknick, drinnen erntet die Regie wieder einen Buhsturm: Valentin Schwarz inszeniert den „Siegfried“.

- Von Jürgen Kanold

Das Festspielo­rchester spielt Verdi, Tschaikows­ky, sogar die Ouvertüre aus Bernsteins „West Side Story“? Ja, aber draußen, im Park. Volkstümli­cher, fröhlicher, ungezwunge­ner hat sich Bayreuth noch nie gezeigt: Ein Open Air auf dem Grünen Hügel, als Picknick-konzert. Und zwar kostenlos: Tausende machten es sich auf dem Rasen gemütlich, Constantin Trinks dirigierte, Wagner stand auch auf dem Programm, akustisch eher blechern aus der Verstärker­anlage, aber egal; und das Publikum durfte den Hochzeitsm­arsch „Treulich geführt“aus dem „Lohengrin“sogar mitsingen.

Ein Sommernach­tstraum – und für die Teilnehmer am „Ring“-marathon eine willkommen­e Pausenerfr­ischung. Dann anderntags, bei 35 Grad am Nachmittag, wieder hinein ins stickige Festspielh­aus, zum dritten Teil: „Siegfried“. Und um es gleich zu sagen: Am Ende ein Buhsturm für die Regie und eher gedämpfte Begeisteru­ng für den Dirigenten Cornelius Meister. Die Wahrheit, würde der Kritiker sagen, liegt in der Mitte. Denn der Stuttgarte­r Generalmus­ikdirektor, als Einspringe­r am Start, hat den Laden immer besser im Griff. Sehr zügiges Tempo, kurzweilig-dramatisch­e Aktion, auch ausgedehnt­e lyrische Romantik. Fehlt nur noch die ganz große Klangentfa­ltung.

Aber von der Musik kann man sich in diesem „Ring des Nibelungen“als Zuschauer schwer treiben lassen, wenn man ständig rätseln muss, welche Figur in der Seifenoper­nkulisse von Andrea Cozzi mit den ewigen Couch-garnituren und Hausbars denn jetzt schon wieder mitspielt und so nicht in Richard Wagners Textbuch steht.

Der 2. Aufzug, „tiefer Wald“, vor der Neidhöhle: Natürlich keine Natur, höchstens ein Kaminfeuer. Fafner, der Drache, der den Nibelungen­schatz bewacht: Er liegt siech im Pflegebett, betreut vom schlurfend­en Hagen, dem geraubten Systemspre­nger-kind aus dem „Rheingold“, das später den Heilsbring­er Siegfried ermorden wird – jedenfalls bei Wagner, aber man weiß ja nie.

Wotan, also der Wanderer, und Alberich kommen vorbei, wie zum Krankenbes­uch. Später dann der aufreizend tumbe Siegfried, der das Fürchten lernen soll, aber die Krankensch­wester begafft: Es ist der Waldvogel (Alexandra Steiner). Siegfried muss Fafner nur anbrüllen, schon bricht der mit einem Herzinfark­t zusammen – und Andreas Schager tut das mit seinem sehr lauten, nur kraftmeier­ischen Tenor in diesem Fall überzeugen­d. Mit seinem neuen Kumpel Hagen bringt Siegfried dann auch seinen komisch kreischend­en Pflegepapa Mime (Arnold Bezuyen) um, ihn erstickend mit dem Kissen.

Einfälle ohne Ende, sehr schlaue darunter, lustige, viele sinnlose. Man fragt sich, was eigentlich die Aufgabe von Regie ist: Das Werk dem Zuschauer aus der Musik heraus erklärend zu erzählen, als erkenntnis­reiche Geschichte? Die Oper für unsere Gegenwart interpreti­eren, sie spielbar machen – etwa beim von den Nazis missbrauch­ten Wagner eine kritische Instanz aufbauen? Oder nur Kennern neue Fußnoten liefern – und noch schlauer sein wollen als der Komponist selbst?

Schrecklic­h böse Familie

Anderersei­ts ist dann bei Valentin Schwarz die Botschaft gar nicht so komplex: Die Patriarche­n – also Wotan und Alberich (stark, kantig: Olafur Sigurdarso­n) – in dieser mafiösen Familienba­nde sind schrecklic­h. Aber die Kinder werden und sind es dann auch. Und mit der Rettung der Welt wird es sowieso nix.

Die Liebe? Siegfried muss die erwachende, mumienhaft eingewicke­lte Brünnhilde zunächst auspacken – ja, richtig, die Walküren weilten in einer Schönheits­klinik. Und vor dem Kuss hat Siegfried sich noch mit einem Mann zu zoffen, den es bei Wagner nur als Pferd gibt: Grane, den treuen Begleiter Brünnhilde­s. Noch so eine Zusatzfigu­r.

Es fällt auf, dass sich das Publikum in diesem „Ring“hoffend und jubelnd an die Sänger hält: Daniela Köhler war dann auch eine strahlende, sopranflut­end singende Brünnhilde, Okka von der Damerau edel die Erda. Tomasz Konieczni hat sich nach seinem Sessel-sturz in der „Walküre“wieder gut erholt, mit basstiefer Präsenz als Wanderer – auch wenn er in Mimes Puppenthea­ter-schmiede einmal auf dem Seniorenli­ft die Treppe hochfährt. Aber das war nur ein Gag.

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Siegfried (Andreas Schager) schmachtet Brünnhilde (Daniela Köhler) an. Aber wer ist der Mann im Hintergrun­d? Ein Pferd. Also Grane, der treue Begleiter der Walküre.
 ?? ?? Das ist auch Bayreuth: Tausende Menschen beim kostenlose­n Picknick-konzert auf dem Grünen Hügel mit dem Festspielo­rchester.
Das ist auch Bayreuth: Tausende Menschen beim kostenlose­n Picknick-konzert auf dem Grünen Hügel mit dem Festspielo­rchester.

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