Die siechen Patriarchen
Draußen ein heiteres Picknick, drinnen erntet die Regie wieder einen Buhsturm: Valentin Schwarz inszeniert den „Siegfried“.
Das Festspielorchester spielt Verdi, Tschaikowsky, sogar die Ouvertüre aus Bernsteins „West Side Story“? Ja, aber draußen, im Park. Volkstümlicher, fröhlicher, ungezwungener hat sich Bayreuth noch nie gezeigt: Ein Open Air auf dem Grünen Hügel, als Picknick-konzert. Und zwar kostenlos: Tausende machten es sich auf dem Rasen gemütlich, Constantin Trinks dirigierte, Wagner stand auch auf dem Programm, akustisch eher blechern aus der Verstärkeranlage, aber egal; und das Publikum durfte den Hochzeitsmarsch „Treulich geführt“aus dem „Lohengrin“sogar mitsingen.
Ein Sommernachtstraum – und für die Teilnehmer am „Ring“-marathon eine willkommene Pausenerfrischung. Dann anderntags, bei 35 Grad am Nachmittag, wieder hinein ins stickige Festspielhaus, zum dritten Teil: „Siegfried“. Und um es gleich zu sagen: Am Ende ein Buhsturm für die Regie und eher gedämpfte Begeisterung für den Dirigenten Cornelius Meister. Die Wahrheit, würde der Kritiker sagen, liegt in der Mitte. Denn der Stuttgarter Generalmusikdirektor, als Einspringer am Start, hat den Laden immer besser im Griff. Sehr zügiges Tempo, kurzweilig-dramatische Aktion, auch ausgedehnte lyrische Romantik. Fehlt nur noch die ganz große Klangentfaltung.
Aber von der Musik kann man sich in diesem „Ring des Nibelungen“als Zuschauer schwer treiben lassen, wenn man ständig rätseln muss, welche Figur in der Seifenopernkulisse von Andrea Cozzi mit den ewigen Couch-garnituren und Hausbars denn jetzt schon wieder mitspielt und so nicht in Richard Wagners Textbuch steht.
Der 2. Aufzug, „tiefer Wald“, vor der Neidhöhle: Natürlich keine Natur, höchstens ein Kaminfeuer. Fafner, der Drache, der den Nibelungenschatz bewacht: Er liegt siech im Pflegebett, betreut vom schlurfenden Hagen, dem geraubten Systemsprenger-kind aus dem „Rheingold“, das später den Heilsbringer Siegfried ermorden wird – jedenfalls bei Wagner, aber man weiß ja nie.
Wotan, also der Wanderer, und Alberich kommen vorbei, wie zum Krankenbesuch. Später dann der aufreizend tumbe Siegfried, der das Fürchten lernen soll, aber die Krankenschwester begafft: Es ist der Waldvogel (Alexandra Steiner). Siegfried muss Fafner nur anbrüllen, schon bricht der mit einem Herzinfarkt zusammen – und Andreas Schager tut das mit seinem sehr lauten, nur kraftmeierischen Tenor in diesem Fall überzeugend. Mit seinem neuen Kumpel Hagen bringt Siegfried dann auch seinen komisch kreischenden Pflegepapa Mime (Arnold Bezuyen) um, ihn erstickend mit dem Kissen.
Einfälle ohne Ende, sehr schlaue darunter, lustige, viele sinnlose. Man fragt sich, was eigentlich die Aufgabe von Regie ist: Das Werk dem Zuschauer aus der Musik heraus erklärend zu erzählen, als erkenntnisreiche Geschichte? Die Oper für unsere Gegenwart interpretieren, sie spielbar machen – etwa beim von den Nazis missbrauchten Wagner eine kritische Instanz aufbauen? Oder nur Kennern neue Fußnoten liefern – und noch schlauer sein wollen als der Komponist selbst?
Schrecklich böse Familie
Andererseits ist dann bei Valentin Schwarz die Botschaft gar nicht so komplex: Die Patriarchen – also Wotan und Alberich (stark, kantig: Olafur Sigurdarson) – in dieser mafiösen Familienbande sind schrecklich. Aber die Kinder werden und sind es dann auch. Und mit der Rettung der Welt wird es sowieso nix.
Die Liebe? Siegfried muss die erwachende, mumienhaft eingewickelte Brünnhilde zunächst auspacken – ja, richtig, die Walküren weilten in einer Schönheitsklinik. Und vor dem Kuss hat Siegfried sich noch mit einem Mann zu zoffen, den es bei Wagner nur als Pferd gibt: Grane, den treuen Begleiter Brünnhildes. Noch so eine Zusatzfigur.
Es fällt auf, dass sich das Publikum in diesem „Ring“hoffend und jubelnd an die Sänger hält: Daniela Köhler war dann auch eine strahlende, sopranflutend singende Brünnhilde, Okka von der Damerau edel die Erda. Tomasz Konieczni hat sich nach seinem Sessel-sturz in der „Walküre“wieder gut erholt, mit basstiefer Präsenz als Wanderer – auch wenn er in Mimes Puppentheater-schmiede einmal auf dem Seniorenlift die Treppe hochfährt. Aber das war nur ein Gag.